"logisches Individuum", als wirklichen "Zellenstaat" erscheinen läßt. Sie beherrscht alle die einzelnen "Zellseelen" der socialen Zellen, welche als abhängige "Staatsbürger" den einheitlichen Zellenstaat konstituiren. Diese fundamentale Duplicität der Psyche bei den Metaphyten und bei den niederen, nervenlosen Metazoen ist sehr wichtig; sie wird durch unbefangene Beobachtung und passenden Versuch unmittelbar bewiesen: erstens besitzt jede einzelne Zelle ihre eigene Empfindung und Bewegung, und zweitens zeigt jedes Gewebe und jedes Organ, das aus einer Zahl gleich- artiger Zellen sich zusammensetzt, seine besondere Reizbarkeit und psychische Einheit (z. B. Pollen und Staubgefäße).
III. A.Die Pflanzen-Seele (Phytopsyche) ist für uns der Inbegriff der gesammten psychischen Thätigkeit der gewebe- bildenden, vielzelligen Pflanzen (Metaphyten, nach Aus- schluß der einzelligen Protophyten); sie ist Gegenstand der ver- schiedensten Beurtheilung bis auf den heutigen Tag geblieben. Früher fand man gewöhnlich einen Hauptunterschied zwischen Pflanzen und Thieren darin, daß man den letzteren allgemein eine "Seele" zuschrieb, den ersteren dagegen nicht. Indessen führte unbefangene Vergleichung der Reizbarkeit und der Be- wegungen bei verschiedenen höheren Pflanzen und niederen Thieren schon im Anfange des Jahrhunderts einzelne Forscher zu der Ueberzeugung, daß beide gleichmäßig beseelt sein müßten. Später traten namentlich Fechner, Leitgeb u. A. lebhaft für die Annahme einer "Pflanzen-Seele" ein. Tieferes Verständniß derselben wurde erst erworben, nachdem durch die Zellen- theorie (1838) die gleiche Elementar-Struktur in Pflanzen und Thieren nachgewiesen und besonders seitdem durch die Plasma-Theorie von Max Schultze (1859) das gleiche Verhalten des aktiven, lebendigen Protoplasma in beiden er- kannt worden war. Die neuere vergleichende Physiologie (seit 30 Jahren) zeigte sodann, daß das physiologische Verhalten gegen
Pflanzen-Seele (Phytopſyche). IX.
„logiſches Individuum“, als wirklichen „Zellenſtaat“ erſcheinen läßt. Sie beherrſcht alle die einzelnen „Zellſeelen“ der ſocialen Zellen, welche als abhängige „Staatsbürger“ den einheitlichen Zellenſtaat konſtituiren. Dieſe fundamentale Duplicität der Pſyche bei den Metaphyten und bei den niederen, nervenloſen Metazoen iſt ſehr wichtig; ſie wird durch unbefangene Beobachtung und paſſenden Verſuch unmittelbar bewieſen: erſtens beſitzt jede einzelne Zelle ihre eigene Empfindung und Bewegung, und zweitens zeigt jedes Gewebe und jedes Organ, das aus einer Zahl gleich- artiger Zellen ſich zuſammenſetzt, ſeine beſondere Reizbarkeit und pſychiſche Einheit (z. B. Pollen und Staubgefäße).
III. A.Die Pflanzen-Seele (Phytopſyche) iſt für uns der Inbegriff der geſammten pſychiſchen Thätigkeit der gewebe- bildenden, vielzelligen Pflanzen (Metaphyten, nach Aus- ſchluß der einzelligen Protophyten); ſie iſt Gegenſtand der ver- ſchiedenſten Beurtheilung bis auf den heutigen Tag geblieben. Früher fand man gewöhnlich einen Hauptunterſchied zwiſchen Pflanzen und Thieren darin, daß man den letzteren allgemein eine „Seele“ zuſchrieb, den erſteren dagegen nicht. Indeſſen führte unbefangene Vergleichung der Reizbarkeit und der Be- wegungen bei verſchiedenen höheren Pflanzen und niederen Thieren ſchon im Anfange des Jahrhunderts einzelne Forſcher zu der Ueberzeugung, daß beide gleichmäßig beſeelt ſein müßten. Später traten namentlich Fechner, Leitgeb u. A. lebhaft für die Annahme einer „Pflanzen-Seele“ ein. Tieferes Verſtändniß derſelben wurde erſt erworben, nachdem durch die Zellen- theorie (1838) die gleiche Elementar-Struktur in Pflanzen und Thieren nachgewieſen und beſonders ſeitdem durch die Plasma-Theorie von Max Schultze (1859) das gleiche Verhalten des aktiven, lebendigen Protoplasma in beiden er- kannt worden war. Die neuere vergleichende Phyſiologie (ſeit 30 Jahren) zeigte ſodann, daß das phyſiologiſche Verhalten gegen
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Pflanzen-Seele (Phytopſyche). IX.
„logiſches Individuum“, als wirklichen „Zellenſtaat“ erſcheinen
läßt. Sie beherrſcht alle die einzelnen „Zellſeelen“ der ſocialen
Zellen, welche als abhängige „Staatsbürger“ den einheitlichen
Zellenſtaat konſtituiren. Dieſe fundamentale Duplicität der
Pſyche bei den Metaphyten und bei den niederen, nervenloſen
Metazoen iſt ſehr wichtig; ſie wird durch unbefangene Beobachtung
und paſſenden Verſuch unmittelbar bewieſen: erſtens beſitzt jede
einzelne Zelle ihre eigene Empfindung und Bewegung, und zweitens
zeigt jedes Gewebe und jedes Organ, das aus einer Zahl gleich-
artiger Zellen ſich zuſammenſetzt, ſeine beſondere Reizbarkeit und
pſychiſche Einheit (z. B. Pollen und Staubgefäße).
III. A. Die Pflanzen-Seele (Phytopſyche) iſt für uns
der Inbegriff der geſammten pſychiſchen Thätigkeit der gewebe-
bildenden, vielzelligen Pflanzen (Metaphyten, nach Aus-
ſchluß der einzelligen Protophyten); ſie iſt Gegenſtand der ver-
ſchiedenſten Beurtheilung bis auf den heutigen Tag geblieben.
Früher fand man gewöhnlich einen Hauptunterſchied zwiſchen
Pflanzen und Thieren darin, daß man den letzteren allgemein
eine „Seele“ zuſchrieb, den erſteren dagegen nicht. Indeſſen
führte unbefangene Vergleichung der Reizbarkeit und der Be-
wegungen bei verſchiedenen höheren Pflanzen und niederen Thieren
ſchon im Anfange des Jahrhunderts einzelne Forſcher zu der
Ueberzeugung, daß beide gleichmäßig beſeelt ſein müßten. Später
traten namentlich Fechner, Leitgeb u. A. lebhaft für die
Annahme einer „Pflanzen-Seele“ ein. Tieferes Verſtändniß
derſelben wurde erſt erworben, nachdem durch die Zellen-
theorie (1838) die gleiche Elementar-Struktur in Pflanzen
und Thieren nachgewieſen und beſonders ſeitdem durch die
Plasma-Theorie von Max Schultze (1859) das gleiche
Verhalten des aktiven, lebendigen Protoplasma in beiden er-
kannt worden war. Die neuere vergleichende Phyſiologie (ſeit
30 Jahren) zeigte ſodann, daß das phyſiologiſche Verhalten gegen
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/198>, abgerufen am 23.07.2024.
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