die Seele so gleich, daß es eben die Jdee ist, welche sie suche. Bonnet nennt dieses Erkennen Wiedererinnern (k).
Bei Gelegenheit der Farben, stellen sich Farben vor dem Auge der Seele ein, und Töne erinnern uns an Töne; die Erwähnung von einem Geschmakke bringt uns aber nicht die Zeichen der Farben ins Gedächtnis. Folg- lich ist unser Gehirn, der Erfahrung gemäs, eine unge- heuere Bibliothek (l) in der Zeichen und Bilder, gleichsam als Bücher, nach ihren Klassen und Verwandschaften auf- gestellt sind. Doch es ist im Gehirn noch mehr, als in einer Bibliothek vorhanden; denn in dieser sind die Bücher durch kein Band unter einander verbunden, hingegen stehen die Spuren der Zeichen und Bilder in einem Zu- sammenhange, und ob wir gleich solches nicht begreifen können, so sind sie dennoch unter sich dergestalt verbun- den, daß die Erinnerung des einen, das andere nach sich zieht.
Sie sind aber in der Ordnung unter sich verbunden, wie sie dem Gehirn beigebracht werden. Wenn man ein Kind um den Namen eines nicht sehr bekannten Bau- mes, als des Kastanienbaums befrägt, so darf kaum der Lehrmeister die Silbe Ka aussprechen, so folgen die übri- gen Buchstaben so gleich nach.
Sie sind auch vermittelst ihrer Erklärung unter sich verbunden. Man will einen gerechten und frommen Für- sten wissen, so gleich fällt uns T. Antonius, M. Au- relius ein; und es fällt uns der verehrungswürdige Name George des Dritten ein. Frägt man nach kriegeri- schen Königen, so bietet sich von selbst die Jdee Alexan- ders, Cäsars, und Friederichs an. Der Durst, welchen wir empfinden, erinnert uns an die Jdee der Quelle, und an das sanfte Murmeln kühler Gewässer (m).
Sie
(k)[Spaltenumbruch]pag. 60.
(l) Der Mechanismus beim Cl. BONNET die gereizten Fasern sez- [Spaltenumbruch]
zen andre mit in Bewegung. p. 337.
(m)IDEM p. 133.
Der Verſtand. XVII. Buch.
die Seele ſo gleich, daß es eben die Jdee iſt, welche ſie ſuche. Bonnet nennt dieſes Erkennen Wiedererinnern (k).
Bei Gelegenheit der Farben, ſtellen ſich Farben vor dem Auge der Seele ein, und Toͤne erinnern uns an Toͤne; die Erwaͤhnung von einem Geſchmakke bringt uns aber nicht die Zeichen der Farben ins Gedaͤchtnis. Folg- lich iſt unſer Gehirn, der Erfahrung gemaͤs, eine unge- heuere Bibliothek (l) in der Zeichen und Bilder, gleichſam als Buͤcher, nach ihren Klaſſen und Verwandſchaften auf- geſtellt ſind. Doch es iſt im Gehirn noch mehr, als in einer Bibliothek vorhanden; denn in dieſer ſind die Buͤcher durch kein Band unter einander verbunden, hingegen ſtehen die Spuren der Zeichen und Bilder in einem Zu- ſammenhange, und ob wir gleich ſolches nicht begreifen koͤnnen, ſo ſind ſie dennoch unter ſich dergeſtalt verbun- den, daß die Erinnerung des einen, das andere nach ſich zieht.
Sie ſind aber in der Ordnung unter ſich verbunden, wie ſie dem Gehirn beigebracht werden. Wenn man ein Kind um den Namen eines nicht ſehr bekannten Bau- mes, als des Kaſtanienbaums befraͤgt, ſo darf kaum der Lehrmeiſter die Silbe Ka ausſprechen, ſo folgen die uͤbri- gen Buchſtaben ſo gleich nach.
Sie ſind auch vermittelſt ihrer Erklaͤrung unter ſich verbunden. Man will einen gerechten und frommen Fuͤr- ſten wiſſen, ſo gleich faͤllt uns T. Antonius, M. Au- relius ein; und es faͤllt uns der verehrungswuͤrdige Name George des Dritten ein. Fraͤgt man nach kriegeri- ſchen Koͤnigen, ſo bietet ſich von ſelbſt die Jdee Alexan- ders, Caͤſars, und Friederichs an. Der Durſt, welchen wir empfinden, erinnert uns an die Jdee der Quelle, und an das ſanfte Murmeln kuͤhler Gewaͤſſer (m).
Sie
(k)[Spaltenumbruch]pag. 60.
(l) Der Mechaniſmus beim Cl. BONNET die gereizten Faſern ſez- [Spaltenumbruch]
zen andre mit in Bewegung. p. 337.
(m)IDEM p. 133.
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Der Verſtand. XVII. Buch.
die Seele ſo gleich, daß es eben die Jdee iſt, welche ſie
ſuche. Bonnet nennt dieſes Erkennen Wiedererinnern (k).
Bei Gelegenheit der Farben, ſtellen ſich Farben vor
dem Auge der Seele ein, und Toͤne erinnern uns an
Toͤne; die Erwaͤhnung von einem Geſchmakke bringt uns
aber nicht die Zeichen der Farben ins Gedaͤchtnis. Folg-
lich iſt unſer Gehirn, der Erfahrung gemaͤs, eine unge-
heuere Bibliothek (l) in der Zeichen und Bilder, gleichſam
als Buͤcher, nach ihren Klaſſen und Verwandſchaften auf-
geſtellt ſind. Doch es iſt im Gehirn noch mehr, als in
einer Bibliothek vorhanden; denn in dieſer ſind die Buͤcher
durch kein Band unter einander verbunden, hingegen
ſtehen die Spuren der Zeichen und Bilder in einem Zu-
ſammenhange, und ob wir gleich ſolches nicht begreifen
koͤnnen, ſo ſind ſie dennoch unter ſich dergeſtalt verbun-
den, daß die Erinnerung des einen, das andere nach
ſich zieht.
Sie ſind aber in der Ordnung unter ſich verbunden,
wie ſie dem Gehirn beigebracht werden. Wenn man
ein Kind um den Namen eines nicht ſehr bekannten Bau-
mes, als des Kaſtanienbaums befraͤgt, ſo darf kaum der
Lehrmeiſter die Silbe Ka ausſprechen, ſo folgen die uͤbri-
gen Buchſtaben ſo gleich nach.
Sie ſind auch vermittelſt ihrer Erklaͤrung unter ſich
verbunden. Man will einen gerechten und frommen Fuͤr-
ſten wiſſen, ſo gleich faͤllt uns T. Antonius, M. Au-
relius ein; und es faͤllt uns der verehrungswuͤrdige
Name George des Dritten ein. Fraͤgt man nach kriegeri-
ſchen Koͤnigen, ſo bietet ſich von ſelbſt die Jdee Alexan-
ders, Caͤſars, und Friederichs an. Der Durſt,
welchen wir empfinden, erinnert uns an die Jdee der
Quelle, und an das ſanfte Murmeln kuͤhler Gewaͤſſer (m).
Sie
(k)
pag. 60.
(l) Der Mechaniſmus beim Cl.
BONNET die gereizten Faſern ſez-
zen andre mit in Bewegung. p.
337.
(m) IDEM p. 133.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1066. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1084>, abgerufen am 23.11.2024.
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