Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite
III. Abschnitt. Werkzeug.

Auf etwas andere Weise sezzte ohnlängst der vortref-
liche Euler die Wollust (e) in der erkannten Ordnung,
wie sich feine und grobe Thöne einander folgen (f), und
daß folglich in der Seele eine angenehme Empfindung
entstehe, wenn nach einer gewissen Reihe schnelle Be-
bungen, und grobe mit einander abwechseln. Doch
auch diese Ordnung selbst, und die Ursache dieser Ord-
nung siehet kein anderer, als ein Musikverständiger ein,
und dennoch fühlen alle, und so gar auch Thiere (f*),
ein Vergnügen dabei.

Folglich rechne ich diese Ursache der Annehmlichkeit
in der Folge der Thöne auf einander, unter diejeni-
gen Dinge, von welchen die Erfahrung die Wirklich-
keit lehret; ob man gleich ihre phisische Ursache nicht
verstehet.

Jch will auch nicht glauben, daß man bei diesem Ex-
empel mehr von uns verlangen werde, daß wir die me-
chanische Ursache in ihr Licht sezzen sollen, als daß wir
gehalten sind, Rechenschaft davon zu geben, warum
uns einige Farben gefallen, warum ein gewisser Grad
der Schärfe Körper wohlschmekkend macht, warum das
nach gewissem Grade verrichtete Reiben der Haut-
wärzchen Wollust macht.

§. 14.
(e) [Spaltenumbruch] p. 31. 33.
(f) pag. 34. I. IAC. ROUS-
SEAU,
der in der Musik sehr
erfahren ist, sagt in imit. theatr.
pag.
9. daß die Annehmlichkeit
der Musik nicht von den leich-
ten Verhältnissen der Schwin-
gungen, die auf einander folgen,
herrühren. Daß die Quinte nicht
[Spaltenumbruch] genau von der Proportion 2 zu 3,
sondern zunächst entstehe. Daß
die Quinten des Klaviers nicht
accurat sind, und dennoch gefal-
len. Mir scheint das wirklich An-
genehme von wohlausgedrükkten
angenehmen Affekten herzurühren.
(f*) L'ALLEMANT mecan des
passions p.
128.
H. Phisiol. 5. B. Y y
III. Abſchnitt. Werkzeug.

Auf etwas andere Weiſe ſezzte ohnlaͤngſt der vortref-
liche Euler die Wolluſt (e) in der erkannten Ordnung,
wie ſich feine und grobe Thoͤne einander folgen (f), und
daß folglich in der Seele eine angenehme Empfindung
entſtehe, wenn nach einer gewiſſen Reihe ſchnelle Be-
bungen, und grobe mit einander abwechſeln. Doch
auch dieſe Ordnung ſelbſt, und die Urſache dieſer Ord-
nung ſiehet kein anderer, als ein Muſikverſtaͤndiger ein,
und dennoch fuͤhlen alle, und ſo gar auch Thiere (f*),
ein Vergnuͤgen dabei.

Folglich rechne ich dieſe Urſache der Annehmlichkeit
in der Folge der Thoͤne auf einander, unter diejeni-
gen Dinge, von welchen die Erfahrung die Wirklich-
keit lehret; ob man gleich ihre phiſiſche Urſache nicht
verſtehet.

Jch will auch nicht glauben, daß man bei dieſem Ex-
empel mehr von uns verlangen werde, daß wir die me-
chaniſche Urſache in ihr Licht ſezzen ſollen, als daß wir
gehalten ſind, Rechenſchaft davon zu geben, warum
uns einige Farben gefallen, warum ein gewiſſer Grad
der Schaͤrfe Koͤrper wohlſchmekkend macht, warum das
nach gewiſſem Grade verrichtete Reiben der Haut-
waͤrzchen Wolluſt macht.

§. 14.
(e) [Spaltenumbruch] p. 31. 33.
(f) pag. 34. I. IAC. ROUS-
SEAU,
der in der Muſik ſehr
erfahren iſt, ſagt in imit. theatr.
pag.
9. daß die Annehmlichkeit
der Muſik nicht von den leich-
ten Verhaͤltniſſen der Schwin-
gungen, die auf einander folgen,
herruͤhren. Daß die Quinte nicht
[Spaltenumbruch] genau von der Proportion 2 zu 3,
ſondern zunaͤchſt entſtehe. Daß
die Quinten des Klaviers nicht
accurat ſind, und dennoch gefal-
len. Mir ſcheint das wirklich An-
genehme von wohlausgedruͤkkten
angenehmen Affekten herzuruͤhren.
(f*) L’ALLEMANT mecan des
paſſions p.
128.
H. Phiſiol. 5. B. Y y
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0723" n="705"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Ab&#x017F;chnitt. Werkzeug.</hi> </fw><lb/>
            <p>Auf etwas andere Wei&#x017F;e &#x017F;ezzte ohnla&#x0364;ng&#x017F;t der vortref-<lb/>
liche <hi rendition="#fr">Euler</hi> die Wollu&#x017F;t <note place="foot" n="(e)"><cb/><hi rendition="#aq">p.</hi> 31. 33.</note> in der erkannten Ordnung,<lb/>
wie &#x017F;ich feine und grobe Tho&#x0364;ne einander folgen <note place="foot" n="(f)"><hi rendition="#aq">pag. 34. I. <hi rendition="#g">IAC. ROUS-<lb/>
SEAU,</hi></hi> der in der Mu&#x017F;ik &#x017F;ehr<lb/>
erfahren i&#x017F;t, &#x017F;agt <hi rendition="#aq">in imit. theatr.<lb/>
pag.</hi> 9. daß die Annehmlichkeit<lb/>
der Mu&#x017F;ik nicht von den leich-<lb/>
ten Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en der Schwin-<lb/>
gungen, die auf einander folgen,<lb/>
herru&#x0364;hren. Daß die Quinte nicht<lb/><cb/>
genau von der Proportion 2 zu 3,<lb/>
&#x017F;ondern zuna&#x0364;ch&#x017F;t ent&#x017F;tehe. Daß<lb/>
die Quinten des Klaviers nicht<lb/>
accurat &#x017F;ind, und dennoch gefal-<lb/>
len. Mir &#x017F;cheint das wirklich An-<lb/>
genehme von wohlausgedru&#x0364;kkten<lb/>
angenehmen Affekten herzuru&#x0364;hren.</note>, und<lb/>
daß folglich in der Seele eine angenehme Empfindung<lb/>
ent&#x017F;tehe, wenn nach einer gewi&#x017F;&#x017F;en Reihe &#x017F;chnelle Be-<lb/>
bungen, und grobe mit einander abwech&#x017F;eln. Doch<lb/>
auch die&#x017F;e Ordnung &#x017F;elb&#x017F;t, und die Ur&#x017F;ache die&#x017F;er Ord-<lb/>
nung &#x017F;iehet kein anderer, als ein Mu&#x017F;ikver&#x017F;ta&#x0364;ndiger ein,<lb/>
und dennoch fu&#x0364;hlen alle, und &#x017F;o gar auch Thiere <note place="foot" n="(f*)"><hi rendition="#aq">L&#x2019;ALLEMANT mecan des<lb/>
pa&#x017F;&#x017F;ions p.</hi> 128.</note>,<lb/>
ein Vergnu&#x0364;gen dabei.</p><lb/>
            <p>Folglich rechne ich die&#x017F;e Ur&#x017F;ache der Annehmlichkeit<lb/>
in der Folge der Tho&#x0364;ne auf einander, unter diejeni-<lb/>
gen Dinge, von welchen die Erfahrung die Wirklich-<lb/>
keit lehret; ob man gleich ihre phi&#x017F;i&#x017F;che Ur&#x017F;ache nicht<lb/>
ver&#x017F;tehet.</p><lb/>
            <p>Jch will auch nicht glauben, daß man bei die&#x017F;em Ex-<lb/>
empel mehr von uns verlangen werde, daß wir die me-<lb/>
chani&#x017F;che Ur&#x017F;ache in ihr Licht &#x017F;ezzen &#x017F;ollen, als daß wir<lb/>
gehalten &#x017F;ind, Rechen&#x017F;chaft davon zu geben, warum<lb/>
uns einige Farben gefallen, warum ein gewi&#x017F;&#x017F;er Grad<lb/>
der Scha&#x0364;rfe Ko&#x0364;rper wohl&#x017F;chmekkend macht, warum das<lb/>
nach gewi&#x017F;&#x017F;em Grade verrichtete Reiben der Haut-<lb/>
wa&#x0364;rzchen Wollu&#x017F;t macht.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">§. 14.</fw><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">H. Phi&#x017F;iol. 5. B.</hi> Y y</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[705/0723] III. Abſchnitt. Werkzeug. Auf etwas andere Weiſe ſezzte ohnlaͤngſt der vortref- liche Euler die Wolluſt (e) in der erkannten Ordnung, wie ſich feine und grobe Thoͤne einander folgen (f), und daß folglich in der Seele eine angenehme Empfindung entſtehe, wenn nach einer gewiſſen Reihe ſchnelle Be- bungen, und grobe mit einander abwechſeln. Doch auch dieſe Ordnung ſelbſt, und die Urſache dieſer Ord- nung ſiehet kein anderer, als ein Muſikverſtaͤndiger ein, und dennoch fuͤhlen alle, und ſo gar auch Thiere (f*), ein Vergnuͤgen dabei. Folglich rechne ich dieſe Urſache der Annehmlichkeit in der Folge der Thoͤne auf einander, unter diejeni- gen Dinge, von welchen die Erfahrung die Wirklich- keit lehret; ob man gleich ihre phiſiſche Urſache nicht verſtehet. Jch will auch nicht glauben, daß man bei dieſem Ex- empel mehr von uns verlangen werde, daß wir die me- chaniſche Urſache in ihr Licht ſezzen ſollen, als daß wir gehalten ſind, Rechenſchaft davon zu geben, warum uns einige Farben gefallen, warum ein gewiſſer Grad der Schaͤrfe Koͤrper wohlſchmekkend macht, warum das nach gewiſſem Grade verrichtete Reiben der Haut- waͤrzchen Wolluſt macht. §. 14. (e) p. 31. 33. (f) pag. 34. I. IAC. ROUS- SEAU, der in der Muſik ſehr erfahren iſt, ſagt in imit. theatr. pag. 9. daß die Annehmlichkeit der Muſik nicht von den leich- ten Verhaͤltniſſen der Schwin- gungen, die auf einander folgen, herruͤhren. Daß die Quinte nicht genau von der Proportion 2 zu 3, ſondern zunaͤchſt entſtehe. Daß die Quinten des Klaviers nicht accurat ſind, und dennoch gefal- len. Mir ſcheint das wirklich An- genehme von wohlausgedruͤkkten angenehmen Affekten herzuruͤhren. (f*) L’ALLEMANT mecan des paſſions p. 128. H. Phiſiol. 5. B. Y y

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/723
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 705. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/723>, abgerufen am 23.11.2024.