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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768.

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VIII. Abschnitt. Die Muthmassungen.
ben, oder wenigstens doch alle Kräfte des Lebens und
die Verdauungskräfte in den ersten Wegen verlieren.

Zweitens muß diese Nervenflüßigkeit nicht nur
höchst beweglich sein, sondern auch ohne Beihülfe des
Herzens, nur vom Willen und dem Eindrucke der Sin-
nen in Bewegung gesetzt werden können; hingegen muß
sie aber auch grosse Bewegungen verrichten können, ohne
die Kräfte des Herzens deswegen zu stören; indem
Krämpfe ohne Fieber sind, und ob es gleich nur sehr
kleine Nervchen sind, so geschehen dennoch in ihnen, da-
hingegen von dem kleinsten, mit dem Herzen verbundnen
Gefässe, das Gegentheil geschicht [Spaltenumbruch] y.

Drittens muß sie ein ungemein flüßiges Element
sein, um höchst schnelle Bewegungen zu verrichten, man
mag sie als eine Reihe von kleinen Kügelchen, da, wenn
einsgetroffen worden, das letzte ohne Zeitverlust zugleich
mitgetroffen wird, oder als einen sehr schnellen Strom
betrachten, oder man mag annehmen, daß alle Theile
im Nerven, von dem empfindenden Breie des Fingers
gegen das Gehirn hinauffliegen, und daß gegentheils die
Bewegungskräfte eben so schnell vom Gehirne in die Mu-
skeln des Fingers hinabsinken. Man kann diese Ge-
schwindigkeit auf vielerlei Weise entdecken. Es haben
berümte Männer von einem Jnseckte Erwähnung ge-
than z, welches in einer halben Sekunde seine Füsse
fünfhundertmal bewegt. Andre bemerken, daß man in-
nerhalb einer Sekunde den Arm viermal biegen könne,
und daß sich der zweiköpfige Muskel um drei Zolle vier-
mal verkürze, also innerhalb einer Sekunde einen Weg
achtmal durchlaufe, der zwei Fuß beträgt [Spaltenumbruch] a. Doch es
würde dieses nur eine kleine Geschwindigkeit sein.

Sie
y p. 373.
z Hist. de l'Acad. 1711. p. 18.
a Mem. XX. sur le mouv. des
muscl. p.
80.
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VIII. Abſchnitt. Die Muthmaſſungen.
ben, oder wenigſtens doch alle Kraͤfte des Lebens und
die Verdauungskraͤfte in den erſten Wegen verlieren.

Zweitens muß dieſe Nervenfluͤßigkeit nicht nur
hoͤchſt beweglich ſein, ſondern auch ohne Beihuͤlfe des
Herzens, nur vom Willen und dem Eindrucke der Sin-
nen in Bewegung geſetzt werden koͤnnen; hingegen muß
ſie aber auch groſſe Bewegungen verrichten koͤnnen, ohne
die Kraͤfte des Herzens deswegen zu ſtoͤren; indem
Kraͤmpfe ohne Fieber ſind, und ob es gleich nur ſehr
kleine Nervchen ſind, ſo geſchehen dennoch in ihnen, da-
hingegen von dem kleinſten, mit dem Herzen verbundnen
Gefaͤſſe, das Gegentheil geſchicht [Spaltenumbruch] y.

Drittens muß ſie ein ungemein fluͤßiges Element
ſein, um hoͤchſt ſchnelle Bewegungen zu verrichten, man
mag ſie als eine Reihe von kleinen Kuͤgelchen, da, wenn
einsgetroffen worden, das letzte ohne Zeitverluſt zugleich
mitgetroffen wird, oder als einen ſehr ſchnellen Strom
betrachten, oder man mag annehmen, daß alle Theile
im Nerven, von dem empfindenden Breie des Fingers
gegen das Gehirn hinauffliegen, und daß gegentheils die
Bewegungskraͤfte eben ſo ſchnell vom Gehirne in die Mu-
skeln des Fingers hinabſinken. Man kann dieſe Ge-
ſchwindigkeit auf vielerlei Weiſe entdecken. Es haben
beruͤmte Maͤnner von einem Jnſeckte Erwaͤhnung ge-
than z, welches in einer halben Sekunde ſeine Fuͤſſe
fuͤnfhundertmal bewegt. Andre bemerken, daß man in-
nerhalb einer Sekunde den Arm viermal biegen koͤnne,
und daß ſich der zweikoͤpfige Muskel um drei Zolle vier-
mal verkuͤrze, alſo innerhalb einer Sekunde einen Weg
achtmal durchlaufe, der zwei Fuß betraͤgt [Spaltenumbruch] a. Doch es
wuͤrde dieſes nur eine kleine Geſchwindigkeit ſein.

Sie
y p. 373.
z Hiſt. de l’Acad. 1711. p. 18.
a Mem. XX. ſur le mouv. des
muſcl. p.
80.
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[585/0621] VIII. Abſchnitt. Die Muthmaſſungen. ben, oder wenigſtens doch alle Kraͤfte des Lebens und die Verdauungskraͤfte in den erſten Wegen verlieren. Zweitens muß dieſe Nervenfluͤßigkeit nicht nur hoͤchſt beweglich ſein, ſondern auch ohne Beihuͤlfe des Herzens, nur vom Willen und dem Eindrucke der Sin- nen in Bewegung geſetzt werden koͤnnen; hingegen muß ſie aber auch groſſe Bewegungen verrichten koͤnnen, ohne die Kraͤfte des Herzens deswegen zu ſtoͤren; indem Kraͤmpfe ohne Fieber ſind, und ob es gleich nur ſehr kleine Nervchen ſind, ſo geſchehen dennoch in ihnen, da- hingegen von dem kleinſten, mit dem Herzen verbundnen Gefaͤſſe, das Gegentheil geſchicht y. Drittens muß ſie ein ungemein fluͤßiges Element ſein, um hoͤchſt ſchnelle Bewegungen zu verrichten, man mag ſie als eine Reihe von kleinen Kuͤgelchen, da, wenn einsgetroffen worden, das letzte ohne Zeitverluſt zugleich mitgetroffen wird, oder als einen ſehr ſchnellen Strom betrachten, oder man mag annehmen, daß alle Theile im Nerven, von dem empfindenden Breie des Fingers gegen das Gehirn hinauffliegen, und daß gegentheils die Bewegungskraͤfte eben ſo ſchnell vom Gehirne in die Mu- skeln des Fingers hinabſinken. Man kann dieſe Ge- ſchwindigkeit auf vielerlei Weiſe entdecken. Es haben beruͤmte Maͤnner von einem Jnſeckte Erwaͤhnung ge- than z, welches in einer halben Sekunde ſeine Fuͤſſe fuͤnfhundertmal bewegt. Andre bemerken, daß man in- nerhalb einer Sekunde den Arm viermal biegen koͤnne, und daß ſich der zweikoͤpfige Muskel um drei Zolle vier- mal verkuͤrze, alſo innerhalb einer Sekunde einen Weg achtmal durchlaufe, der zwei Fuß betraͤgt a. Doch es wuͤrde dieſes nur eine kleine Geſchwindigkeit ſein. Sie y p. 373. z Hiſt. de l’Acad. 1711. p. 18. a Mem. XX. ſur le mouv. des muſcl. p. 80. O o 5

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/621>, abgerufen am 22.11.2024.