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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XIV. Mechanistische Naturwissenschaften.
erscheinungen (und besonders für die Seelenthätigkeit des Menschen)
hielt er die Annahme von Endursachen unentbehrlich. Der merk-
würdige § 79 der Kritik der Urtheilskraft trägt die charakteristische
Ueberschrift: "Von der nothwendigen Unterordnung des Princips
des Mechanismus unter das teleologische in Erklärung eines
Dinges als Naturzweck." Die zweckmäßigen Einrichtungen im
Körperbau der organischen Wesen schienen Kant ohne Annahme
übernatürlichen Endursachen (d. h. also einer planmäßig wirkenden
Schöpferkraft) so unerklärlich, daß er sagte: "Es ist ganz gewiß,
daß wir die organisirten Wesen und deren innere Möglichkeit
nach bloß mechanischen Principien der Natur nicht einmal zu-
reichend kennen, viel weniger uns erklären können, und zwar so
gewiß, daß man dreist sagen kann: Es ist für Menschen ungereimt,
auch nur einen solchen Anschlag zu fassen oder zu hoffen, daß
noch etwa dereinst ein Newton aufstehen könne, der auch nur
die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen, die keine
Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde, sondern man
muß diese Einsicht dem Menschen schlechterdings absprechen."
Siebenzig Jahre später ist dieser unmögliche "Newton der
organischen Natur" in Darwin wirklich erschienen und hat die
große Aufgabe gelöst, die Kant für unlösbar erklärt hatte.

Der Zweck in der anorganischen Natur (anorganische
Teleologie
). Seitdem Newton (1682) das Gravitations-
Gesetz aufgestellt und seitdem Kant (1755) "die Verfassung und
den mechanischen Ursprung des ganzen Weltgebäudes nach
Newton'schen Grundsätzen" festgestellt -- seitdem endlich
Laplace (1796) dieses Grundgesetz des Weltmechanis-
mus
mathematisch begründet hatte, sind die sämmtlichen an-
organischen Naturwissenschaften rein mechanisch und damit
zugleich rein atheistisch geworden. In der Astronomie und
Kosmogenie, in der Geologie und Meteorologie, in der an-
organischen Physik und Chemie gilt seitdem die absolute Herr-

XIV. Mechaniſtiſche Naturwiſſenſchaften.
erſcheinungen (und beſonders für die Seelenthätigkeit des Menſchen)
hielt er die Annahme von Endurſachen unentbehrlich. Der merk-
würdige § 79 der Kritik der Urtheilskraft trägt die charakteriſtiſche
Ueberſchrift: „Von der nothwendigen Unterordnung des Princips
des Mechanismus unter das teleologiſche in Erklärung eines
Dinges als Naturzweck.“ Die zweckmäßigen Einrichtungen im
Körperbau der organiſchen Weſen ſchienen Kant ohne Annahme
übernatürlichen Endurſachen (d. h. alſo einer planmäßig wirkenden
Schöpferkraft) ſo unerklärlich, daß er ſagte: „Es iſt ganz gewiß,
daß wir die organiſirten Weſen und deren innere Möglichkeit
nach bloß mechaniſchen Principien der Natur nicht einmal zu-
reichend kennen, viel weniger uns erklären können, und zwar ſo
gewiß, daß man dreiſt ſagen kann: Es iſt für Menſchen ungereimt,
auch nur einen ſolchen Anſchlag zu faſſen oder zu hoffen, daß
noch etwa dereinſt ein Newton aufſtehen könne, der auch nur
die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgeſetzen, die keine
Abſicht geordnet hat, begreiflich machen werde, ſondern man
muß dieſe Einſicht dem Menſchen ſchlechterdings abſprechen.“
Siebenzig Jahre ſpäter iſt dieſer unmögliche „Newton der
organiſchen Natur“ in Darwin wirklich erſchienen und hat die
große Aufgabe gelöſt, die Kant für unlösbar erklärt hatte.

Der Zweck in der anorganiſchen Natur (anorganiſche
Teleologie
). Seitdem Newton (1682) das Gravitations-
Geſetz aufgeſtellt und ſeitdem Kant (1755) „die Verfaſſung und
den mechaniſchen Urſprung des ganzen Weltgebäudes nach
Newton'ſchen Grundſätzen“ feſtgeſtellt — ſeitdem endlich
Laplace (1796) dieſes Grundgeſetz des Weltmechanis-
mus
mathematiſch begründet hatte, ſind die ſämmtlichen an-
organiſchen Naturwiſſenſchaften rein mechaniſch und damit
zugleich rein atheiſtiſch geworden. In der Aſtronomie und
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organiſchen Phyſik und Chemie gilt ſeitdem die abſolute Herr-

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[301/0317] XIV. Mechaniſtiſche Naturwiſſenſchaften. erſcheinungen (und beſonders für die Seelenthätigkeit des Menſchen) hielt er die Annahme von Endurſachen unentbehrlich. Der merk- würdige § 79 der Kritik der Urtheilskraft trägt die charakteriſtiſche Ueberſchrift: „Von der nothwendigen Unterordnung des Princips des Mechanismus unter das teleologiſche in Erklärung eines Dinges als Naturzweck.“ Die zweckmäßigen Einrichtungen im Körperbau der organiſchen Weſen ſchienen Kant ohne Annahme übernatürlichen Endurſachen (d. h. alſo einer planmäßig wirkenden Schöpferkraft) ſo unerklärlich, daß er ſagte: „Es iſt ganz gewiß, daß wir die organiſirten Weſen und deren innere Möglichkeit nach bloß mechaniſchen Principien der Natur nicht einmal zu- reichend kennen, viel weniger uns erklären können, und zwar ſo gewiß, daß man dreiſt ſagen kann: Es iſt für Menſchen ungereimt, auch nur einen ſolchen Anſchlag zu faſſen oder zu hoffen, daß noch etwa dereinſt ein Newton aufſtehen könne, der auch nur die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgeſetzen, die keine Abſicht geordnet hat, begreiflich machen werde, ſondern man muß dieſe Einſicht dem Menſchen ſchlechterdings abſprechen.“ Siebenzig Jahre ſpäter iſt dieſer unmögliche „Newton der organiſchen Natur“ in Darwin wirklich erſchienen und hat die große Aufgabe gelöſt, die Kant für unlösbar erklärt hatte. Der Zweck in der anorganiſchen Natur (anorganiſche Teleologie). Seitdem Newton (1682) das Gravitations- Geſetz aufgeſtellt und ſeitdem Kant (1755) „die Verfaſſung und den mechaniſchen Urſprung des ganzen Weltgebäudes nach Newton'ſchen Grundſätzen“ feſtgeſtellt — ſeitdem endlich Laplace (1796) dieſes Grundgeſetz des Weltmechanis- mus mathematiſch begründet hatte, ſind die ſämmtlichen an- organiſchen Naturwiſſenſchaften rein mechaniſch und damit zugleich rein atheiſtiſch geworden. In der Aſtronomie und Kosmogenie, in der Geologie und Meteorologie, in der an- organiſchen Phyſik und Chemie gilt ſeitdem die abſolute Herr-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/317>, abgerufen am 23.11.2024.