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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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Das Gehör. XV. Buch.
Zuhörer zugleich singet, eine Person, die solches von
ferne anhöret, davon urtheilt, daß alle einen einzigen
Thon machen, wofern alle Sänger vollkommen harmo-
nisch einstimmen, und alle einerlei Thon von sich geben,
ein anderer aber dennoch leicht einen Unterscheid bemer-
ken muß, wofern unter den Sängern ein ungeübter einen
fremden Thon mit darunter menget.

Doch das Gesezze, Kraft dessen eine einstimmige
Saite mit einer klingenden Saite stärker, und hingegen
allezeit um so viel schwächer mitthönet, je weiter sie sich
von der gleichstimmigen entfernet (z), verstattet keine
dergleichen Dissonanz in den zusammenfliessenden Be-
bungen. Diejenigen Saiten, welche der einstimmigen
nahe kommen, äussern einen Unterscheid, welcher schwer,
und von der Seele nicht leicht zu begreifen ist; und die-
jenigen, welche von der einstimmigen entfernet sind,
kann die Seele wegen ihrer Schwäche nicht empfinden.

Doch es ist noch eine andere Frage, warum wir
nämlich mit zwei Ohren nicht zwo Stimmen, sondern
nur eine einzige hören, da doch ausserdem die Lage des
einen Ohres, welche den klingenden Körper gerade zu-
gekehrt, das andere aber weggewandt ist, in der Stär-
ke des Schalles einen Unterschied machen kann. Es
verhält sich nämlich die Lebhaftigkeit eines Schalles, wie
die Anzahl der Theilchen, welche ins Ohr mit Geschwin-
digkeit, oder nach dem Sisteme des Leibnizens (a)
nach dem Quadrat der multiplicirten Geschwindigkeit
eindringen; und es ist zu schliessen, daß mehrere Theil-
chen in ein zugekehrtes und freies Ohr, und wenigere in
eln weggekehrtes, und mit weichen Müzzen bedekktes
kommen (a*).

(x)
(y)
Hier
(z) [Spaltenumbruch] Idem ibid. et p. 276. nostr.
(a) s'GRAVEZANDE n. 2388.
(a*) VALSALVA p. 126.
(x) [Spaltenumbruch] p. 419.
(y) NOLLET lecons de
phys. p. 482. et p. 275. nostr.

Das Gehoͤr. XV. Buch.
Zuhoͤrer zugleich ſinget, eine Perſon, die ſolches von
ferne anhoͤret, davon urtheilt, daß alle einen einzigen
Thon machen, wofern alle Saͤnger vollkommen harmo-
niſch einſtimmen, und alle einerlei Thon von ſich geben,
ein anderer aber dennoch leicht einen Unterſcheid bemer-
ken muß, wofern unter den Saͤngern ein ungeuͤbter einen
fremden Thon mit darunter menget.

Doch das Geſezze, Kraft deſſen eine einſtimmige
Saite mit einer klingenden Saite ſtaͤrker, und hingegen
allezeit um ſo viel ſchwaͤcher mitthoͤnet, je weiter ſie ſich
von der gleichſtimmigen entfernet (z), verſtattet keine
dergleichen Diſſonanz in den zuſammenflieſſenden Be-
bungen. Diejenigen Saiten, welche der einſtimmigen
nahe kommen, aͤuſſern einen Unterſcheid, welcher ſchwer,
und von der Seele nicht leicht zu begreifen iſt; und die-
jenigen, welche von der einſtimmigen entfernet ſind,
kann die Seele wegen ihrer Schwaͤche nicht empfinden.

Doch es iſt noch eine andere Frage, warum wir
naͤmlich mit zwei Ohren nicht zwo Stimmen, ſondern
nur eine einzige hoͤren, da doch auſſerdem die Lage des
einen Ohres, welche den klingenden Koͤrper gerade zu-
gekehrt, das andere aber weggewandt iſt, in der Staͤr-
ke des Schalles einen Unterſchied machen kann. Es
verhaͤlt ſich naͤmlich die Lebhaftigkeit eines Schalles, wie
die Anzahl der Theilchen, welche ins Ohr mit Geſchwin-
digkeit, oder nach dem Siſteme des Leibnizens (a)
nach dem Quadrat der multiplicirten Geſchwindigkeit
eindringen; und es iſt zu ſchlieſſen, daß mehrere Theil-
chen in ein zugekehrtes und freies Ohr, und wenigere in
eln weggekehrtes, und mit weichen Muͤzzen bedekktes
kommen (a*).

(x)
(y)
Hier
(z) [Spaltenumbruch] Idem ibid. et p. 276. noſtr.
(a) s’GRAVEZANDE n. 2388.
(a*) VALSALVA p. 126.
(x) [Spaltenumbruch] p. 419.
(y) NOLLET leçons de
phyſ. p. 482. et p. 275. noſtr.
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[698/0716] Das Gehoͤr. XV. Buch. Zuhoͤrer zugleich ſinget, eine Perſon, die ſolches von ferne anhoͤret, davon urtheilt, daß alle einen einzigen Thon machen, wofern alle Saͤnger vollkommen harmo- niſch einſtimmen, und alle einerlei Thon von ſich geben, ein anderer aber dennoch leicht einen Unterſcheid bemer- ken muß, wofern unter den Saͤngern ein ungeuͤbter einen fremden Thon mit darunter menget. Doch das Geſezze, Kraft deſſen eine einſtimmige Saite mit einer klingenden Saite ſtaͤrker, und hingegen allezeit um ſo viel ſchwaͤcher mitthoͤnet, je weiter ſie ſich von der gleichſtimmigen entfernet (z), verſtattet keine dergleichen Diſſonanz in den zuſammenflieſſenden Be- bungen. Diejenigen Saiten, welche der einſtimmigen nahe kommen, aͤuſſern einen Unterſcheid, welcher ſchwer, und von der Seele nicht leicht zu begreifen iſt; und die- jenigen, welche von der einſtimmigen entfernet ſind, kann die Seele wegen ihrer Schwaͤche nicht empfinden. Doch es iſt noch eine andere Frage, warum wir naͤmlich mit zwei Ohren nicht zwo Stimmen, ſondern nur eine einzige hoͤren, da doch auſſerdem die Lage des einen Ohres, welche den klingenden Koͤrper gerade zu- gekehrt, das andere aber weggewandt iſt, in der Staͤr- ke des Schalles einen Unterſchied machen kann. Es verhaͤlt ſich naͤmlich die Lebhaftigkeit eines Schalles, wie die Anzahl der Theilchen, welche ins Ohr mit Geſchwin- digkeit, oder nach dem Siſteme des Leibnizens (a) nach dem Quadrat der multiplicirten Geſchwindigkeit eindringen; und es iſt zu ſchlieſſen, daß mehrere Theil- chen in ein zugekehrtes und freies Ohr, und wenigere in eln weggekehrtes, und mit weichen Muͤzzen bedekktes kommen (a*). Hier (x) (y) (z) Idem ibid. et p. 276. noſtr. (a) s’GRAVEZANDE n. 2388. (a*) VALSALVA p. 126. (x) p. 419. (y) NOLLET leçons de phyſ. p. 482. et p. 275. noſtr.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 698. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/716>, abgerufen am 23.11.2024.