Weg für die unendliche Laufbahn eröffnet, in welcher sich seitdem der Mensch fortschreitend entwickelt, und seine thierischen Vorfahren so weit überflügelt hat. (Gen. Morph. II, 430).
Als den ersten und ältesten Fortschritt von diesen drei mächtigen Entwickelungsbewegungen des menschlichen Organismus haben wir wohl die höhere Differenzirung und Vervollkommnung der Extremitäten hervorzuheben, welche durch die Gewöh- nung an den aufrechten Gang herbeigeführt wurde. Jndem die Vorderfüße immer ausschließlicher die Function des Greifens und Betastens, die Hinterfüße dagegen immer ausschließlicher die Function des Auftretens und Gehens übernahmen und beibehielten, bildete sich jener Gegensatz zwischen Hand und Fuß aus, welcher zwar dem Men- schen nicht ausschließlich eigenthümlich, aber doch viel stärker bei ihm entwickelt ist, als selbst bei den menschenähnlichsten Affen. Diese Diffe- renzirung der vorderen und hinteren Extremität war aber nicht allein für ihre eigene Ausbildung und Vervollkommnung höchst vortheil- haft, sondern sie hatte zugleich eine ganze Reihe von sehr wichtigen Veränderungen in der übrigen Körperbildung im Gefolge. Die ganze Wirbelsäule, namentlich aber Beckengürtel und Schultergürtel, sowie die dazu gehörige Muskulatur, erlitten dadurch diejenigen Umbildun- gen, durch welche sich der menschliche Körper von demjenigen der men- schenähnlichsten Affen unterscheidet. Wahrscheinlich vollzogen sich diese Umbildungen schon lange vor Entstehung der gegliederten Sprache, und es existirte das Menschengeschlecht schon geraume Zeit mit sei- nem aufrechten Gange und der dadurch herbeigeführten charakteristi- schen menschlichen Körperform, ehe sich die eigentliche Ausbildung der menschlichen Sprache und damit der zweite und wichtigere Theil der Menschwerdung vollzog. Wir können daher wohl mit Recht als eine besondere (21ste) Stufe unserer menschlichen Ahnenreihe den sprachlosen Menschen (Alalus) oder Affenmenschen (Pithecanthropus) unter- scheiden, welcher zwar körperlich dem Menschen in allen wesentlichen Merkmalen schon gleichgebildet, aber noch ohne den Besitz der geglie- derten Wortsprache war.
Entwickelung des Menſchen aus dem Affen.
Weg fuͤr die unendliche Laufbahn eroͤffnet, in welcher ſich ſeitdem der Menſch fortſchreitend entwickelt, und ſeine thieriſchen Vorfahren ſo weit uͤberfluͤgelt hat. (Gen. Morph. II, 430).
Als den erſten und aͤlteſten Fortſchritt von dieſen drei maͤchtigen Entwickelungsbewegungen des menſchlichen Organismus haben wir wohl die hoͤhere Differenzirung und Vervollkommnung der Extremitaͤten hervorzuheben, welche durch die Gewoͤh- nung an den aufrechten Gang herbeigefuͤhrt wurde. Jndem die Vorderfuͤße immer ausſchließlicher die Function des Greifens und Betaſtens, die Hinterfuͤße dagegen immer ausſchließlicher die Function des Auftretens und Gehens uͤbernahmen und beibehielten, bildete ſich jener Gegenſatz zwiſchen Hand und Fuß aus, welcher zwar dem Men- ſchen nicht ausſchließlich eigenthuͤmlich, aber doch viel ſtaͤrker bei ihm entwickelt iſt, als ſelbſt bei den menſchenaͤhnlichſten Affen. Dieſe Diffe- renzirung der vorderen und hinteren Extremitaͤt war aber nicht allein fuͤr ihre eigene Ausbildung und Vervollkommnung hoͤchſt vortheil- haft, ſondern ſie hatte zugleich eine ganze Reihe von ſehr wichtigen Veraͤnderungen in der uͤbrigen Koͤrperbildung im Gefolge. Die ganze Wirbelſaͤule, namentlich aber Beckenguͤrtel und Schulterguͤrtel, ſowie die dazu gehoͤrige Muskulatur, erlitten dadurch diejenigen Umbildun- gen, durch welche ſich der menſchliche Koͤrper von demjenigen der men- ſchenaͤhnlichſten Affen unterſcheidet. Wahrſcheinlich vollzogen ſich dieſe Umbildungen ſchon lange vor Entſtehung der gegliederten Sprache, und es exiſtirte das Menſchengeſchlecht ſchon geraume Zeit mit ſei- nem aufrechten Gange und der dadurch herbeigefuͤhrten charakteriſti- ſchen menſchlichen Koͤrperform, ehe ſich die eigentliche Ausbildung der menſchlichen Sprache und damit der zweite und wichtigere Theil der Menſchwerdung vollzog. Wir koͤnnen daher wohl mit Recht als eine beſondere (21ſte) Stufe unſerer menſchlichen Ahnenreihe den ſprachloſen Menſchen (Alalus) oder Affenmenſchen (Pithecanthropus) unter- ſcheiden, welcher zwar koͤrperlich dem Menſchen in allen weſentlichen Merkmalen ſchon gleichgebildet, aber noch ohne den Beſitz der geglie- derten Wortſprache war.
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Entwickelung des Menſchen aus dem Affen.
Weg fuͤr die unendliche Laufbahn eroͤffnet, in welcher ſich ſeitdem der
Menſch fortſchreitend entwickelt, und ſeine thieriſchen Vorfahren ſo weit
uͤberfluͤgelt hat. (Gen. Morph. II, 430).
Als den erſten und aͤlteſten Fortſchritt von dieſen drei maͤchtigen
Entwickelungsbewegungen des menſchlichen Organismus haben wir
wohl die hoͤhere Differenzirung und Vervollkommnung
der Extremitaͤten hervorzuheben, welche durch die Gewoͤh-
nung an den aufrechten Gang herbeigefuͤhrt wurde. Jndem
die Vorderfuͤße immer ausſchließlicher die Function des Greifens und
Betaſtens, die Hinterfuͤße dagegen immer ausſchließlicher die Function
des Auftretens und Gehens uͤbernahmen und beibehielten, bildete ſich
jener Gegenſatz zwiſchen Hand und Fuß aus, welcher zwar dem Men-
ſchen nicht ausſchließlich eigenthuͤmlich, aber doch viel ſtaͤrker bei ihm
entwickelt iſt, als ſelbſt bei den menſchenaͤhnlichſten Affen. Dieſe Diffe-
renzirung der vorderen und hinteren Extremitaͤt war aber nicht allein
fuͤr ihre eigene Ausbildung und Vervollkommnung hoͤchſt vortheil-
haft, ſondern ſie hatte zugleich eine ganze Reihe von ſehr wichtigen
Veraͤnderungen in der uͤbrigen Koͤrperbildung im Gefolge. Die ganze
Wirbelſaͤule, namentlich aber Beckenguͤrtel und Schulterguͤrtel, ſowie
die dazu gehoͤrige Muskulatur, erlitten dadurch diejenigen Umbildun-
gen, durch welche ſich der menſchliche Koͤrper von demjenigen der men-
ſchenaͤhnlichſten Affen unterſcheidet. Wahrſcheinlich vollzogen ſich dieſe
Umbildungen ſchon lange vor Entſtehung der gegliederten Sprache,
und es exiſtirte das Menſchengeſchlecht ſchon geraume Zeit mit ſei-
nem aufrechten Gange und der dadurch herbeigefuͤhrten charakteriſti-
ſchen menſchlichen Koͤrperform, ehe ſich die eigentliche Ausbildung der
menſchlichen Sprache und damit der zweite und wichtigere Theil der
Menſchwerdung vollzog. Wir koͤnnen daher wohl mit Recht als eine
beſondere (21ſte) Stufe unſerer menſchlichen Ahnenreihe den ſprachloſen
Menſchen (Alalus) oder Affenmenſchen (Pithecanthropus) unter-
ſcheiden, welcher zwar koͤrperlich dem Menſchen in allen weſentlichen
Merkmalen ſchon gleichgebildet, aber noch ohne den Beſitz der geglie-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/533>, abgerufen am 22.11.2024.
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