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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Atheistische Naturwissenschaften. XIV.
Erscheinungen der Gravitation; sie wurde später von dem großen
Astronomen und Mathematiker Laplace weiter ausgebildet und
mathematisch begründet. Als dieser von Napoleon I. gefragt
wurde, welche Stelle in seinem System Gott, der Schöpfer und
Erhalter des Weltalls, einnehme, antwortete er klar und ehrlich:
"Sire, ich bedarf dieser Hypothese nicht." Damit war der
atheistische Charakter dieser mechanischen Kosmo-
genie
, den sie mit allen anorganischen Wissenschaften theilt,
offen anerkannt. Dies muß um so mehr hervorgehoben werden,
als die Kant-Laplace'sche Theorie noch heute in fast all-
gemeiner Geltung steht; alle Versuche, sie durch eine bessere zu
ersetzen, sind fehlgeschlagen. Wenn man den Atheismus noch
heute in weiten Kreisen als einen schweren Vorwurf betrachtet, so
trifft dieser die gesammte moderne Naturwissenschaft, insofern
sie die anorganische Welt unbedingt mechanisch erklärt.

Der Mechanismus allein (im Sinne Kant's!) gibt
uns eine wirkliche Erklärung der Natur-Erscheinungen, in-
dem er dieselben auf reale Werkursachen zurückführt, auf blinde
und bewußtlos wirkende Bewegungen, welche durch die materielle
Konstitution der betreffenden Naturkörper selbst bedingt sind.
Kant selbst betont, daß es "ohne diesen Mechanismus der
Natur keine Naturwissenschaft geben kann", und daß die Be-
fugniß
der menschlichen Vernunft zur mechanischen Erklärung
aller Erscheinungen unbeschränkt sei. Als er aber später in
seiner Kritik der teleologischen Urtheilskraft die Erklärung der
verwickelten Erscheinungen in der organischen Natur besprach,
behauptete er, daß dafür jene mechanischen Ursachen nicht aus-
reichend seien; hier müsse man zweckmäßig wirkende Endursachen
zu Hülfe nehmen. Zwar sei auch hier die Befugniß unserer
Vernunft zur mechanischen Erklärung anzuerkennen, aber ihr
Vermögen sei begrenzt. Allerdings gestand er ihr theilweise
dieses Vermögen zu, aber für den größten Theil der Lebens-

Atheiſtiſche Naturwiſſenſchaften. XIV.
Erſcheinungen der Gravitation; ſie wurde ſpäter von dem großen
Aſtronomen und Mathematiker Laplace weiter ausgebildet und
mathematiſch begründet. Als dieſer von Napoleon I. gefragt
wurde, welche Stelle in ſeinem Syſtem Gott, der Schöpfer und
Erhalter des Weltalls, einnehme, antwortete er klar und ehrlich:
„Sire, ich bedarf dieſer Hypotheſe nicht.“ Damit war der
atheiſtiſche Charakter dieſer mechaniſchen Kosmo-
genie
, den ſie mit allen anorganiſchen Wiſſenſchaften theilt,
offen anerkannt. Dies muß um ſo mehr hervorgehoben werden,
als die Kant-Laplace'ſche Theorie noch heute in faſt all-
gemeiner Geltung ſteht; alle Verſuche, ſie durch eine beſſere zu
erſetzen, ſind fehlgeſchlagen. Wenn man den Atheismus noch
heute in weiten Kreiſen als einen ſchweren Vorwurf betrachtet, ſo
trifft dieſer die geſammte moderne Naturwiſſenſchaft, inſofern
ſie die anorganiſche Welt unbedingt mechaniſch erklärt.

Der Mechanismus allein (im Sinne Kant's!) gibt
uns eine wirkliche Erklärung der Natur-Erſcheinungen, in-
dem er dieſelben auf reale Werkurſachen zurückführt, auf blinde
und bewußtlos wirkende Bewegungen, welche durch die materielle
Konſtitution der betreffenden Naturkörper ſelbſt bedingt ſind.
Kant ſelbſt betont, daß es „ohne dieſen Mechanismus der
Natur keine Naturwiſſenſchaft geben kann“, und daß die Be-
fugniß
der menſchlichen Vernunft zur mechaniſchen Erklärung
aller Erſcheinungen unbeſchränkt ſei. Als er aber ſpäter in
ſeiner Kritik der teleologiſchen Urtheilskraft die Erklärung der
verwickelten Erſcheinungen in der organiſchen Natur beſprach,
behauptete er, daß dafür jene mechaniſchen Urſachen nicht aus-
reichend ſeien; hier müſſe man zweckmäßig wirkende Endurſachen
zu Hülfe nehmen. Zwar ſei auch hier die Befugniß unſerer
Vernunft zur mechaniſchen Erklärung anzuerkennen, aber ihr
Vermögen ſei begrenzt. Allerdings geſtand er ihr theilweiſe
dieſes Vermögen zu, aber für den größten Theil der Lebens-

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[300/0316] Atheiſtiſche Naturwiſſenſchaften. XIV. Erſcheinungen der Gravitation; ſie wurde ſpäter von dem großen Aſtronomen und Mathematiker Laplace weiter ausgebildet und mathematiſch begründet. Als dieſer von Napoleon I. gefragt wurde, welche Stelle in ſeinem Syſtem Gott, der Schöpfer und Erhalter des Weltalls, einnehme, antwortete er klar und ehrlich: „Sire, ich bedarf dieſer Hypotheſe nicht.“ Damit war der atheiſtiſche Charakter dieſer mechaniſchen Kosmo- genie, den ſie mit allen anorganiſchen Wiſſenſchaften theilt, offen anerkannt. Dies muß um ſo mehr hervorgehoben werden, als die Kant-Laplace'ſche Theorie noch heute in faſt all- gemeiner Geltung ſteht; alle Verſuche, ſie durch eine beſſere zu erſetzen, ſind fehlgeſchlagen. Wenn man den Atheismus noch heute in weiten Kreiſen als einen ſchweren Vorwurf betrachtet, ſo trifft dieſer die geſammte moderne Naturwiſſenſchaft, inſofern ſie die anorganiſche Welt unbedingt mechaniſch erklärt. Der Mechanismus allein (im Sinne Kant's!) gibt uns eine wirkliche Erklärung der Natur-Erſcheinungen, in- dem er dieſelben auf reale Werkurſachen zurückführt, auf blinde und bewußtlos wirkende Bewegungen, welche durch die materielle Konſtitution der betreffenden Naturkörper ſelbſt bedingt ſind. Kant ſelbſt betont, daß es „ohne dieſen Mechanismus der Natur keine Naturwiſſenſchaft geben kann“, und daß die Be- fugniß der menſchlichen Vernunft zur mechaniſchen Erklärung aller Erſcheinungen unbeſchränkt ſei. Als er aber ſpäter in ſeiner Kritik der teleologiſchen Urtheilskraft die Erklärung der verwickelten Erſcheinungen in der organiſchen Natur beſprach, behauptete er, daß dafür jene mechaniſchen Urſachen nicht aus- reichend ſeien; hier müſſe man zweckmäßig wirkende Endurſachen zu Hülfe nehmen. Zwar ſei auch hier die Befugniß unſerer Vernunft zur mechaniſchen Erklärung anzuerkennen, aber ihr Vermögen ſei begrenzt. Allerdings geſtand er ihr theilweiſe dieſes Vermögen zu, aber für den größten Theil der Lebens-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/316>, abgerufen am 22.11.2024.