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Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 2. Hamburg, 1744.

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und musicalischen Stücke, einerley Namen brauchten. Alle drey hiessen
ohne Unterscheid [fremdsprachliches Material - 1 Wort fehlt], [fremdsprachliches Material - 1 Wort fehlt], [fremdsprachliches Material - 1 Wort fehlt], Lieder oder Gesänge; und ihre
Verfasser [fremdsprachliches Material - 1 Wort fehlt], [fremdsprachliches Material - 1 Wort fehlt], [fremdsprachliches Material - 1 Wort fehlt], oder Sänger.

Diese Namen erwecken uns oft Schwierigkeiten, wenn wir die
Alten lesen. Man weiß nicht, ob sie von den Musicis, oder von den
Poeten, oder von denen, welche sich mit Liedern beschäftigten, haben
reden wollen. Wir finden hiervon einige dunkle Stellen in der Odys-
see des Homers. Jn dem ersten Buche singet Phemius den Liebhabern
der Penelope vor, wie schwer es sey, daß die Griechen nach der Belage-
rung der Stadt Troja wieder zurück kommen könnten. Jn dem drit-
ten erscheinet ein Sänger, den Agamemnon bey seiner Gemahlinn Cly-
temnestra gelassen hatte, daß er sie belustigen, und während seiner Ab-
wesenheit unterrichten sollte. Jn dem vierten singet und tanzet man
bey einem Gastmahle, welches Menelaus seinen Bürgern gab. Jn dem
achten singet Demodocus bey den Phäazern von den Buhlereyen des
Mars und der Venus. Jm zwölften findet Ulysses das Mittel, dem
Singen der Sirenen sicher zu zuhören. Jm ein und zwanzigsten erhe-
bet Phemius, den die Liebhaber der Penelope wider seinen Willen zu sin-
gen zwangen, vor dem Ulysses den Werth seines Singens, um dadurch
dem Tode zu entgehen.

Athenäus,8 welcher gewohnt ist, die Musicos, die Dichter und
die Sänger, wenn ich diesen Namen brauchen darf, durch besondere
Benennungen zu unterscheiden, giebt denen Personen in der Odyssee,
die ich eben angeführet habe, nur den letzten Namen; und er redet von
ihnen ziemlich weitläuftig, wie er auf die Lieder kömmt, die man bey
Tische sang, ohne in andern Stellen, wo er von der Poesie und Music
sehr ausführlich gehandelt hat, das geringste von ihnen zu sagen. Er
hat also geglaubet, daß in diesen Erzählungen der Odyssee bloß von Lie-
dern die Rede sey. Es würde leicht seyn, zu zeigen, daß einige Scho-
liasten des Homers und andere Gelehrten eben so, wie Athenäus, ge-
dacht haben. Allein, weil Cicero, Strabo,9 Quintilian,10 und
viele Schriftsteller nach ihnen, diese Lieder, welche Homerus preiset, zur
Dichtkunst oder zur Music zu rechnen scheinen: so wollen wir uns nicht
weiter dabey auf halten.

Man könnte noch viele Werke der lyrischen Dichter Griechenlandes
unter die Lieder zählen. Da aber dieses nicht ohne einige Schwierig-
keiten geschehen würde: so müssen wir hier bey denen Stücken bleiben,
welche den Character eines Liedes so deutlich haben, daß wir keinen Feh-
ler begehen, wenn wir sie so nennen.

Der-
8 Athen. Lib. I. C. 12.
9 Strabo Lib. I.
10 Quintil. Lib. I. C. X.
A 3

und muſicaliſchen Stuͤcke, einerley Namen brauchten. Alle drey hieſſen
ohne Unterſcheid [fremdsprachliches Material – 1 Wort fehlt], [fremdsprachliches Material – 1 Wort fehlt], [fremdsprachliches Material – 1 Wort fehlt], Lieder oder Geſaͤnge; und ihre
Verfaſſer [fremdsprachliches Material – 1 Wort fehlt], [fremdsprachliches Material – 1 Wort fehlt], [fremdsprachliches Material – 1 Wort fehlt], oder Saͤnger.

Dieſe Namen erwecken uns oft Schwierigkeiten, wenn wir die
Alten leſen. Man weiß nicht, ob ſie von den Muſicis, oder von den
Poeten, oder von denen, welche ſich mit Liedern beſchaͤftigten, haben
reden wollen. Wir finden hiervon einige dunkle Stellen in der Odyſ-
ſee des Homers. Jn dem erſten Buche ſinget Phemius den Liebhabern
der Penelope vor, wie ſchwer es ſey, daß die Griechen nach der Belage-
rung der Stadt Troja wieder zuruͤck kommen koͤnnten. Jn dem drit-
ten erſcheinet ein Saͤnger, den Agamemnon bey ſeiner Gemahlinn Cly-
temneſtra gelaſſen hatte, daß er ſie beluſtigen, und waͤhrend ſeiner Ab-
weſenheit unterrichten ſollte. Jn dem vierten ſinget und tanzet man
bey einem Gaſtmahle, welches Menelaus ſeinen Buͤrgern gab. Jn dem
achten ſinget Demodocus bey den Phaͤazern von den Buhlereyen des
Mars und der Venus. Jm zwoͤlften findet Ulyſſes das Mittel, dem
Singen der Sirenen ſicher zu zuhoͤren. Jm ein und zwanzigſten erhe-
bet Phemius, den die Liebhaber der Penelope wider ſeinen Willen zu ſin-
gen zwangen, vor dem Ulyſſes den Werth ſeines Singens, um dadurch
dem Tode zu entgehen.

Athenaͤus,8 welcher gewohnt iſt, die Muſicos, die Dichter und
die Saͤnger, wenn ich dieſen Namen brauchen darf, durch beſondere
Benennungen zu unterſcheiden, giebt denen Perſonen in der Odyſſee,
die ich eben angefuͤhret habe, nur den letzten Namen; und er redet von
ihnen ziemlich weitlaͤuftig, wie er auf die Lieder koͤmmt, die man bey
Tiſche ſang, ohne in andern Stellen, wo er von der Poeſie und Muſic
ſehr ausfuͤhrlich gehandelt hat, das geringſte von ihnen zu ſagen. Er
hat alſo geglaubet, daß in dieſen Erzaͤhlungen der Odyſſee bloß von Lie-
dern die Rede ſey. Es wuͤrde leicht ſeyn, zu zeigen, daß einige Scho-
liaſten des Homers und andere Gelehrten eben ſo, wie Athenaͤus, ge-
dacht haben. Allein, weil Cicero, Strabo,9 Quintilian,10 und
viele Schriftſteller nach ihnen, dieſe Lieder, welche Homerus preiſet, zur
Dichtkunſt oder zur Muſic zu rechnen ſcheinen: ſo wollen wir uns nicht
weiter dabey auf halten.

Man koͤnnte noch viele Werke der lyriſchen Dichter Griechenlandes
unter die Lieder zaͤhlen. Da aber dieſes nicht ohne einige Schwierig-
keiten geſchehen wuͤrde: ſo muͤſſen wir hier bey denen Stuͤcken bleiben,
welche den Character eines Liedes ſo deutlich haben, daß wir keinen Feh-
ler begehen, wenn wir ſie ſo nennen.

Der-
8 Athen. Lib. I. C. 12.
9 Strabo Lib. I.
10 Quintil. Lib. I. C. X.
A 3
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Zitationshilfe: Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 2. Hamburg, 1744, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagedorn_sammlung02_1744/15>, abgerufen am 18.04.2024.