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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Beweise für den thierischen Ursprung des Menschen.
rischen Ursprung des Menschengeschlechts. Nicht allein
die Gegner der Descendenztheorie, sondern auch viele Anhänger der-
selben, denen die gehörige philosophische Bildung mangelt, pflegen
dabei vorzugsweise an einzelne Erfahrungen, an specielle empirische
Fortschritte der Naturwissenschaft zu denken. Man erwartet, daß plötz-
lich die Entdeckung einer geschwänzten Menschenrasse oder einer sprechen-
den Affenart, oder einer anderen lebenden oder fossilen Uebergangs-
form zwischen Menschen und Affen, die zwischen beiden bestehende enge
Kluft noch mehr ausfüllen, und somit die Abstammung des Menschen
vom Affen empirisch "beweisen" soll. Derartige einzelne Erfahrungen,
und wären sie anscheinend noch so überzeugend und beweiskräftig,
können aber niemals den gewünschten Beweis liefern. Gedankenlose
oder mit den biologischen Erscheinungsreihen unbekannte Leute werden
jenen einzelnen Zeugnissen immer dieselben Einwände entgegen halten
können, die sie unserer Theorie auch jetzt entgegen halten.

Die unumstößliche Sicherheit der Descendenz-Theorie, auch in
ihrer Anwendung auf den Menschen, liegt vielmehr viel tiefer, und
kann niemals bloß durch einzelne empirische Erfahrungen, sondern nur
durch philosophische Vergleichung und Verwerthung unseres gesammten
biologischen Erfahrungsschatzes in ihrem wahren inneren Werthe er-
kannt werden. Sie liegt eben darin, daß die Descendenztheorie als
ein allgemeines Jnductionsgesetz aus der vergleichenden Synthese aller
organischen Naturerscheinungen, und insbesondere aus der dreifachen
Parallele der vergleichenden Anatomie, Ontogenie und Phylogenie
mit Nothwendigkeit folgt; und die Pithekoidentheorie bleibt unter allen
Umständen (ganz abgesehen von allen Einzelbeweisen) ein specieller
Deductionsschluß, welcher wieder aus dem generellen Jnductions-
gesetz der Descendenztheorie mit Nothwendigkeit gefolgert werden muß.

Auf das richtige Verständniß dieser philosophischen Begrün-
dung der Descendenztheorie
und der mit ihr unzertrennlich
verbundenen Pithekoidentheorie kömmt meiner Ansicht nach
Alles an. Viele von Jhnen werden mir dies vielleicht zugeben, aber
mir zugleich entgegen halten, daß das Alles nur von der körper-

Beweiſe fuͤr den thieriſchen Urſprung des Menſchen.
riſchen Urſprung des Menſchengeſchlechts. Nicht allein
die Gegner der Deſcendenztheorie, ſondern auch viele Anhaͤnger der-
ſelben, denen die gehoͤrige philoſophiſche Bildung mangelt, pflegen
dabei vorzugsweiſe an einzelne Erfahrungen, an ſpecielle empiriſche
Fortſchritte der Naturwiſſenſchaft zu denken. Man erwartet, daß ploͤtz-
lich die Entdeckung einer geſchwaͤnzten Menſchenraſſe oder einer ſprechen-
den Affenart, oder einer anderen lebenden oder foſſilen Uebergangs-
form zwiſchen Menſchen und Affen, die zwiſchen beiden beſtehende enge
Kluft noch mehr ausfuͤllen, und ſomit die Abſtammung des Menſchen
vom Affen empiriſch „beweiſen“ ſoll. Derartige einzelne Erfahrungen,
und waͤren ſie anſcheinend noch ſo uͤberzeugend und beweiskraͤftig,
koͤnnen aber niemals den gewuͤnſchten Beweis liefern. Gedankenloſe
oder mit den biologiſchen Erſcheinungsreihen unbekannte Leute werden
jenen einzelnen Zeugniſſen immer dieſelben Einwaͤnde entgegen halten
koͤnnen, die ſie unſerer Theorie auch jetzt entgegen halten.

Die unumſtoͤßliche Sicherheit der Deſcendenz-Theorie, auch in
ihrer Anwendung auf den Menſchen, liegt vielmehr viel tiefer, und
kann niemals bloß durch einzelne empiriſche Erfahrungen, ſondern nur
durch philoſophiſche Vergleichung und Verwerthung unſeres geſammten
biologiſchen Erfahrungsſchatzes in ihrem wahren inneren Werthe er-
kannt werden. Sie liegt eben darin, daß die Deſcendenztheorie als
ein allgemeines Jnductionsgeſetz aus der vergleichenden Syntheſe aller
organiſchen Naturerſcheinungen, und insbeſondere aus der dreifachen
Parallele der vergleichenden Anatomie, Ontogenie und Phylogenie
mit Nothwendigkeit folgt; und die Pithekoidentheorie bleibt unter allen
Umſtaͤnden (ganz abgeſehen von allen Einzelbeweiſen) ein ſpecieller
Deductionsſchluß, welcher wieder aus dem generellen Jnductions-
geſetz der Deſcendenztheorie mit Nothwendigkeit gefolgert werden muß.

Auf das richtige Verſtaͤndniß dieſer philoſophiſchen Begruͤn-
dung der Deſcendenztheorie
und der mit ihr unzertrennlich
verbundenen Pithekoidentheorie koͤmmt meiner Anſicht nach
Alles an. Viele von Jhnen werden mir dies vielleicht zugeben, aber
mir zugleich entgegen halten, daß das Alles nur von der koͤrper-

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[544/0569] Beweiſe fuͤr den thieriſchen Urſprung des Menſchen. riſchen Urſprung des Menſchengeſchlechts. Nicht allein die Gegner der Deſcendenztheorie, ſondern auch viele Anhaͤnger der- ſelben, denen die gehoͤrige philoſophiſche Bildung mangelt, pflegen dabei vorzugsweiſe an einzelne Erfahrungen, an ſpecielle empiriſche Fortſchritte der Naturwiſſenſchaft zu denken. Man erwartet, daß ploͤtz- lich die Entdeckung einer geſchwaͤnzten Menſchenraſſe oder einer ſprechen- den Affenart, oder einer anderen lebenden oder foſſilen Uebergangs- form zwiſchen Menſchen und Affen, die zwiſchen beiden beſtehende enge Kluft noch mehr ausfuͤllen, und ſomit die Abſtammung des Menſchen vom Affen empiriſch „beweiſen“ ſoll. Derartige einzelne Erfahrungen, und waͤren ſie anſcheinend noch ſo uͤberzeugend und beweiskraͤftig, koͤnnen aber niemals den gewuͤnſchten Beweis liefern. Gedankenloſe oder mit den biologiſchen Erſcheinungsreihen unbekannte Leute werden jenen einzelnen Zeugniſſen immer dieſelben Einwaͤnde entgegen halten koͤnnen, die ſie unſerer Theorie auch jetzt entgegen halten. Die unumſtoͤßliche Sicherheit der Deſcendenz-Theorie, auch in ihrer Anwendung auf den Menſchen, liegt vielmehr viel tiefer, und kann niemals bloß durch einzelne empiriſche Erfahrungen, ſondern nur durch philoſophiſche Vergleichung und Verwerthung unſeres geſammten biologiſchen Erfahrungsſchatzes in ihrem wahren inneren Werthe er- kannt werden. Sie liegt eben darin, daß die Deſcendenztheorie als ein allgemeines Jnductionsgeſetz aus der vergleichenden Syntheſe aller organiſchen Naturerſcheinungen, und insbeſondere aus der dreifachen Parallele der vergleichenden Anatomie, Ontogenie und Phylogenie mit Nothwendigkeit folgt; und die Pithekoidentheorie bleibt unter allen Umſtaͤnden (ganz abgeſehen von allen Einzelbeweiſen) ein ſpecieller Deductionsſchluß, welcher wieder aus dem generellen Jnductions- geſetz der Deſcendenztheorie mit Nothwendigkeit gefolgert werden muß. Auf das richtige Verſtaͤndniß dieſer philoſophiſchen Begruͤn- dung der Deſcendenztheorie und der mit ihr unzertrennlich verbundenen Pithekoidentheorie koͤmmt meiner Anſicht nach Alles an. Viele von Jhnen werden mir dies vielleicht zugeben, aber mir zugleich entgegen halten, daß das Alles nur von der koͤrper-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/569>, abgerufen am 22.11.2024.