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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762.

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Siebendes Buch. Die Ursachen
abhängt und zusammengesezzt ist, so kann selbige als
zwo Seiten eines Parallelogramms angesehen werden,
davon die eine Seite der Fall der Schwere, die andre
aber der Drukk vom Herzen ist, da denn die Diagonal-
linie den Mittelweg bestimmt, den das von diesen zwoen
Kräften zugleich in Bewegung gesezzte Blut nunmehr
nimmt. Je kleiner die Schwere ist, um desto mehr
überwältigt selbige die Kraft des Herzens: je grösser die
Schwere wird, desto stärker wird es auf den untern Bo-
gen der Aorte herabgezogen, weil sie alsdenn über die
Kraft des Herzens die Oberhand bekommt. Es werden
nämlich diejenigen Theilchen, welche mitten in der Luft
schwimmen, auch im Blute oben aufsteigen, und von
der gemeinschaftlichen Kraft des Herzens dem Haupte zu-
gesendet, aber von einem kleinern Gewichte schwächer,
als alle andre, in die untern Aeste der Aorte getrieben
werden.

Hieraus scheint man abzunehmen, warum der Kam-
fer (r), Weingeist, oder der flüchtige Damf des Pir-
monterbrunnens so plözlich ihre Wirksamkeit im Kopfe
ausüben (s), und ein stumfes Gefül, oder eine völlige
Berauschung ehe hervorbringen, als sie etwas in an-
dren Körperteilen verändern. Man kann auch hieher
ziehen, daß die flüchtigsten Gifte, und besonders die
Blatternausflüsse, vornämlich ihre Strenge das Antliz
fülen lassen, da doch solches von dem beständigen An-
blasen der Luft vielmehr eine dichtere Haut, als ein an-
drer körperlicher Theil bekommen hat. Jch weis nicht,
ob nicht auch hieher gehören sollte, daß Opium (t) und
andre ins Gehirn wirkende Gifte einem Menschen, auch
nur in ganz kleiner Dose, desto mehr Schaden zufügt,

da
(r) [Spaltenumbruch] Prim. lin. physiolog. n.
339.
(s) Aus dem erhabnen Theile
des Bogens der Aorte dringen die-
jenigen Theilchen empor, welche
eine stärkre vis centrifuga vor an-
[Spaltenumbruch] dern haben. P. michelotti, mar-
tine
de animal. similib.
S. 58.
(t) Ein Hund verträgt eine un-
geheure Menge Opium, und ver-
schlingt ohne Gefar bis zwei
Quentchen. sproegel Exp. 23. 24.

Siebendes Buch. Die Urſachen
abhaͤngt und zuſammengeſezzt iſt, ſo kann ſelbige als
zwo Seiten eines Parallelogramms angeſehen werden,
davon die eine Seite der Fall der Schwere, die andre
aber der Drukk vom Herzen iſt, da denn die Diagonal-
linie den Mittelweg beſtimmt, den das von dieſen zwoen
Kraͤften zugleich in Bewegung geſezzte Blut nunmehr
nimmt. Je kleiner die Schwere iſt, um deſto mehr
uͤberwaͤltigt ſelbige die Kraft des Herzens: je groͤſſer die
Schwere wird, deſto ſtaͤrker wird es auf den untern Bo-
gen der Aorte herabgezogen, weil ſie alsdenn uͤber die
Kraft des Herzens die Oberhand bekommt. Es werden
naͤmlich diejenigen Theilchen, welche mitten in der Luft
ſchwimmen, auch im Blute oben aufſteigen, und von
der gemeinſchaftlichen Kraft des Herzens dem Haupte zu-
geſendet, aber von einem kleinern Gewichte ſchwaͤcher,
als alle andre, in die untern Aeſte der Aorte getrieben
werden.

Hieraus ſcheint man abzunehmen, warum der Kam-
fer (r), Weingeiſt, oder der fluͤchtige Damf des Pir-
monterbrunnens ſo ploͤzlich ihre Wirkſamkeit im Kopfe
ausuͤben (s), und ein ſtumfes Gefuͤl, oder eine voͤllige
Berauſchung ehe hervorbringen, als ſie etwas in an-
dren Koͤrperteilen veraͤndern. Man kann auch hieher
ziehen, daß die fluͤchtigſten Gifte, und beſonders die
Blatternausfluͤſſe, vornaͤmlich ihre Strenge das Antliz
fuͤlen laſſen, da doch ſolches von dem beſtaͤndigen An-
blaſen der Luft vielmehr eine dichtere Haut, als ein an-
drer koͤrperlicher Theil bekommen hat. Jch weis nicht,
ob nicht auch hieher gehoͤren ſollte, daß Opium (t) und
andre ins Gehirn wirkende Gifte einem Menſchen, auch
nur in ganz kleiner Doſe, deſto mehr Schaden zufuͤgt,

da
(r) [Spaltenumbruch] Prim. lin. phyſiolog. n.
339.
(s) Aus dem erhabnen Theile
des Bogens der Aorte dringen die-
jenigen Theilchen empor, welche
eine ſtaͤrkre vis centrifuga vor an-
[Spaltenumbruch] dern haben. P. michelotti, mar-
tine
de animal. ſimilib.
S. 58.
(t) Ein Hund vertraͤgt eine un-
geheure Menge Opium, und ver-
ſchlingt ohne Gefar bis zwei
Quentchen. ſproegel Exp. 23. 24.
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[672/0692] Siebendes Buch. Die Urſachen abhaͤngt und zuſammengeſezzt iſt, ſo kann ſelbige als zwo Seiten eines Parallelogramms angeſehen werden, davon die eine Seite der Fall der Schwere, die andre aber der Drukk vom Herzen iſt, da denn die Diagonal- linie den Mittelweg beſtimmt, den das von dieſen zwoen Kraͤften zugleich in Bewegung geſezzte Blut nunmehr nimmt. Je kleiner die Schwere iſt, um deſto mehr uͤberwaͤltigt ſelbige die Kraft des Herzens: je groͤſſer die Schwere wird, deſto ſtaͤrker wird es auf den untern Bo- gen der Aorte herabgezogen, weil ſie alsdenn uͤber die Kraft des Herzens die Oberhand bekommt. Es werden naͤmlich diejenigen Theilchen, welche mitten in der Luft ſchwimmen, auch im Blute oben aufſteigen, und von der gemeinſchaftlichen Kraft des Herzens dem Haupte zu- geſendet, aber von einem kleinern Gewichte ſchwaͤcher, als alle andre, in die untern Aeſte der Aorte getrieben werden. Hieraus ſcheint man abzunehmen, warum der Kam- fer (r), Weingeiſt, oder der fluͤchtige Damf des Pir- monterbrunnens ſo ploͤzlich ihre Wirkſamkeit im Kopfe ausuͤben (s), und ein ſtumfes Gefuͤl, oder eine voͤllige Berauſchung ehe hervorbringen, als ſie etwas in an- dren Koͤrperteilen veraͤndern. Man kann auch hieher ziehen, daß die fluͤchtigſten Gifte, und beſonders die Blatternausfluͤſſe, vornaͤmlich ihre Strenge das Antliz fuͤlen laſſen, da doch ſolches von dem beſtaͤndigen An- blaſen der Luft vielmehr eine dichtere Haut, als ein an- drer koͤrperlicher Theil bekommen hat. Jch weis nicht, ob nicht auch hieher gehoͤren ſollte, daß Opium (t) und andre ins Gehirn wirkende Gifte einem Menſchen, auch nur in ganz kleiner Doſe, deſto mehr Schaden zufuͤgt, da (r) Prim. lin. phyſiolog. n. 339. (s) Aus dem erhabnen Theile des Bogens der Aorte dringen die- jenigen Theilchen empor, welche eine ſtaͤrkre vis centrifuga vor an- dern haben. P. michelotti, mar- tine de animal. ſimilib. S. 58. (t) Ein Hund vertraͤgt eine un- geheure Menge Opium, und ver- ſchlingt ohne Gefar bis zwei Quentchen. ſproegel Exp. 23. 24.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende02_1762/692>, abgerufen am 25.11.2024.