Billig machen wir den Anfang von denjenigen Be- schaffenheiten, von welchen man glaubt, daß sie einem noch ungeschiednen Safte eigen sind. Es sollen die fol- gen, welche einen bereits geschiednen Saft bestimmen. Wir müssen aber bei dieser Geschichte aus dem Grunde alle mögliche Sorgfalt anwenden, da die berümtesten Männer, und selbst ein Ruysch(a), der von Hipote- sen so wenig hielte, dieser Verschiedenheit der Adernezze viele Kräfte beilegten, und von ihr allein die verschiedne Absonderungen herzuleiten glaubten.
Sie sahen, daß bald diese, bald jene Endigungen der Schlagäderchen, in den verschiedenen Theilen des menschlichen Körpers, bald mit diesen, bald mit jenen Absonderungen verbunden waren; und es schien nicht eben unwarscheinlich zu seyn, daß dieser Unterscheid in dem Schlagaderbaue ohne weise Absichten angebracht sey, da die Natur nichts unüberlegtes vor die Hand nimmt. Sie haben diese Entschliessung der Natur so erklärt, daß eine andre Einrichtung des Nezzwerkes auch eine andre Bestimmung des Werkzeuges nach sich ziehe, und wofern dieses Geschäfte darinnen bestünde, daß ein Saft abgesondert werde, so würde gleichsam ei- ne jede Bauart der Schlagäderchen ihren eignen Saft hervorbringen; vollkommen so, wie es bei den Pflanzen zugeht, in denen die Säfte verschieden sind, und deren Blätter offenbar zeigen, wie die Ribben darinnen bald diese, bald jene Wendungen machen. Ja sie überredten sich desto mehr, recht und warscheinlich gedacht zu ha- ben, weil sie die verschiednen Eigenschaften der flissen- den Säfte mit matematischen Gründen zu bestätigen glaubten.
Es
(a)[Spaltenumbruch]
Jn der Vorrede über die 6. thes. S. 6. Thes. max. n. 232. Ad- vers. anat. I. n. 5. III. n. 8. Er erinnert auch, daß die lezten [Spaltenumbruch]
Schlagaderendigungen in den ver- schiednen Theilen des menschlichen Körpers verschieden sind. Epist. III. S. 28.
Siebendes Buch. Die Urſachen
Billig machen wir den Anfang von denjenigen Be- ſchaffenheiten, von welchen man glaubt, daß ſie einem noch ungeſchiednen Safte eigen ſind. Es ſollen die fol- gen, welche einen bereits geſchiednen Saft beſtimmen. Wir muͤſſen aber bei dieſer Geſchichte aus dem Grunde alle moͤgliche Sorgfalt anwenden, da die beruͤmteſten Maͤnner, und ſelbſt ein Ruyſch(a), der von Hipote- ſen ſo wenig hielte, dieſer Verſchiedenheit der Adernezze viele Kraͤfte beilegten, und von ihr allein die verſchiedne Abſonderungen herzuleiten glaubten.
Sie ſahen, daß bald dieſe, bald jene Endigungen der Schlagaͤderchen, in den verſchiedenen Theilen des menſchlichen Koͤrpers, bald mit dieſen, bald mit jenen Abſonderungen verbunden waren; und es ſchien nicht eben unwarſcheinlich zu ſeyn, daß dieſer Unterſcheid in dem Schlagaderbaue ohne weiſe Abſichten angebracht ſey, da die Natur nichts unuͤberlegtes vor die Hand nimmt. Sie haben dieſe Entſchlieſſung der Natur ſo erklaͤrt, daß eine andre Einrichtung des Nezzwerkes auch eine andre Beſtimmung des Werkzeuges nach ſich ziehe, und wofern dieſes Geſchaͤfte darinnen beſtuͤnde, daß ein Saft abgeſondert werde, ſo wuͤrde gleichſam ei- ne jede Bauart der Schlagaͤderchen ihren eignen Saft hervorbringen; vollkommen ſo, wie es bei den Pflanzen zugeht, in denen die Saͤfte verſchieden ſind, und deren Blaͤtter offenbar zeigen, wie die Ribben darinnen bald dieſe, bald jene Wendungen machen. Ja ſie uͤberredten ſich deſto mehr, recht und warſcheinlich gedacht zu ha- ben, weil ſie die verſchiednen Eigenſchaften der fliſſen- den Saͤfte mit matematiſchen Gruͤnden zu beſtaͤtigen glaubten.
Es
(a)[Spaltenumbruch]
Jn der Vorrede uͤber die 6. theſ. S. 6. Theſ. max. n. 232. Ad- verſ. anat. I. n. 5. III. n. 8. Er erinnert auch, daß die lezten [Spaltenumbruch]
Schlagaderendigungen in den ver- ſchiednen Theilen des menſchlichen Koͤrpers verſchieden ſind. Epiſt. III. S. 28.
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Siebendes Buch. Die Urſachen
Billig machen wir den Anfang von denjenigen Be-
ſchaffenheiten, von welchen man glaubt, daß ſie einem
noch ungeſchiednen Safte eigen ſind. Es ſollen die fol-
gen, welche einen bereits geſchiednen Saft beſtimmen.
Wir muͤſſen aber bei dieſer Geſchichte aus dem Grunde
alle moͤgliche Sorgfalt anwenden, da die beruͤmteſten
Maͤnner, und ſelbſt ein Ruyſch (a), der von Hipote-
ſen ſo wenig hielte, dieſer Verſchiedenheit der Adernezze
viele Kraͤfte beilegten, und von ihr allein die verſchiedne
Abſonderungen herzuleiten glaubten.
Sie ſahen, daß bald dieſe, bald jene Endigungen
der Schlagaͤderchen, in den verſchiedenen Theilen des
menſchlichen Koͤrpers, bald mit dieſen, bald mit jenen
Abſonderungen verbunden waren; und es ſchien nicht
eben unwarſcheinlich zu ſeyn, daß dieſer Unterſcheid in
dem Schlagaderbaue ohne weiſe Abſichten angebracht
ſey, da die Natur nichts unuͤberlegtes vor die Hand
nimmt. Sie haben dieſe Entſchlieſſung der Natur ſo
erklaͤrt, daß eine andre Einrichtung des Nezzwerkes
auch eine andre Beſtimmung des Werkzeuges nach ſich
ziehe, und wofern dieſes Geſchaͤfte darinnen beſtuͤnde,
daß ein Saft abgeſondert werde, ſo wuͤrde gleichſam ei-
ne jede Bauart der Schlagaͤderchen ihren eignen Saft
hervorbringen; vollkommen ſo, wie es bei den Pflanzen
zugeht, in denen die Saͤfte verſchieden ſind, und deren
Blaͤtter offenbar zeigen, wie die Ribben darinnen bald
dieſe, bald jene Wendungen machen. Ja ſie uͤberredten
ſich deſto mehr, recht und warſcheinlich gedacht zu ha-
ben, weil ſie die verſchiednen Eigenſchaften der fliſſen-
den Saͤfte mit matematiſchen Gruͤnden zu beſtaͤtigen
glaubten.
Es
(a)
Jn der Vorrede uͤber die 6.
theſ. S. 6. Theſ. max. n. 232. Ad-
verſ. anat. I. n. 5. III. n. 8. Er
erinnert auch, daß die lezten
Schlagaderendigungen in den ver-
ſchiednen Theilen des menſchlichen
Koͤrpers verſchieden ſind. Epiſt.
III. S. 28.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 688. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende02_1762/708>, abgerufen am 22.11.2024.
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