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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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Thierische Bewegung. XI. Buch.
es uns gefällig ist, unser Gemüt darauf wenden, um das
Nikken zu bemerken, uns dessen enthalten, und über die
Zeit erst, blos des Versuches wegen, nikken. So konnte
jener Fechter (d) die verstellte Stösse eines gegen sein
Auge gerichteten Degens vertragen, weil er dieses thun
wollte, und ich habe dieses, nach drei oder viermaliger
Wiederholung, ebenfalls gethan. Es nikken die Kinder
nicht, weil sie sich nicht fürchten, und keine Gefar kennen.
Doch auch bei ihnen fällt das Augenlied, bei vielem
Lichte, nieder.

Folglich wird keine Gewohnheit verursachen, daß
das Herz, welches die berümte Männer in der Frucht
vor eine willkürliche Sache ausgeben, nunmehr aufhören
sollte, dem Willen Gehorsam zu leisten. Wir haben ge-
zeigt, daß das Herz viele Stunden, Tage und Jare
nicht geschlagen habe; daß die Darmbewegung in uns
selbst öfters unterbrochen werde, und daß diese in Thieren,
welche den Winter über viele Monate lang schlafen, gar
aufhöre, und daß der Regenbogen in einem dunkeln
Gefängnisse, so wie die männliche Ruthe in einem keu-
schen Menschen und Thiere, die vom Anblikke und Er-
innern des andern Geschlechts frei sind, ganze Jare lang
ohne alle Bewegung sind.

Hier war keine Gewonheit bei ganzen Jaren und
keine Wirksamkeit im Herzen, Regenbogen, Gedärme,
und dem männlichen Gliede. Man bringe aber zum
Thiere Wärme, Sommer, blosses Wasser, Licht, Speise,
oder das Weibliche seines Geschlechtes, so wird sogleich
das Herz, Gedärme, Regenbogen, und der Zeugungs-
theil wieder in Bewegung geraten. Und doch werden
diese Theile der Seele eben so wenig gehorchen, als sie in
uns derselben gehorchen, in denen das Herz täglich schlägt,
das Gedärme sich schlängelnd fortwälzt, und der Regen-

bogen
(d) Plin. L. XI. c. 37. PORTERFIELD Essays of Edimb.
T. IV. pag.
215.

Thieriſche Bewegung. XI. Buch.
es uns gefaͤllig iſt, unſer Gemuͤt darauf wenden, um das
Nikken zu bemerken, uns deſſen enthalten, und uͤber die
Zeit erſt, blos des Verſuches wegen, nikken. So konnte
jener Fechter (d) die verſtellte Stoͤſſe eines gegen ſein
Auge gerichteten Degens vertragen, weil er dieſes thun
wollte, und ich habe dieſes, nach drei oder viermaliger
Wiederholung, ebenfalls gethan. Es nikken die Kinder
nicht, weil ſie ſich nicht fuͤrchten, und keine Gefar kennen.
Doch auch bei ihnen faͤllt das Augenlied, bei vielem
Lichte, nieder.

Folglich wird keine Gewohnheit verurſachen, daß
das Herz, welches die beruͤmte Maͤnner in der Frucht
vor eine willkuͤrliche Sache ausgeben, nunmehr aufhoͤren
ſollte, dem Willen Gehorſam zu leiſten. Wir haben ge-
zeigt, daß das Herz viele Stunden, Tage und Jare
nicht geſchlagen habe; daß die Darmbewegung in uns
ſelbſt oͤfters unterbrochen werde, und daß dieſe in Thieren,
welche den Winter uͤber viele Monate lang ſchlafen, gar
aufhoͤre, und daß der Regenbogen in einem dunkeln
Gefaͤngniſſe, ſo wie die maͤnnliche Ruthe in einem keu-
ſchen Menſchen und Thiere, die vom Anblikke und Er-
innern des andern Geſchlechts frei ſind, ganze Jare lang
ohne alle Bewegung ſind.

Hier war keine Gewonheit bei ganzen Jaren und
keine Wirkſamkeit im Herzen, Regenbogen, Gedaͤrme,
und dem maͤnnlichen Gliede. Man bringe aber zum
Thiere Waͤrme, Sommer, bloſſes Waſſer, Licht, Speiſe,
oder das Weibliche ſeines Geſchlechtes, ſo wird ſogleich
das Herz, Gedaͤrme, Regenbogen, und der Zeugungs-
theil wieder in Bewegung geraten. Und doch werden
dieſe Theile der Seele eben ſo wenig gehorchen, als ſie in
uns derſelben gehorchen, in denen das Herz taͤglich ſchlaͤgt,
das Gedaͤrme ſich ſchlaͤngelnd fortwaͤlzt, und der Regen-

bogen
(d) Plin. L. XI. c. 37. PORTERFIELD Eſſays of Edimb.
T. IV. pag.
215.
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[144/0162] Thieriſche Bewegung. XI. Buch. es uns gefaͤllig iſt, unſer Gemuͤt darauf wenden, um das Nikken zu bemerken, uns deſſen enthalten, und uͤber die Zeit erſt, blos des Verſuches wegen, nikken. So konnte jener Fechter (d) die verſtellte Stoͤſſe eines gegen ſein Auge gerichteten Degens vertragen, weil er dieſes thun wollte, und ich habe dieſes, nach drei oder viermaliger Wiederholung, ebenfalls gethan. Es nikken die Kinder nicht, weil ſie ſich nicht fuͤrchten, und keine Gefar kennen. Doch auch bei ihnen faͤllt das Augenlied, bei vielem Lichte, nieder. Folglich wird keine Gewohnheit verurſachen, daß das Herz, welches die beruͤmte Maͤnner in der Frucht vor eine willkuͤrliche Sache ausgeben, nunmehr aufhoͤren ſollte, dem Willen Gehorſam zu leiſten. Wir haben ge- zeigt, daß das Herz viele Stunden, Tage und Jare nicht geſchlagen habe; daß die Darmbewegung in uns ſelbſt oͤfters unterbrochen werde, und daß dieſe in Thieren, welche den Winter uͤber viele Monate lang ſchlafen, gar aufhoͤre, und daß der Regenbogen in einem dunkeln Gefaͤngniſſe, ſo wie die maͤnnliche Ruthe in einem keu- ſchen Menſchen und Thiere, die vom Anblikke und Er- innern des andern Geſchlechts frei ſind, ganze Jare lang ohne alle Bewegung ſind. Hier war keine Gewonheit bei ganzen Jaren und keine Wirkſamkeit im Herzen, Regenbogen, Gedaͤrme, und dem maͤnnlichen Gliede. Man bringe aber zum Thiere Waͤrme, Sommer, bloſſes Waſſer, Licht, Speiſe, oder das Weibliche ſeines Geſchlechtes, ſo wird ſogleich das Herz, Gedaͤrme, Regenbogen, und der Zeugungs- theil wieder in Bewegung geraten. Und doch werden dieſe Theile der Seele eben ſo wenig gehorchen, als ſie in uns derſelben gehorchen, in denen das Herz taͤglich ſchlaͤgt, das Gedaͤrme ſich ſchlaͤngelnd fortwaͤlzt, und der Regen- bogen (d) Plin. L. XI. c. 37. PORTERFIELD Eſſays of Edimb. T. IV. pag. 215.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/162>, abgerufen am 04.05.2024.