reinen Kultus des "Wahren, Guten und Schönen", welcher den Kern unserer neuen monistischen Religion bildet, finden wir reichen Ersatz für die verlorenen anthropistischen Ideale von "Gott, Freiheit und Unsterblichkeit".
In der vorliegenden Behandlung der Welträthsel habe ich meinen konsequenten monistischen Standpunkt scharf betont und den Gegensatz zu der dualistischen, heute noch herrschenden Welt- anschauung klar hervorgehoben. Ich stütze mich dabei auf die Zustimmung fast aller modernen Naturforscher, welche überhaupt Neigung und Muth zum Bekenntniß einer abgerundeten philo- sophischen Ueberzeugung besitzen. Ich möchte aber von meinen Lesern nicht Abschied nehmen, ohne versöhnlich darauf hinzu- weisen, daß dieser schroffe Gegensatz bei konsequentem und klarem Denken sich bis zu einem gewissen Grade mildert, ja selbst bis zu einer erfreulichen Harmonie gelöst werden kann. Bei völlig folgerichtigem Denken, bei gleichmäßiger Anwendung der höchsten Principien auf das Gesammtgebiet des Kosmos -- der organischen und anorganischen Natur --, nähern sich die Gegen- sätze des Theismus und Pantheismus, des Vitalismus und Mechanismus bis zur Berührung. Aber freilich, konsequentes Denken bleibt eine seltene Natur-Erscheinung! Die große Mehr- zahl aller Philosophen möchte mit der rechten Hand das reine, auf Erfahrung begründete Wissen ergreifen, kann aber gleich- zeitig nicht den mystischen, auf Offenbarung gestützten Glauben entbehren, den sie mit der linken Hand festhält. Charakteristisch für diesen widerspruchsvollen Dualismus bleibt der Konflikt zwischen der reinen und der praktischen Vernunft in der kritischen Philosophie des höchstgestellten neueren Denkers, des großen Immanuel Kant.
Dagegen ist immer die Zahl derjenigen Denker klein gewesen, welche diesen Dualismus tapfer überwanden und sich dem reinen Monismus zuwendeten. Das gilt ebensowohl für die konsequenten
XX. Schlußbetrachtung.
reinen Kultus des „Wahren, Guten und Schönen“, welcher den Kern unſerer neuen moniſtiſchen Religion bildet, finden wir reichen Erſatz für die verlorenen anthropiſtiſchen Ideale von „Gott, Freiheit und Unſterblichkeit“.
In der vorliegenden Behandlung der Welträthſel habe ich meinen konſequenten moniſtiſchen Standpunkt ſcharf betont und den Gegenſatz zu der dualiſtiſchen, heute noch herrſchenden Welt- anſchauung klar hervorgehoben. Ich ſtütze mich dabei auf die Zuſtimmung faſt aller modernen Naturforſcher, welche überhaupt Neigung und Muth zum Bekenntniß einer abgerundeten philo- ſophiſchen Ueberzeugung beſitzen. Ich möchte aber von meinen Leſern nicht Abſchied nehmen, ohne verſöhnlich darauf hinzu- weiſen, daß dieſer ſchroffe Gegenſatz bei konſequentem und klarem Denken ſich bis zu einem gewiſſen Grade mildert, ja ſelbſt bis zu einer erfreulichen Harmonie gelöſt werden kann. Bei völlig folgerichtigem Denken, bei gleichmäßiger Anwendung der höchſten Principien auf das Geſammtgebiet des Kosmos — der organiſchen und anorganiſchen Natur —, nähern ſich die Gegen- ſätze des Theismus und Pantheismus, des Vitalismus und Mechanismus bis zur Berührung. Aber freilich, konſequentes Denken bleibt eine ſeltene Natur-Erſcheinung! Die große Mehr- zahl aller Philoſophen möchte mit der rechten Hand das reine, auf Erfahrung begründete Wiſſen ergreifen, kann aber gleich- zeitig nicht den myſtiſchen, auf Offenbarung geſtützten Glauben entbehren, den ſie mit der linken Hand feſthält. Charakteriſtiſch für dieſen widerſpruchsvollen Dualismus bleibt der Konflikt zwiſchen der reinen und der praktiſchen Vernunft in der kritiſchen Philoſophie des höchſtgeſtellten neueren Denkers, des großen Immanuel Kant.
Dagegen iſt immer die Zahl derjenigen Denker klein geweſen, welche dieſen Dualismus tapfer überwanden und ſich dem reinen Monismus zuwendeten. Das gilt ebenſowohl für die konſequenten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="1"><p><pbfacs="#f0455"n="439"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">XX.</hi> Schlußbetrachtung.</fw><lb/>
reinen Kultus des „Wahren, Guten und Schönen“, welcher den<lb/>
Kern unſerer neuen <hirendition="#g">moniſtiſchen Religion</hi> bildet, finden<lb/>
wir reichen Erſatz für die verlorenen anthropiſtiſchen Ideale von<lb/>„Gott, Freiheit und Unſterblichkeit“.</p><lb/><p>In der vorliegenden Behandlung der Welträthſel habe ich<lb/>
meinen konſequenten moniſtiſchen Standpunkt ſcharf betont und<lb/>
den Gegenſatz zu der dualiſtiſchen, heute noch herrſchenden Welt-<lb/>
anſchauung klar hervorgehoben. Ich ſtütze mich dabei auf die<lb/>
Zuſtimmung faſt aller modernen Naturforſcher, welche überhaupt<lb/>
Neigung und Muth zum Bekenntniß einer abgerundeten philo-<lb/>ſophiſchen Ueberzeugung beſitzen. Ich möchte aber von meinen<lb/>
Leſern nicht Abſchied nehmen, ohne verſöhnlich darauf hinzu-<lb/>
weiſen, daß dieſer ſchroffe Gegenſatz bei konſequentem und klarem<lb/>
Denken ſich bis zu einem gewiſſen Grade mildert, ja ſelbſt bis<lb/>
zu einer erfreulichen Harmonie gelöſt werden kann. Bei völlig<lb/>
folgerichtigem Denken, bei gleichmäßiger Anwendung der höchſten<lb/>
Principien auf das <hirendition="#g">Geſammtgebiet</hi> des Kosmos — der<lb/>
organiſchen und anorganiſchen Natur —, nähern ſich die Gegen-<lb/>ſätze des Theismus und Pantheismus, des Vitalismus und<lb/>
Mechanismus bis zur Berührung. Aber freilich, konſequentes<lb/>
Denken bleibt eine ſeltene Natur-Erſcheinung! Die große Mehr-<lb/>
zahl aller Philoſophen möchte mit der rechten Hand das reine,<lb/>
auf Erfahrung begründete <hirendition="#g">Wiſſen</hi> ergreifen, kann aber gleich-<lb/>
zeitig nicht den myſtiſchen, auf Offenbarung geſtützten <hirendition="#g">Glauben</hi><lb/>
entbehren, den ſie mit der linken Hand feſthält. Charakteriſtiſch<lb/>
für dieſen widerſpruchsvollen Dualismus bleibt der Konflikt<lb/>
zwiſchen der reinen und der praktiſchen Vernunft in der kritiſchen<lb/>
Philoſophie des höchſtgeſtellten neueren Denkers, des großen<lb/><hirendition="#g">Immanuel Kant</hi>.</p><lb/><p>Dagegen iſt immer die Zahl derjenigen Denker klein geweſen,<lb/>
welche dieſen Dualismus tapfer überwanden und ſich dem reinen<lb/>
Monismus zuwendeten. Das gilt ebenſowohl für die konſequenten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[439/0455]
XX. Schlußbetrachtung.
reinen Kultus des „Wahren, Guten und Schönen“, welcher den
Kern unſerer neuen moniſtiſchen Religion bildet, finden
wir reichen Erſatz für die verlorenen anthropiſtiſchen Ideale von
„Gott, Freiheit und Unſterblichkeit“.
In der vorliegenden Behandlung der Welträthſel habe ich
meinen konſequenten moniſtiſchen Standpunkt ſcharf betont und
den Gegenſatz zu der dualiſtiſchen, heute noch herrſchenden Welt-
anſchauung klar hervorgehoben. Ich ſtütze mich dabei auf die
Zuſtimmung faſt aller modernen Naturforſcher, welche überhaupt
Neigung und Muth zum Bekenntniß einer abgerundeten philo-
ſophiſchen Ueberzeugung beſitzen. Ich möchte aber von meinen
Leſern nicht Abſchied nehmen, ohne verſöhnlich darauf hinzu-
weiſen, daß dieſer ſchroffe Gegenſatz bei konſequentem und klarem
Denken ſich bis zu einem gewiſſen Grade mildert, ja ſelbſt bis
zu einer erfreulichen Harmonie gelöſt werden kann. Bei völlig
folgerichtigem Denken, bei gleichmäßiger Anwendung der höchſten
Principien auf das Geſammtgebiet des Kosmos — der
organiſchen und anorganiſchen Natur —, nähern ſich die Gegen-
ſätze des Theismus und Pantheismus, des Vitalismus und
Mechanismus bis zur Berührung. Aber freilich, konſequentes
Denken bleibt eine ſeltene Natur-Erſcheinung! Die große Mehr-
zahl aller Philoſophen möchte mit der rechten Hand das reine,
auf Erfahrung begründete Wiſſen ergreifen, kann aber gleich-
zeitig nicht den myſtiſchen, auf Offenbarung geſtützten Glauben
entbehren, den ſie mit der linken Hand feſthält. Charakteriſtiſch
für dieſen widerſpruchsvollen Dualismus bleibt der Konflikt
zwiſchen der reinen und der praktiſchen Vernunft in der kritiſchen
Philoſophie des höchſtgeſtellten neueren Denkers, des großen
Immanuel Kant.
Dagegen iſt immer die Zahl derjenigen Denker klein geweſen,
welche dieſen Dualismus tapfer überwanden und ſich dem reinen
Monismus zuwendeten. Das gilt ebenſowohl für die konſequenten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/455>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.