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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Pantheismus und Hylozoismus. XV.
Gesetzes vereinigen zu können. Indessen beruhen alle diese vergeb-
lichen Bestrebungen auf Unklarheit oder Inkonsequenz des Denkens,
falls sie überhaupt ehrlich und aufrichtig gemeint sind.

Da der Pantheismus erst aus der geläuterten Natur-
betrachtung des denkenden Kulturmenschen hervorgehen konnte,
ist er begreiflicher Weise viel jünger als der Theismus, dessen
roheste Formen sicher schon vor mehr als zehntausend Jahren
bei den primitiven Naturvölkern in mannigfaltigen Variationen
ausgebildet wurden. Wenn auch in den ersten Anfängen der
Philosophie bei den ältesten Kultur-Völkern (in Indien und
Egypten, in China und Japan) schon mehrere Jahrtausende vor
Christus Keime des Pantheismus in verschiedenen Religions-
Formen eingestreut sich finden, so tritt doch eine bestimmte philo-
sophische Fassung desselben erst in dem Hylozoismus der
ionischen Naturphilosophen
auf, in der ersten Hälfte des
sechsten Jahrhunderts vor Chr. Alle großen Denker dieser Blüthe-
Periode des hellenischen Geistes überragt der gewaltige Anaxi-
mander
von Milet, der die principielle Einheit des unend-
lichen Weltganzen
(Apeiron) tiefer und klarer erfaßte als
sein Lehrer Thales und sein Schüler Anaximenes. Nicht
nur den großen Gedanken der ursprünglichen Einheit des
Kosmos, der Entwickelung aller Erscheinungen aus der Alles
durchdringenden Urmaterie hatte Anaximander bereits aus-
gesprochen, sondern auch die kühne Vorstellung von zahllosen, in
periodischem Wechsel entstehenden und vergehenden Weltbildungen.

Auch viele von den folgenden großen Philosophen des
klassischen Alterthums, vor Allen Demokritos, Heraklitos
und Empedokles, hatten in gleichem oder ähnlichem Sinne
tief eindringend bereits jene Einheit von Natur und Gott, von
Körper und Geist erfaßt, welche im Substanz-Gesetze unseres
heutigen Monismus den bestimmtesten Ausdruck gewonnen hat.
Der große römische Dichter und Naturphilosoph Lucretius

Pantheismus und Hylozoismus. XV.
Geſetzes vereinigen zu können. Indeſſen beruhen alle dieſe vergeb-
lichen Beſtrebungen auf Unklarheit oder Inkonſequenz des Denkens,
falls ſie überhaupt ehrlich und aufrichtig gemeint ſind.

Da der Pantheismus erſt aus der geläuterten Natur-
betrachtung des denkenden Kulturmenſchen hervorgehen konnte,
iſt er begreiflicher Weiſe viel jünger als der Theismus, deſſen
roheſte Formen ſicher ſchon vor mehr als zehntauſend Jahren
bei den primitiven Naturvölkern in mannigfaltigen Variationen
ausgebildet wurden. Wenn auch in den erſten Anfängen der
Philoſophie bei den älteſten Kultur-Völkern (in Indien und
Egypten, in China und Japan) ſchon mehrere Jahrtauſende vor
Chriſtus Keime des Pantheismus in verſchiedenen Religions-
Formen eingeſtreut ſich finden, ſo tritt doch eine beſtimmte philo-
ſophiſche Faſſung desſelben erſt in dem Hylozoismus der
ioniſchen Naturphiloſophen
auf, in der erſten Hälfte des
ſechſten Jahrhunderts vor Chr. Alle großen Denker dieſer Blüthe-
Periode des helleniſchen Geiſtes überragt der gewaltige Anaxi-
mander
von Milet, der die principielle Einheit des unend-
lichen Weltganzen
(Apeiron) tiefer und klarer erfaßte als
ſein Lehrer Thales und ſein Schüler Anaximenes. Nicht
nur den großen Gedanken der urſprünglichen Einheit des
Kosmos, der Entwickelung aller Erſcheinungen aus der Alles
durchdringenden Urmaterie hatte Anaximander bereits aus-
geſprochen, ſondern auch die kühne Vorſtellung von zahlloſen, in
periodiſchem Wechſel entſtehenden und vergehenden Weltbildungen.

Auch viele von den folgenden großen Philoſophen des
klaſſiſchen Alterthums, vor Allen Demokritos, Heraklitos
und Empedokles, hatten in gleichem oder ähnlichem Sinne
tief eindringend bereits jene Einheit von Natur und Gott, von
Körper und Geiſt erfaßt, welche im Subſtanz-Geſetze unſeres
heutigen Monismus den beſtimmteſten Ausdruck gewonnen hat.
Der große römiſche Dichter und Naturphiloſoph Lucretius

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[334/0350] Pantheismus und Hylozoismus. XV. Geſetzes vereinigen zu können. Indeſſen beruhen alle dieſe vergeb- lichen Beſtrebungen auf Unklarheit oder Inkonſequenz des Denkens, falls ſie überhaupt ehrlich und aufrichtig gemeint ſind. Da der Pantheismus erſt aus der geläuterten Natur- betrachtung des denkenden Kulturmenſchen hervorgehen konnte, iſt er begreiflicher Weiſe viel jünger als der Theismus, deſſen roheſte Formen ſicher ſchon vor mehr als zehntauſend Jahren bei den primitiven Naturvölkern in mannigfaltigen Variationen ausgebildet wurden. Wenn auch in den erſten Anfängen der Philoſophie bei den älteſten Kultur-Völkern (in Indien und Egypten, in China und Japan) ſchon mehrere Jahrtauſende vor Chriſtus Keime des Pantheismus in verſchiedenen Religions- Formen eingeſtreut ſich finden, ſo tritt doch eine beſtimmte philo- ſophiſche Faſſung desſelben erſt in dem Hylozoismus der ioniſchen Naturphiloſophen auf, in der erſten Hälfte des ſechſten Jahrhunderts vor Chr. Alle großen Denker dieſer Blüthe- Periode des helleniſchen Geiſtes überragt der gewaltige Anaxi- mander von Milet, der die principielle Einheit des unend- lichen Weltganzen (Apeiron) tiefer und klarer erfaßte als ſein Lehrer Thales und ſein Schüler Anaximenes. Nicht nur den großen Gedanken der urſprünglichen Einheit des Kosmos, der Entwickelung aller Erſcheinungen aus der Alles durchdringenden Urmaterie hatte Anaximander bereits aus- geſprochen, ſondern auch die kühne Vorſtellung von zahlloſen, in periodiſchem Wechſel entſtehenden und vergehenden Weltbildungen. Auch viele von den folgenden großen Philoſophen des klaſſiſchen Alterthums, vor Allen Demokritos, Heraklitos und Empedokles, hatten in gleichem oder ähnlichem Sinne tief eindringend bereits jene Einheit von Natur und Gott, von Körper und Geiſt erfaßt, welche im Subſtanz-Geſetze unſeres heutigen Monismus den beſtimmteſten Ausdruck gewonnen hat. Der große römiſche Dichter und Naturphiloſoph Lucretius

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/350>, abgerufen am 25.11.2024.