Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.IX. Seelenleben der Pflanzen. verschiedene Reize (Licht, Elektricität, Wärme, Schwere, Reibung,chemische Einflüsse u. s. w.) in den "empfindlichen" Körper- theilen vieler Pflanzen und Thiere ganz ähnlich ist, und daß auch die Reflex-Bewegungen, die jene Reize hervorrufen, ganz ähnlichen Verlauf haben. Wenn man daher diese Thätigkeiten bei niederen, nervenlosen Metazoen (Schwämmen, Polypen) einer besonderen "Seele" zuschrieb, so war man berechtigt, dieselbe auch bei vielen (oder eigentlich allen) Metaphyten anzunehmen, mindestens bei den sehr "empfindlichen" Sinnpflanzen (Mimosa), den Fliegenfallen (Dionaea, Drosera) und den zahlreichen ran- kenden Kletter- und Schlingpflanzen. Allerdings hat nun die neuere Pflanzen-Physiologie viele IX. Seelenleben der Pflanzen. verſchiedene Reize (Licht, Elektricität, Wärme, Schwere, Reibung,chemiſche Einflüſſe u. ſ. w.) in den „empfindlichen“ Körper- theilen vieler Pflanzen und Thiere ganz ähnlich iſt, und daß auch die Reflex-Bewegungen, die jene Reize hervorrufen, ganz ähnlichen Verlauf haben. Wenn man daher dieſe Thätigkeiten bei niederen, nervenloſen Metazoen (Schwämmen, Polypen) einer beſonderen „Seele“ zuſchrieb, ſo war man berechtigt, dieſelbe auch bei vielen (oder eigentlich allen) Metaphyten anzunehmen, mindeſtens bei den ſehr „empfindlichen“ Sinnpflanzen (Mimoſa), den Fliegenfallen (Dionaea, Droſera) und den zahlreichen ran- kenden Kletter- und Schlingpflanzen. Allerdings hat nun die neuere Pflanzen-Phyſiologie viele <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0199" n="183"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IX.</hi> Seelenleben der Pflanzen.</fw><lb/> verſchiedene Reize (Licht, Elektricität, Wärme, Schwere, Reibung,<lb/> chemiſche Einflüſſe u. ſ. w.) in den „<hi rendition="#g">empfindlichen</hi>“ Körper-<lb/> theilen vieler Pflanzen und Thiere ganz ähnlich iſt, und daß auch<lb/> die <hi rendition="#g">Reflex-Bewegungen,</hi> die jene Reize hervorrufen, ganz<lb/> ähnlichen Verlauf haben. Wenn man daher dieſe Thätigkeiten<lb/> bei niederen, nervenloſen Metazoen (Schwämmen, Polypen) einer<lb/> beſonderen „Seele“ zuſchrieb, ſo war man berechtigt, dieſelbe<lb/> auch bei vielen (oder eigentlich allen) Metaphyten anzunehmen,<lb/> mindeſtens bei den ſehr „empfindlichen“ Sinnpflanzen <hi rendition="#aq">(Mimoſa)</hi>,<lb/> den Fliegenfallen <hi rendition="#aq">(Dionaea, Droſera)</hi> und den zahlreichen ran-<lb/> kenden Kletter- und Schlingpflanzen.</p><lb/> <p>Allerdings hat nun die neuere Pflanzen-Phyſiologie viele<lb/> dieſer „Reizbewegungen“ oder <hi rendition="#g">Tropismen</hi> rein phyſikaliſch<lb/> erklärt, durch beſondere Verhältniſſe des Wachsthums, durch<lb/> Turgor-Schwankungen u. ſ. w. Allein dieſe mechaniſchen Ur-<lb/> ſachen ſind nicht mehr und nicht minder <hi rendition="#g">pſychophyſiſch</hi><lb/> als die ähnlichen „Reflex-Bewegungen“ bei Spongien, Polypen<lb/> und anderen nervenloſen Metazoen, ſelbſt wenn der Mechanismus<lb/> derſelben hier weſentlich verſchieden iſt. Der Charakter der<lb/><hi rendition="#aq">Hiſtopſyche</hi> oder <hi rendition="#g">Gewebe-Seele</hi> zeigt ſich in beiden Fällen<lb/> gleichmäßig darin, daß die Zellen des Gewebes (des geſetzmäßig<lb/> geordneten Zellverbandes) die von einem Theile empfangenen<lb/> Reize fortleiten und dadurch Bewegungen anderer Theile oder<lb/> des ganzen Organs hervorrufen. Dieſe <hi rendition="#g">Reizleitung</hi> kann<lb/> hier ebenſo als „Seelenthätigkeit“ bezeichnet werden wie die<lb/> vollkommenere Form derſelben bei Nerventhieren; ſie erklärt ſich<lb/> anatomiſch dadurch, daß die ſocialen Zellen des Gewebes oder<lb/> Zellverbandes nicht (wie man früher glaubte) getrennt an einander<lb/> liegen, ſondern überall durch feine Plasmafäden oder Brücken zu-<lb/> ſammenhängen. Wenn die empfindlichen Sinnpflanzen <hi rendition="#aq">(Mimoſen)</hi><lb/> bei der Berührung oder Erſchütterung ihre ausgebreiteten Fieder-<lb/> blättchen ſchließen und die Blattſtiele herabſenken, wenn die reiz-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [183/0199]
IX. Seelenleben der Pflanzen.
verſchiedene Reize (Licht, Elektricität, Wärme, Schwere, Reibung,
chemiſche Einflüſſe u. ſ. w.) in den „empfindlichen“ Körper-
theilen vieler Pflanzen und Thiere ganz ähnlich iſt, und daß auch
die Reflex-Bewegungen, die jene Reize hervorrufen, ganz
ähnlichen Verlauf haben. Wenn man daher dieſe Thätigkeiten
bei niederen, nervenloſen Metazoen (Schwämmen, Polypen) einer
beſonderen „Seele“ zuſchrieb, ſo war man berechtigt, dieſelbe
auch bei vielen (oder eigentlich allen) Metaphyten anzunehmen,
mindeſtens bei den ſehr „empfindlichen“ Sinnpflanzen (Mimoſa),
den Fliegenfallen (Dionaea, Droſera) und den zahlreichen ran-
kenden Kletter- und Schlingpflanzen.
Allerdings hat nun die neuere Pflanzen-Phyſiologie viele
dieſer „Reizbewegungen“ oder Tropismen rein phyſikaliſch
erklärt, durch beſondere Verhältniſſe des Wachsthums, durch
Turgor-Schwankungen u. ſ. w. Allein dieſe mechaniſchen Ur-
ſachen ſind nicht mehr und nicht minder pſychophyſiſch
als die ähnlichen „Reflex-Bewegungen“ bei Spongien, Polypen
und anderen nervenloſen Metazoen, ſelbſt wenn der Mechanismus
derſelben hier weſentlich verſchieden iſt. Der Charakter der
Hiſtopſyche oder Gewebe-Seele zeigt ſich in beiden Fällen
gleichmäßig darin, daß die Zellen des Gewebes (des geſetzmäßig
geordneten Zellverbandes) die von einem Theile empfangenen
Reize fortleiten und dadurch Bewegungen anderer Theile oder
des ganzen Organs hervorrufen. Dieſe Reizleitung kann
hier ebenſo als „Seelenthätigkeit“ bezeichnet werden wie die
vollkommenere Form derſelben bei Nerventhieren; ſie erklärt ſich
anatomiſch dadurch, daß die ſocialen Zellen des Gewebes oder
Zellverbandes nicht (wie man früher glaubte) getrennt an einander
liegen, ſondern überall durch feine Plasmafäden oder Brücken zu-
ſammenhängen. Wenn die empfindlichen Sinnpflanzen (Mimoſen)
bei der Berührung oder Erſchütterung ihre ausgebreiteten Fieder-
blättchen ſchließen und die Blattſtiele herabſenken, wenn die reiz-
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