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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Gegensatz der monophyletischen und polyphyletischen Hypothesen.
sprung sowohl aller einzelnen Organismengruppen als auch der Gesammt-
heit derselben auf eine einzige gemeinsame, durch Urzeugung entstandene
Monerenart zurückzuführen. Die vielheitliche (vielstämmige
oder polyphyletische)
Descendenzhypothese dagegen wird an-
nehmen, daß mehrere verschiedene Monerenarten durch Urzeugung ent-
standen sind, und daß diese mehreren verschiedenen Hauptklassen (Stäm-
men oder Phylen) den Ursprung gegeben haben. Jm Grunde ist der
scheinbar sehr bedeutende Gegensatz zwischen diesen beiden Hypothesen
von sehr geringer Wichtigkeit. Denn beide, sowohl die einheitliche
oder monophyletische, als die vielheitliche oder polyphyletische Descen-
denzhypothese, müssen nothwendig auf Moneren als auf die älteste
Wurzel des einen oder der vielen organischen Stämme zurückgehen.
Da aber der ganze Körper aller Moneren nur aus einer einfachen,
structurlosen und formlosen Masse, einer einzigen eiweißartigen Koh-
lenstoffverbindung besteht, so können die Unterschiede der verschiedenen
Moneren nur chemischer Natur sein und nur in einer verschiedenen
atomistischen Zusammensetzung jener schleimartigen Eiweißverbindung
bestehen. Diese feinen und verwickelten Mischungsverschiedenheiten
der unendlich mannichfaltig zusammengesetzten Eiweißverbindungen
sind aber vorläufig für die rohen und groben Erkenntnißmittel des
Menschen gar nicht erkennbar, und daher auch für unsere vorliegende
Aufgabe zunächst von weiter keinem Jnteresse.

Die Frage von dem einheitlichen oder vielheitlichen Ursprung wird
sich auch innerhalb jedes einzelnen Stammes immer wiederholen, wo
es sich um den Ursprung einer kleineren oder größeren Gruppe han-
delt. Jm Pflanzenreiche z. B. werden die einen Botaniker mehr ge-
neigt sein, die sämmtlichen Blumenpflanzen von einer einzigen Farn-
form abzuleiten, während die anderen die Vorstellung vorziehen wer-
den, daß mehrere verschiedene Phanerogamengruppen aus mehreren
verschiedenen Farngruppen hervorgegangen sind. Ebenso werden im
Thierreich die einen Zoologen mehr zu Gunsten der Annahme sein,
daß sämmtliche placentalen Säugethiere von einer einzigen Beutelthier-
form abstammen, die anderen dagegen mehr zu Gunsten der entgegen-

Gegenſatz der monophyletiſchen und polyphyletiſchen Hypotheſen.
ſprung ſowohl aller einzelnen Organismengruppen als auch der Geſammt-
heit derſelben auf eine einzige gemeinſame, durch Urzeugung entſtandene
Monerenart zuruͤckzufuͤhren. Die vielheitliche (vielſtaͤmmige
oder polyphyletiſche)
Deſcendenzhypotheſe dagegen wird an-
nehmen, daß mehrere verſchiedene Monerenarten durch Urzeugung ent-
ſtanden ſind, und daß dieſe mehreren verſchiedenen Hauptklaſſen (Staͤm-
men oder Phylen) den Urſprung gegeben haben. Jm Grunde iſt der
ſcheinbar ſehr bedeutende Gegenſatz zwiſchen dieſen beiden Hypotheſen
von ſehr geringer Wichtigkeit. Denn beide, ſowohl die einheitliche
oder monophyletiſche, als die vielheitliche oder polyphyletiſche Deſcen-
denzhypotheſe, muͤſſen nothwendig auf Moneren als auf die aͤlteſte
Wurzel des einen oder der vielen organiſchen Staͤmme zuruͤckgehen.
Da aber der ganze Koͤrper aller Moneren nur aus einer einfachen,
ſtructurloſen und formloſen Maſſe, einer einzigen eiweißartigen Koh-
lenſtoffverbindung beſteht, ſo koͤnnen die Unterſchiede der verſchiedenen
Moneren nur chemiſcher Natur ſein und nur in einer verſchiedenen
atomiſtiſchen Zuſammenſetzung jener ſchleimartigen Eiweißverbindung
beſtehen. Dieſe feinen und verwickelten Miſchungsverſchiedenheiten
der unendlich mannichfaltig zuſammengeſetzten Eiweißverbindungen
ſind aber vorlaͤufig fuͤr die rohen und groben Erkenntnißmittel des
Menſchen gar nicht erkennbar, und daher auch fuͤr unſere vorliegende
Aufgabe zunaͤchſt von weiter keinem Jntereſſe.

Die Frage von dem einheitlichen oder vielheitlichen Urſprung wird
ſich auch innerhalb jedes einzelnen Stammes immer wiederholen, wo
es ſich um den Urſprung einer kleineren oder groͤßeren Gruppe han-
delt. Jm Pflanzenreiche z. B. werden die einen Botaniker mehr ge-
neigt ſein, die ſaͤmmtlichen Blumenpflanzen von einer einzigen Farn-
form abzuleiten, waͤhrend die anderen die Vorſtellung vorziehen wer-
den, daß mehrere verſchiedene Phanerogamengruppen aus mehreren
verſchiedenen Farngruppen hervorgegangen ſind. Ebenſo werden im
Thierreich die einen Zoologen mehr zu Gunſten der Annahme ſein,
daß ſaͤmmtliche placentalen Saͤugethiere von einer einzigen Beutelthier-
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[324/0349] Gegenſatz der monophyletiſchen und polyphyletiſchen Hypotheſen. ſprung ſowohl aller einzelnen Organismengruppen als auch der Geſammt- heit derſelben auf eine einzige gemeinſame, durch Urzeugung entſtandene Monerenart zuruͤckzufuͤhren. Die vielheitliche (vielſtaͤmmige oder polyphyletiſche) Deſcendenzhypotheſe dagegen wird an- nehmen, daß mehrere verſchiedene Monerenarten durch Urzeugung ent- ſtanden ſind, und daß dieſe mehreren verſchiedenen Hauptklaſſen (Staͤm- men oder Phylen) den Urſprung gegeben haben. Jm Grunde iſt der ſcheinbar ſehr bedeutende Gegenſatz zwiſchen dieſen beiden Hypotheſen von ſehr geringer Wichtigkeit. Denn beide, ſowohl die einheitliche oder monophyletiſche, als die vielheitliche oder polyphyletiſche Deſcen- denzhypotheſe, muͤſſen nothwendig auf Moneren als auf die aͤlteſte Wurzel des einen oder der vielen organiſchen Staͤmme zuruͤckgehen. Da aber der ganze Koͤrper aller Moneren nur aus einer einfachen, ſtructurloſen und formloſen Maſſe, einer einzigen eiweißartigen Koh- lenſtoffverbindung beſteht, ſo koͤnnen die Unterſchiede der verſchiedenen Moneren nur chemiſcher Natur ſein und nur in einer verſchiedenen atomiſtiſchen Zuſammenſetzung jener ſchleimartigen Eiweißverbindung beſtehen. Dieſe feinen und verwickelten Miſchungsverſchiedenheiten der unendlich mannichfaltig zuſammengeſetzten Eiweißverbindungen ſind aber vorlaͤufig fuͤr die rohen und groben Erkenntnißmittel des Menſchen gar nicht erkennbar, und daher auch fuͤr unſere vorliegende Aufgabe zunaͤchſt von weiter keinem Jntereſſe. Die Frage von dem einheitlichen oder vielheitlichen Urſprung wird ſich auch innerhalb jedes einzelnen Stammes immer wiederholen, wo es ſich um den Urſprung einer kleineren oder groͤßeren Gruppe han- delt. Jm Pflanzenreiche z. B. werden die einen Botaniker mehr ge- neigt ſein, die ſaͤmmtlichen Blumenpflanzen von einer einzigen Farn- form abzuleiten, waͤhrend die anderen die Vorſtellung vorziehen wer- den, daß mehrere verſchiedene Phanerogamengruppen aus mehreren verſchiedenen Farngruppen hervorgegangen ſind. Ebenſo werden im Thierreich die einen Zoologen mehr zu Gunſten der Annahme ſein, daß ſaͤmmtliche placentalen Saͤugethiere von einer einzigen Beutelthier- form abſtammen, die anderen dagegen mehr zu Gunſten der entgegen-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/349>, abgerufen am 27.11.2024.