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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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I. Abschnitt. Der Verstand.

Sie sind auch den Zeiten nach unter sich verwandt,
und Jdeen, welche zu einerlei Zeit entstanden, bringen
einander wechselweise wieder ins Gedächtnis. So macht
das Fühlen, wenn man einen runden Körper auf gewisse
Weise empfindet, und es mit dem Gesichte, so gewisse
Gegenden des Schattens entdekkt, übereinstimmig ist,
daß sich mit diesen Schatten die Jdee von einer fühlbaren
Rundung verbindet (n). Die Jdee des Frühlings bringt
uns grüne Blätter, neue Baumblühte, und den Scherz
der Natur ins Gedächtnis. Es wurde jemand, wovon
Boerhaave ein Exempel giebt, bei einer alten Eiche
beraubt. Derselbe wird auch nach zwanzig Jahren noch,
diese Eiche niemals wieder zu Gesichte bekommen, daß er
sich nicht dabei des Räubers, der Gefahr, und der ganzen
tragischen Geschichte erinnern sollte. Er hat einen Rei-
ter gesehen; dieser wird nicht zu Fusse ihm vor die Augen
kommen, sondern es wird das Pferd den Mann, und den
Mann der Reiter begleiten.

Auf diese Art sind nun die Zeichen entstanden, näm-
lich die ersten Zeichen, die den Schall, den Baum, und
den Menschen bestimmen, wobei zugleich das Bild des
Baumes oder Menschens ausgesprochen wurde: und die
zweite Zeichen von einem geschriebnen Buchstaben, die
mit der Aussprache der Namen sich verbanden, und wor-
aus wir Bäume oder Menschen erkennen. Und diese
zweite Zeichen ziehen die erste nach sich, so daß die Figu-
ren den Schall, und der Schall das Bild ins Gedächt-
nis bringt.

Da endlich die mehresten Jdeen mit einander verbun-
den sind, so haben die Menschen den grossen Vortheil
davon, daß das ganze Sistem der besondern Begriffe (o),
die eine einzige Totalidee ausmachen, mit einander in Ver-
bindung steht, und alle zugleich wieder ins Gedächtnis

bringt
(n) [Spaltenumbruch] n. 580.
(o) Ein Pallast, darinnen jedes
[Spaltenumbruch] Zimmer das Seinige mit beiträgt
MURATORI p. 25.
I. Abſchnitt. Der Verſtand.

Sie ſind auch den Zeiten nach unter ſich verwandt,
und Jdeen, welche zu einerlei Zeit entſtanden, bringen
einander wechſelweiſe wieder ins Gedaͤchtnis. So macht
das Fuͤhlen, wenn man einen runden Koͤrper auf gewiſſe
Weiſe empfindet, und es mit dem Geſichte, ſo gewiſſe
Gegenden des Schattens entdekkt, uͤbereinſtimmig iſt,
daß ſich mit dieſen Schatten die Jdee von einer fuͤhlbaren
Rundung verbindet (n). Die Jdee des Fruͤhlings bringt
uns gruͤne Blaͤtter, neue Baumbluͤhte, und den Scherz
der Natur ins Gedaͤchtnis. Es wurde jemand, wovon
Boerhaave ein Exempel giebt, bei einer alten Eiche
beraubt. Derſelbe wird auch nach zwanzig Jahren noch,
dieſe Eiche niemals wieder zu Geſichte bekommen, daß er
ſich nicht dabei des Raͤubers, der Gefahr, und der ganzen
tragiſchen Geſchichte erinnern ſollte. Er hat einen Rei-
ter geſehen; dieſer wird nicht zu Fuſſe ihm vor die Augen
kommen, ſondern es wird das Pferd den Mann, und den
Mann der Reiter begleiten.

Auf dieſe Art ſind nun die Zeichen entſtanden, naͤm-
lich die erſten Zeichen, die den Schall, den Baum, und
den Menſchen beſtimmen, wobei zugleich das Bild des
Baumes oder Menſchens ausgeſprochen wurde: und die
zweite Zeichen von einem geſchriebnen Buchſtaben, die
mit der Ausſprache der Namen ſich verbanden, und wor-
aus wir Baͤume oder Menſchen erkennen. Und dieſe
zweite Zeichen ziehen die erſte nach ſich, ſo daß die Figu-
ren den Schall, und der Schall das Bild ins Gedaͤcht-
nis bringt.

Da endlich die mehreſten Jdeen mit einander verbun-
den ſind, ſo haben die Menſchen den groſſen Vortheil
davon, daß das ganze Siſtem der beſondern Begriffe (o),
die eine einzige Totalidee ausmachen, mit einander in Ver-
bindung ſteht, und alle zugleich wieder ins Gedaͤchtnis

bringt
(n) [Spaltenumbruch] n. 580.
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MURATORI p. 25.
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[1067/1085] I. Abſchnitt. Der Verſtand. Sie ſind auch den Zeiten nach unter ſich verwandt, und Jdeen, welche zu einerlei Zeit entſtanden, bringen einander wechſelweiſe wieder ins Gedaͤchtnis. So macht das Fuͤhlen, wenn man einen runden Koͤrper auf gewiſſe Weiſe empfindet, und es mit dem Geſichte, ſo gewiſſe Gegenden des Schattens entdekkt, uͤbereinſtimmig iſt, daß ſich mit dieſen Schatten die Jdee von einer fuͤhlbaren Rundung verbindet (n). Die Jdee des Fruͤhlings bringt uns gruͤne Blaͤtter, neue Baumbluͤhte, und den Scherz der Natur ins Gedaͤchtnis. Es wurde jemand, wovon Boerhaave ein Exempel giebt, bei einer alten Eiche beraubt. Derſelbe wird auch nach zwanzig Jahren noch, dieſe Eiche niemals wieder zu Geſichte bekommen, daß er ſich nicht dabei des Raͤubers, der Gefahr, und der ganzen tragiſchen Geſchichte erinnern ſollte. Er hat einen Rei- ter geſehen; dieſer wird nicht zu Fuſſe ihm vor die Augen kommen, ſondern es wird das Pferd den Mann, und den Mann der Reiter begleiten. Auf dieſe Art ſind nun die Zeichen entſtanden, naͤm- lich die erſten Zeichen, die den Schall, den Baum, und den Menſchen beſtimmen, wobei zugleich das Bild des Baumes oder Menſchens ausgeſprochen wurde: und die zweite Zeichen von einem geſchriebnen Buchſtaben, die mit der Ausſprache der Namen ſich verbanden, und wor- aus wir Baͤume oder Menſchen erkennen. Und dieſe zweite Zeichen ziehen die erſte nach ſich, ſo daß die Figu- ren den Schall, und der Schall das Bild ins Gedaͤcht- nis bringt. Da endlich die mehreſten Jdeen mit einander verbun- den ſind, ſo haben die Menſchen den groſſen Vortheil davon, daß das ganze Siſtem der beſondern Begriffe (o), die eine einzige Totalidee ausmachen, mit einander in Ver- bindung ſteht, und alle zugleich wieder ins Gedaͤchtnis bringt (n) n. 580. (o) Ein Pallaſt, darinnen jedes Zimmer das Seinige mit beitraͤgt MURATORI p. 25.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1067. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1085>, abgerufen am 23.11.2024.