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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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IV. Gasträa-Theorie.

Gasträa-Theorie. Alle älteren Untersuchungen über Keim-
bildung betrafen den Menschen und die höheren Wirbel-
thiere
, vor Allem aber den Vogelkeim: denn das Hühner-Ei
ist das größte und bequemste Objekt dafür, und steht jederzeit
in beliebiger Menge zur Verfügung; man kann in der Brut-
maschine sehr bequem (-- wie bei der natürlichen Bebrütung
durch die Henne --) das Ei ausbrüten und dabei stündlich
die ganze Reihe der Umbildungen, von der einfachen Eizelle bis
zum fertigen Vogelkörper, innerhalb drei Wochen beobachten.
Auch Baer hatte nur für die verschiedenen Klassen der Wirbel-
thiere die Uebereinstimmung in der charakteristischen Bildung der
Keimblätter und in der Entstehung der einzelnen Organe aus
denselben nachweisen können. Dagegen in den zahlreichen Klassen
der Wirbellosen -- also der großen Mehrzahl der Thiere --
schien die Keimung in wesentlich verschiedener Weise abzulaufen,
und den Meisten schienen wirkliche Keimblätter ganz zu fehlen.
Erst um die Mitte des Jahrhunderts wurden solche auch bei
einzelnen Wirbellosen nachgewiesen, so von Huxley 1849 bei
den Medusen, und von Kölliker 1844 bei den Cephalopoden.
Besonders wichtig wurden sodann die Entdeckung von Kowa-
lewsky
(1866), daß das niederste Wirbelthier, der Lanzelot
oder Amphioxus sich genau in derselben, und zwar in einer
sehr ursprünglichen Weise entwickelt, wie ein wirbelloses, an-
scheinend ganz entferntes Mantelthier, die Seescheide oder
Ascidia. Auch bei verschiedenen Würmern, Sternthieren und
Gliederthieren wies derselbe Beobachter eine ähnliche Bildung
der Keimblätter nach. Ich selbst war damals (seit 1866) mit
der Entwickelungsgeschichte der Spongien, Korallen, Medusen und
Siphonophoren beschäftigt, und da ich auch bei diesen niedersten
Klassen der vielzelligen Thiere überall dieselbe Bildung von zwei
primären Keimblättern fand, gelangte ich zu der Ueberzeugung, daß
dieser wichtige Keimungsvorgang im ganzen Thierreiche derselbe ist.

IV. Gaſträa-Theorie.

Gaſträa-Theorie. Alle älteren Unterſuchungen über Keim-
bildung betrafen den Menſchen und die höheren Wirbel-
thiere
, vor Allem aber den Vogelkeim: denn das Hühner-Ei
iſt das größte und bequemſte Objekt dafür, und ſteht jederzeit
in beliebiger Menge zur Verfügung; man kann in der Brut-
maſchine ſehr bequem (— wie bei der natürlichen Bebrütung
durch die Henne —) das Ei ausbrüten und dabei ſtündlich
die ganze Reihe der Umbildungen, von der einfachen Eizelle bis
zum fertigen Vogelkörper, innerhalb drei Wochen beobachten.
Auch Baer hatte nur für die verſchiedenen Klaſſen der Wirbel-
thiere die Uebereinſtimmung in der charakteriſtiſchen Bildung der
Keimblätter und in der Entſtehung der einzelnen Organe aus
denſelben nachweiſen können. Dagegen in den zahlreichen Klaſſen
der Wirbelloſen — alſo der großen Mehrzahl der Thiere —
ſchien die Keimung in weſentlich verſchiedener Weiſe abzulaufen,
und den Meiſten ſchienen wirkliche Keimblätter ganz zu fehlen.
Erſt um die Mitte des Jahrhunderts wurden ſolche auch bei
einzelnen Wirbelloſen nachgewieſen, ſo von Huxley 1849 bei
den Meduſen, und von Kölliker 1844 bei den Cephalopoden.
Beſonders wichtig wurden ſodann die Entdeckung von Kowa-
lewsky
(1866), daß das niederſte Wirbelthier, der Lanzelot
oder Amphioxuſ ſich genau in derſelben, und zwar in einer
ſehr urſprünglichen Weiſe entwickelt, wie ein wirbelloſes, an-
ſcheinend ganz entferntes Mantelthier, die Seeſcheide oder
Aſcidia. Auch bei verſchiedenen Würmern, Sternthieren und
Gliederthieren wies derſelbe Beobachter eine ähnliche Bildung
der Keimblätter nach. Ich ſelbſt war damals (ſeit 1866) mit
der Entwickelungsgeſchichte der Spongien, Korallen, Meduſen und
Siphonophoren beſchäftigt, und da ich auch bei dieſen niederſten
Klaſſen der vielzelligen Thiere überall dieſelbe Bildung von zwei
primären Keimblättern fand, gelangte ich zu der Ueberzeugung, daß
dieſer wichtige Keimungsvorgang im ganzen Thierreiche derſelbe iſt.

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[69/0085] IV. Gaſträa-Theorie. Gaſträa-Theorie. Alle älteren Unterſuchungen über Keim- bildung betrafen den Menſchen und die höheren Wirbel- thiere, vor Allem aber den Vogelkeim: denn das Hühner-Ei iſt das größte und bequemſte Objekt dafür, und ſteht jederzeit in beliebiger Menge zur Verfügung; man kann in der Brut- maſchine ſehr bequem (— wie bei der natürlichen Bebrütung durch die Henne —) das Ei ausbrüten und dabei ſtündlich die ganze Reihe der Umbildungen, von der einfachen Eizelle bis zum fertigen Vogelkörper, innerhalb drei Wochen beobachten. Auch Baer hatte nur für die verſchiedenen Klaſſen der Wirbel- thiere die Uebereinſtimmung in der charakteriſtiſchen Bildung der Keimblätter und in der Entſtehung der einzelnen Organe aus denſelben nachweiſen können. Dagegen in den zahlreichen Klaſſen der Wirbelloſen — alſo der großen Mehrzahl der Thiere — ſchien die Keimung in weſentlich verſchiedener Weiſe abzulaufen, und den Meiſten ſchienen wirkliche Keimblätter ganz zu fehlen. Erſt um die Mitte des Jahrhunderts wurden ſolche auch bei einzelnen Wirbelloſen nachgewieſen, ſo von Huxley 1849 bei den Meduſen, und von Kölliker 1844 bei den Cephalopoden. Beſonders wichtig wurden ſodann die Entdeckung von Kowa- lewsky (1866), daß das niederſte Wirbelthier, der Lanzelot oder Amphioxuſ ſich genau in derſelben, und zwar in einer ſehr urſprünglichen Weiſe entwickelt, wie ein wirbelloſes, an- ſcheinend ganz entferntes Mantelthier, die Seeſcheide oder Aſcidia. Auch bei verſchiedenen Würmern, Sternthieren und Gliederthieren wies derſelbe Beobachter eine ähnliche Bildung der Keimblätter nach. Ich ſelbſt war damals (ſeit 1866) mit der Entwickelungsgeſchichte der Spongien, Korallen, Meduſen und Siphonophoren beſchäftigt, und da ich auch bei dieſen niederſten Klaſſen der vielzelligen Thiere überall dieſelbe Bildung von zwei primären Keimblättern fand, gelangte ich zu der Ueberzeugung, daß dieſer wichtige Keimungsvorgang im ganzen Thierreiche derſelbe iſt.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/85>, abgerufen am 23.11.2024.