Die Entstehung der gegliederten Wortsprache, und die damit verbundene höhere Differenzirung und Vervoll- kommnung des Kehlkopfs haben wir erst als die spätere, zweite und wichtigste Stufe in dem Entwickelungsvorgang der Mensch- werdung zu betrachten. Sie war es ohne Zweifel, welche vor allem die tiefe Kluft zwischen Mensch und Thier schaffen half, und welche zu- nächst auch die wichtigsten Fortschritte in der Seelenthätigkeit und der damit verbundenen Vervollkommnung des Gehirns veranlaßte. Aller- dings existirt eine Sprache als Mittheilung von Empfindungen, Be- strebungen und Gedanken auch bei sehr vielen Thieren, theils als Gebärdensprache oder Zeichensprache, theils als Tastsprache oder Be- rührungssprache, theils als Lautsprache oder Tonsprache. Allein eine wirkliche Wortsprache oder Begriffssprache, eine sogenannte "geglie- derte oder artikulirte" Sprache, welche die Laute durch Abstraction zu Worten umbildet und die Worte zu Sätzen verbindet, ist, so viel wir wissen, ausschließliches Eigenthum des Menschen.
Mehr als alles Andere mußte die Entstehung der menschlichen Sprache veredelnd und umbildend auf das menschliche Seelenleben und somit auf sein Gehirn einwirken. Die höhere Differenzi- rung und Vervollkommnung des Gehirns, und des Geisteslebens als der höchsten Function des Gehirns, entwickelte sich in unmittelbarer Wechselwirkung mit seiner Aeußerung durch die Sprache. Daher konnten die bedeutendsten Vertreter der vergleichenden Sprachforschung in der Entwickelung der menschlichen Sprache mit Recht den wichtigsten Scheidungsprozeß des Menschen von seinen thierischen Vorfahren erblicken. Dies hat namentlich Au- gust Schleicher in seinem Schriftchen "Ueber die Bedeutung der Sprache für die Naturgeschichte des Menschen" hervorgehoben 34). Jn diesem Verhältniß ist einer der engsten Berührungspunkte zwi- schen der vergleichenden Zoologie nnd der vergleichenden Sprachkunde gegeben, und hier stellt die Entwickelungstheorie für die letztere die Aufgabe, den Ursprung der Sprache Schritt für Schritt zu verfolgen. Diese ebenso interessante als wichtige Aufgabe ist in neuester Zeit von
Entwickelung des Menſchen aus dem Affen.
Die Entſtehung der gegliederten Wortſprache, und die damit verbundene hoͤhere Differenzirung und Vervoll- kommnung des Kehlkopfs haben wir erſt als die ſpaͤtere, zweite und wichtigſte Stufe in dem Entwickelungsvorgang der Menſch- werdung zu betrachten. Sie war es ohne Zweifel, welche vor allem die tiefe Kluft zwiſchen Menſch und Thier ſchaffen half, und welche zu- naͤchſt auch die wichtigſten Fortſchritte in der Seelenthaͤtigkeit und der damit verbundenen Vervollkommnung des Gehirns veranlaßte. Aller- dings exiſtirt eine Sprache als Mittheilung von Empfindungen, Be- ſtrebungen und Gedanken auch bei ſehr vielen Thieren, theils als Gebaͤrdenſprache oder Zeichenſprache, theils als Taſtſprache oder Be- ruͤhrungsſprache, theils als Lautſprache oder Tonſprache. Allein eine wirkliche Wortſprache oder Begriffsſprache, eine ſogenannte „geglie- derte oder artikulirte“ Sprache, welche die Laute durch Abſtraction zu Worten umbildet und die Worte zu Saͤtzen verbindet, iſt, ſo viel wir wiſſen, ausſchließliches Eigenthum des Menſchen.
Mehr als alles Andere mußte die Entſtehung der menſchlichen Sprache veredelnd und umbildend auf das menſchliche Seelenleben und ſomit auf ſein Gehirn einwirken. Die hoͤhere Differenzi- rung und Vervollkommnung des Gehirns, und des Geiſteslebens als der hoͤchſten Function des Gehirns, entwickelte ſich in unmittelbarer Wechſelwirkung mit ſeiner Aeußerung durch die Sprache. Daher konnten die bedeutendſten Vertreter der vergleichenden Sprachforſchung in der Entwickelung der menſchlichen Sprache mit Recht den wichtigſten Scheidungsprozeß des Menſchen von ſeinen thieriſchen Vorfahren erblicken. Dies hat namentlich Au- guſt Schleicher in ſeinem Schriftchen „Ueber die Bedeutung der Sprache fuͤr die Naturgeſchichte des Menſchen“ hervorgehoben 34). Jn dieſem Verhaͤltniß iſt einer der engſten Beruͤhrungspunkte zwi- ſchen der vergleichenden Zoologie nnd der vergleichenden Sprachkunde gegeben, und hier ſtellt die Entwickelungstheorie fuͤr die letztere die Aufgabe, den Urſprung der Sprache Schritt fuͤr Schritt zu verfolgen. Dieſe ebenſo intereſſante als wichtige Aufgabe iſt in neueſter Zeit von
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0534"n="509"/><fwplace="top"type="header">Entwickelung des Menſchen aus dem Affen.</fw><lb/><p>Die Entſtehung <hirendition="#g">der gegliederten Wortſprache,</hi> und die<lb/>
damit verbundene <hirendition="#g">hoͤhere Differenzirung und Vervoll-<lb/>
kommnung des Kehlkopfs</hi> haben wir erſt als die ſpaͤtere,<lb/>
zweite und wichtigſte Stufe in dem Entwickelungsvorgang der Menſch-<lb/>
werdung zu betrachten. Sie war es ohne Zweifel, welche vor allem<lb/>
die tiefe Kluft zwiſchen Menſch und Thier ſchaffen half, und welche zu-<lb/>
naͤchſt auch die wichtigſten Fortſchritte in der Seelenthaͤtigkeit und der<lb/>
damit verbundenen Vervollkommnung des Gehirns veranlaßte. Aller-<lb/>
dings exiſtirt eine Sprache als Mittheilung von Empfindungen, Be-<lb/>ſtrebungen und Gedanken auch bei ſehr vielen Thieren, theils als<lb/>
Gebaͤrdenſprache oder Zeichenſprache, theils als Taſtſprache oder Be-<lb/>
ruͤhrungsſprache, theils als Lautſprache oder Tonſprache. Allein eine<lb/>
wirkliche Wortſprache oder Begriffsſprache, eine ſogenannte „geglie-<lb/>
derte oder artikulirte“ Sprache, welche die Laute durch Abſtraction zu<lb/>
Worten umbildet und die Worte zu Saͤtzen verbindet, iſt, ſo viel wir<lb/>
wiſſen, ausſchließliches Eigenthum des Menſchen.</p><lb/><p>Mehr als alles Andere mußte die Entſtehung der menſchlichen<lb/>
Sprache veredelnd und umbildend auf das menſchliche Seelenleben<lb/>
und ſomit auf ſein Gehirn einwirken. Die <hirendition="#g">hoͤhere Differenzi-<lb/>
rung und Vervollkommnung des Gehirns,</hi> und des<lb/><hirendition="#g">Geiſteslebens</hi> als der hoͤchſten <hirendition="#g">Function des Gehirns,</hi><lb/>
entwickelte ſich in unmittelbarer Wechſelwirkung mit ſeiner Aeußerung<lb/>
durch die Sprache. Daher konnten die bedeutendſten Vertreter der<lb/>
vergleichenden Sprachforſchung in der Entwickelung der menſchlichen<lb/>
Sprache mit Recht den wichtigſten Scheidungsprozeß des Menſchen<lb/>
von ſeinen thieriſchen Vorfahren erblicken. Dies hat namentlich <hirendition="#g">Au-<lb/>
guſt Schleicher</hi> in ſeinem Schriftchen „Ueber die Bedeutung der<lb/>
Sprache fuͤr die Naturgeſchichte des Menſchen“ hervorgehoben <hirendition="#sup">34</hi>).<lb/>
Jn dieſem Verhaͤltniß iſt einer der engſten Beruͤhrungspunkte zwi-<lb/>ſchen der vergleichenden Zoologie nnd der vergleichenden Sprachkunde<lb/>
gegeben, und hier ſtellt die Entwickelungstheorie fuͤr die letztere die<lb/>
Aufgabe, den Urſprung der Sprache Schritt fuͤr Schritt zu verfolgen.<lb/>
Dieſe ebenſo intereſſante als wichtige Aufgabe iſt in neueſter Zeit von<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[509/0534]
Entwickelung des Menſchen aus dem Affen.
Die Entſtehung der gegliederten Wortſprache, und die
damit verbundene hoͤhere Differenzirung und Vervoll-
kommnung des Kehlkopfs haben wir erſt als die ſpaͤtere,
zweite und wichtigſte Stufe in dem Entwickelungsvorgang der Menſch-
werdung zu betrachten. Sie war es ohne Zweifel, welche vor allem
die tiefe Kluft zwiſchen Menſch und Thier ſchaffen half, und welche zu-
naͤchſt auch die wichtigſten Fortſchritte in der Seelenthaͤtigkeit und der
damit verbundenen Vervollkommnung des Gehirns veranlaßte. Aller-
dings exiſtirt eine Sprache als Mittheilung von Empfindungen, Be-
ſtrebungen und Gedanken auch bei ſehr vielen Thieren, theils als
Gebaͤrdenſprache oder Zeichenſprache, theils als Taſtſprache oder Be-
ruͤhrungsſprache, theils als Lautſprache oder Tonſprache. Allein eine
wirkliche Wortſprache oder Begriffsſprache, eine ſogenannte „geglie-
derte oder artikulirte“ Sprache, welche die Laute durch Abſtraction zu
Worten umbildet und die Worte zu Saͤtzen verbindet, iſt, ſo viel wir
wiſſen, ausſchließliches Eigenthum des Menſchen.
Mehr als alles Andere mußte die Entſtehung der menſchlichen
Sprache veredelnd und umbildend auf das menſchliche Seelenleben
und ſomit auf ſein Gehirn einwirken. Die hoͤhere Differenzi-
rung und Vervollkommnung des Gehirns, und des
Geiſteslebens als der hoͤchſten Function des Gehirns,
entwickelte ſich in unmittelbarer Wechſelwirkung mit ſeiner Aeußerung
durch die Sprache. Daher konnten die bedeutendſten Vertreter der
vergleichenden Sprachforſchung in der Entwickelung der menſchlichen
Sprache mit Recht den wichtigſten Scheidungsprozeß des Menſchen
von ſeinen thieriſchen Vorfahren erblicken. Dies hat namentlich Au-
guſt Schleicher in ſeinem Schriftchen „Ueber die Bedeutung der
Sprache fuͤr die Naturgeſchichte des Menſchen“ hervorgehoben 34).
Jn dieſem Verhaͤltniß iſt einer der engſten Beruͤhrungspunkte zwi-
ſchen der vergleichenden Zoologie nnd der vergleichenden Sprachkunde
gegeben, und hier ſtellt die Entwickelungstheorie fuͤr die letztere die
Aufgabe, den Urſprung der Sprache Schritt fuͤr Schritt zu verfolgen.
Dieſe ebenſo intereſſante als wichtige Aufgabe iſt in neueſter Zeit von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/534>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.