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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Gasträa-Theorie. IV.

Besonders wichtig erschien mir dabei der Umstand, daß
bei den Schwammthieren und bei den niederen Nesselthieren
(Polypen, Medusen) der Körper lange Zeit hindurch oder selbst
zeitlebens bloß aus zwei einfachen Zellenschichten besteht; bei
den Medusen hatte diese schon Huxley (1849) mit den beiden
primären Keimblättern der Wirbelthiere verglichen. Gestützt auf
diese Beobachtungen und Vergleichungen stellte ich dann 1872 in
meiner "Philosophie der Kalkschwämme" die Gasträa-Theorie"
auf, deren wesentlichste Lehrsätze folgende sind: I. Das ganze
Thierreich zerfällt in zwei wesentlich verschiedene Hauptgruppen,
die einzelligen Urthiere (Protozoa) und die vielzelligen Ge-
webthiere
(Metazoa); der ganze Organismus der Protozoen
(Rhizopoden und Infusorien) bleibt zeitlebens eine einfache
Zelle (seltener ein lockerer Zellverein, ohne Gewebebildung, ein
Coenobium); dagegen der Organismus der Metazoen ist nur
im ersten Beginn einzellig, später aus vielen Zellen zusammen-
gesetzt, welche Gewebe bilden. II. Daher ist auch die Fort-
pflanzung und Entwickelung in beiden Hauptgruppen der Thiere
wesentlich verschieden; die Protozoen vermehren sich gewöhnlich
nur ungeschlechtlich, durch Theilung, Knospung oder
Sporenbildung; sie besitzen noch keine echten Eier und kein
Sperma. Die Metazoen dagegen sind in männliches und weib-
liches Geschlecht geschieden und vermehren sich vorwiegend
geschlechtlich, mittelst echter Eier, welche vom männlichen
Samen befruchtet werden. III. Daher entstehen auch nur bei
den Metazoen wirkliche Keimblätter, und aus diesen Ge-
webe
, während solche den Protozoen noch ganz fehlen. IV. Bei
allen Metazoen entstehen zunächst nur zwei primäre Keimblätter,
und diese haben überall dieselbe wesentliche Bedeutung: aus dem
äußeren Hautblatt entwickelt sich die äußere Hautdecke und das
Nervensystem; aus dem inneren Darmblatt hingegen der Darm-
kanal und alle übrigen Organe. V. Die Keimform, welche überall zu-

Gaſträa-Theorie. IV.

Beſonders wichtig erſchien mir dabei der Umſtand, daß
bei den Schwammthieren und bei den niederen Neſſelthieren
(Polypen, Meduſen) der Körper lange Zeit hindurch oder ſelbſt
zeitlebens bloß aus zwei einfachen Zellenſchichten beſteht; bei
den Meduſen hatte dieſe ſchon Huxley (1849) mit den beiden
primären Keimblättern der Wirbelthiere verglichen. Geſtützt auf
dieſe Beobachtungen und Vergleichungen ſtellte ich dann 1872 in
meiner „Philoſophie der Kalkſchwämme“ die Gaſträa-Theorie
auf, deren weſentlichſte Lehrſätze folgende ſind: I. Das ganze
Thierreich zerfällt in zwei weſentlich verſchiedene Hauptgruppen,
die einzelligen Urthiere (Protozoa) und die vielzelligen Ge-
webthiere
(Metazoa); der ganze Organismus der Protozoen
(Rhizopoden und Infuſorien) bleibt zeitlebens eine einfache
Zelle (ſeltener ein lockerer Zellverein, ohne Gewebebildung, ein
Coenobium); dagegen der Organismus der Metazoen iſt nur
im erſten Beginn einzellig, ſpäter aus vielen Zellen zuſammen-
geſetzt, welche Gewebe bilden. II. Daher iſt auch die Fort-
pflanzung und Entwickelung in beiden Hauptgruppen der Thiere
weſentlich verſchieden; die Protozoen vermehren ſich gewöhnlich
nur ungeſchlechtlich, durch Theilung, Knoſpung oder
Sporenbildung; ſie beſitzen noch keine echten Eier und kein
Sperma. Die Metazoen dagegen ſind in männliches und weib-
liches Geſchlecht geſchieden und vermehren ſich vorwiegend
geſchlechtlich, mittelſt echter Eier, welche vom männlichen
Samen befruchtet werden. III. Daher entſtehen auch nur bei
den Metazoen wirkliche Keimblätter, und aus dieſen Ge-
webe
, während ſolche den Protozoen noch ganz fehlen. IV. Bei
allen Metazoen entſtehen zunächſt nur zwei primäre Keimblätter,
und dieſe haben überall dieſelbe weſentliche Bedeutung: aus dem
äußeren Hautblatt entwickelt ſich die äußere Hautdecke und das
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kanal und alle übrigen Organe. V. Die Keimform, welche überall zu-

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[70/0086] Gaſträa-Theorie. IV. Beſonders wichtig erſchien mir dabei der Umſtand, daß bei den Schwammthieren und bei den niederen Neſſelthieren (Polypen, Meduſen) der Körper lange Zeit hindurch oder ſelbſt zeitlebens bloß aus zwei einfachen Zellenſchichten beſteht; bei den Meduſen hatte dieſe ſchon Huxley (1849) mit den beiden primären Keimblättern der Wirbelthiere verglichen. Geſtützt auf dieſe Beobachtungen und Vergleichungen ſtellte ich dann 1872 in meiner „Philoſophie der Kalkſchwämme“ die Gaſträa-Theorie“ auf, deren weſentlichſte Lehrſätze folgende ſind: I. Das ganze Thierreich zerfällt in zwei weſentlich verſchiedene Hauptgruppen, die einzelligen Urthiere (Protozoa) und die vielzelligen Ge- webthiere (Metazoa); der ganze Organismus der Protozoen (Rhizopoden und Infuſorien) bleibt zeitlebens eine einfache Zelle (ſeltener ein lockerer Zellverein, ohne Gewebebildung, ein Coenobium); dagegen der Organismus der Metazoen iſt nur im erſten Beginn einzellig, ſpäter aus vielen Zellen zuſammen- geſetzt, welche Gewebe bilden. II. Daher iſt auch die Fort- pflanzung und Entwickelung in beiden Hauptgruppen der Thiere weſentlich verſchieden; die Protozoen vermehren ſich gewöhnlich nur ungeſchlechtlich, durch Theilung, Knoſpung oder Sporenbildung; ſie beſitzen noch keine echten Eier und kein Sperma. Die Metazoen dagegen ſind in männliches und weib- liches Geſchlecht geſchieden und vermehren ſich vorwiegend geſchlechtlich, mittelſt echter Eier, welche vom männlichen Samen befruchtet werden. III. Daher entſtehen auch nur bei den Metazoen wirkliche Keimblätter, und aus dieſen Ge- webe, während ſolche den Protozoen noch ganz fehlen. IV. Bei allen Metazoen entſtehen zunächſt nur zwei primäre Keimblätter, und dieſe haben überall dieſelbe weſentliche Bedeutung: aus dem äußeren Hautblatt entwickelt ſich die äußere Hautdecke und das Nervenſyſtem; aus dem inneren Darmblatt hingegen der Darm- kanal und alle übrigen Organe. V. Die Keimform, welche überall zu-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/86>, abgerufen am 23.11.2024.