Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Abschnitt. Werkzeug.
einen zusammen kommen, erwächset (r), und da in je-
dem Thone sowohl ein ursprünglicher Thon, den der
Quell des Thons macht, als auch unzähliche Thöne vor-
kommen, die von den harten Körpern, die dieser Thon
trift, zurükkgeworfen werden, und welche endlich im
Gehörgange, in der Trummel und Jrrgange noch hinzu
kommen (s). Warum empfindet man, sage ich, einen
so sehr zusammengesezzten Thon doch nur einfach? Es
scheint überhaupt die Seele Eindrükke nicht zu unter-
scheiden, die sich einander sehr gleich sind; denn wenn
sie sie unterscheiden soll, so müssen sehr deutliche Merk-
male des Unterschiedes darinnen vorkommen, die sie eben
so deutlich empfinden muß, als sie die Objekten empfin-
det, die unterschieden werden müssen: wenn diese nicht
augenscheinlich genung sind, so wird sie auch die Ob-
jekte nicht zu unterscheiden vermögen. So siehet die
Seele an einer weissen Wand eine einförmige Weisse,
wenn sie sie von weiten ansieht; und daher entstehet in
ihr nichts, als eine einfache Empfindung der weissen
Farbe. Nähert sich das Auge mehr, so wird man schon
Hügelchen und Tiefen an dieser Wand bemerken, und
die Seele wird sich überreden, daß einige Theile von
der andern unterschieden sind. Nun sind diese ursprüng-
lichen Thöne, und die vom Abprallen entstanden sind,
in so fern mit einander ganz gleich, daß von dem Ob-
jekte des Schalles in harten Körpern harmonische Be-
bungen (t), und zwar eben so schnelle Bebungen erregt
werden, wenn gleich die ursprünglichen Thöne schwächer,
die nachher hinzugekommenen, aber stärker sind. Daher
unterscheidet ein geübtes Ohr in diesen zusammengesezz-
ten Thönen unähnliche Theile (u), die ein gemeines Ohr
nicht zu empfinden verstehet. Wie wenn in dem von
unserm Lehrer vorgestellten Exempel eine grosse Menge

Zuhö-
(r) [Spaltenumbruch] p. 264.
(s) p. 295. 296.
(t) [Spaltenumbruch] p. 294. 295.
(u) p. 273.
X x 5

III. Abſchnitt. Werkzeug.
einen zuſammen kommen, erwaͤchſet (r), und da in je-
dem Thone ſowohl ein urſpruͤnglicher Thon, den der
Quell des Thons macht, als auch unzaͤhliche Thoͤne vor-
kommen, die von den harten Koͤrpern, die dieſer Thon
trift, zuruͤkkgeworfen werden, und welche endlich im
Gehoͤrgange, in der Trummel und Jrrgange noch hinzu
kommen (s). Warum empfindet man, ſage ich, einen
ſo ſehr zuſammengeſezzten Thon doch nur einfach? Es
ſcheint uͤberhaupt die Seele Eindruͤkke nicht zu unter-
ſcheiden, die ſich einander ſehr gleich ſind; denn wenn
ſie ſie unterſcheiden ſoll, ſo muͤſſen ſehr deutliche Merk-
male des Unterſchiedes darinnen vorkommen, die ſie eben
ſo deutlich empfinden muß, als ſie die Objekten empfin-
det, die unterſchieden werden muͤſſen: wenn dieſe nicht
augenſcheinlich genung ſind, ſo wird ſie auch die Ob-
jekte nicht zu unterſcheiden vermoͤgen. So ſiehet die
Seele an einer weiſſen Wand eine einfoͤrmige Weiſſe,
wenn ſie ſie von weiten anſieht; und daher entſtehet in
ihr nichts, als eine einfache Empfindung der weiſſen
Farbe. Naͤhert ſich das Auge mehr, ſo wird man ſchon
Huͤgelchen und Tiefen an dieſer Wand bemerken, und
die Seele wird ſich uͤberreden, daß einige Theile von
der andern unterſchieden ſind. Nun ſind dieſe urſpruͤng-
lichen Thoͤne, und die vom Abprallen entſtanden ſind,
in ſo fern mit einander ganz gleich, daß von dem Ob-
jekte des Schalles in harten Koͤrpern harmoniſche Be-
bungen (t), und zwar eben ſo ſchnelle Bebungen erregt
werden, wenn gleich die urſpruͤnglichen Thoͤne ſchwaͤcher,
die nachher hinzugekommenen, aber ſtaͤrker ſind. Daher
unterſcheidet ein geuͤbtes Ohr in dieſen zuſammengeſezz-
ten Thoͤnen unaͤhnliche Theile (u), die ein gemeines Ohr
nicht zu empfinden verſtehet. Wie wenn in dem von
unſerm Lehrer vorgeſtellten Exempel eine groſſe Menge

Zuhoͤ-
(r) [Spaltenumbruch] p. 264.
(s) p. 295. 296.
(t) [Spaltenumbruch] p. 294. 295.
(u) p. 273.
X x 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0715" n="697"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Ab&#x017F;chnitt. Werkzeug.</fw><lb/>
einen zu&#x017F;ammen kommen, erwa&#x0364;ch&#x017F;et <note place="foot" n="(r)"><cb/><hi rendition="#aq">p.</hi> 264.</note>, und da in je-<lb/>
dem Thone &#x017F;owohl ein ur&#x017F;pru&#x0364;nglicher Thon, den der<lb/>
Quell des Thons macht, als auch unza&#x0364;hliche Tho&#x0364;ne vor-<lb/>
kommen, die von den harten Ko&#x0364;rpern, die die&#x017F;er Thon<lb/>
trift, zuru&#x0364;kkgeworfen werden, und welche endlich im<lb/>
Geho&#x0364;rgange, in der Trummel und Jrrgange noch hinzu<lb/>
kommen <note place="foot" n="(s)"><hi rendition="#aq">p.</hi> 295. 296.</note>. Warum empfindet man, &#x017F;age ich, einen<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezzten Thon doch nur einfach? Es<lb/>
&#x017F;cheint u&#x0364;berhaupt die Seele Eindru&#x0364;kke nicht zu unter-<lb/>
&#x017F;cheiden, die &#x017F;ich einander &#x017F;ehr gleich &#x017F;ind; denn wenn<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ie unter&#x017F;cheiden &#x017F;oll, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ehr deutliche Merk-<lb/>
male des Unter&#x017F;chiedes darinnen vorkommen, die &#x017F;ie eben<lb/>
&#x017F;o deutlich empfinden muß, als &#x017F;ie die Objekten empfin-<lb/>
det, die unter&#x017F;chieden werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en: wenn die&#x017F;e nicht<lb/>
augen&#x017F;cheinlich genung &#x017F;ind, &#x017F;o wird &#x017F;ie auch die Ob-<lb/>
jekte nicht zu unter&#x017F;cheiden vermo&#x0364;gen. So &#x017F;iehet die<lb/>
Seele an einer wei&#x017F;&#x017F;en Wand eine einfo&#x0364;rmige Wei&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;ie von weiten an&#x017F;ieht; und daher ent&#x017F;tehet in<lb/>
ihr nichts, als eine einfache Empfindung der wei&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Farbe. Na&#x0364;hert &#x017F;ich das Auge mehr, &#x017F;o wird man &#x017F;chon<lb/>
Hu&#x0364;gelchen und Tiefen an die&#x017F;er Wand bemerken, und<lb/>
die Seele wird &#x017F;ich u&#x0364;berreden, daß einige Theile von<lb/>
der andern unter&#x017F;chieden &#x017F;ind. Nun &#x017F;ind die&#x017F;e ur&#x017F;pru&#x0364;ng-<lb/>
lichen Tho&#x0364;ne, und die vom Abprallen ent&#x017F;tanden &#x017F;ind,<lb/>
in &#x017F;o fern mit einander ganz gleich, daß von dem Ob-<lb/>
jekte des Schalles in harten Ko&#x0364;rpern harmoni&#x017F;che Be-<lb/>
bungen <note place="foot" n="(t)"><cb/><hi rendition="#aq">p.</hi> 294. 295.</note>, und zwar eben &#x017F;o &#x017F;chnelle Bebungen erregt<lb/>
werden, wenn gleich die ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Tho&#x0364;ne &#x017F;chwa&#x0364;cher,<lb/>
die nachher hinzugekommenen, aber &#x017F;ta&#x0364;rker &#x017F;ind. Daher<lb/>
unter&#x017F;cheidet ein geu&#x0364;btes Ohr in die&#x017F;en zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezz-<lb/>
ten Tho&#x0364;nen una&#x0364;hnliche Theile <note place="foot" n="(u)"><hi rendition="#aq">p.</hi> 273.</note>, die ein gemeines Ohr<lb/>
nicht zu empfinden ver&#x017F;tehet. Wie wenn in dem von<lb/>
un&#x017F;erm Lehrer vorge&#x017F;tellten Exempel eine gro&#x017F;&#x017F;e Menge<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">X x 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Zuho&#x0364;-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[697/0715] III. Abſchnitt. Werkzeug. einen zuſammen kommen, erwaͤchſet (r), und da in je- dem Thone ſowohl ein urſpruͤnglicher Thon, den der Quell des Thons macht, als auch unzaͤhliche Thoͤne vor- kommen, die von den harten Koͤrpern, die dieſer Thon trift, zuruͤkkgeworfen werden, und welche endlich im Gehoͤrgange, in der Trummel und Jrrgange noch hinzu kommen (s). Warum empfindet man, ſage ich, einen ſo ſehr zuſammengeſezzten Thon doch nur einfach? Es ſcheint uͤberhaupt die Seele Eindruͤkke nicht zu unter- ſcheiden, die ſich einander ſehr gleich ſind; denn wenn ſie ſie unterſcheiden ſoll, ſo muͤſſen ſehr deutliche Merk- male des Unterſchiedes darinnen vorkommen, die ſie eben ſo deutlich empfinden muß, als ſie die Objekten empfin- det, die unterſchieden werden muͤſſen: wenn dieſe nicht augenſcheinlich genung ſind, ſo wird ſie auch die Ob- jekte nicht zu unterſcheiden vermoͤgen. So ſiehet die Seele an einer weiſſen Wand eine einfoͤrmige Weiſſe, wenn ſie ſie von weiten anſieht; und daher entſtehet in ihr nichts, als eine einfache Empfindung der weiſſen Farbe. Naͤhert ſich das Auge mehr, ſo wird man ſchon Huͤgelchen und Tiefen an dieſer Wand bemerken, und die Seele wird ſich uͤberreden, daß einige Theile von der andern unterſchieden ſind. Nun ſind dieſe urſpruͤng- lichen Thoͤne, und die vom Abprallen entſtanden ſind, in ſo fern mit einander ganz gleich, daß von dem Ob- jekte des Schalles in harten Koͤrpern harmoniſche Be- bungen (t), und zwar eben ſo ſchnelle Bebungen erregt werden, wenn gleich die urſpruͤnglichen Thoͤne ſchwaͤcher, die nachher hinzugekommenen, aber ſtaͤrker ſind. Daher unterſcheidet ein geuͤbtes Ohr in dieſen zuſammengeſezz- ten Thoͤnen unaͤhnliche Theile (u), die ein gemeines Ohr nicht zu empfinden verſtehet. Wie wenn in dem von unſerm Lehrer vorgeſtellten Exempel eine groſſe Menge Zuhoͤ- (r) p. 264. (s) p. 295. 296. (t) p. 294. 295. (u) p. 273. X x 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/715
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 697. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/715>, abgerufen am 23.11.2024.