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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Zahl der Stämme des Thierreichs und des Pflanzenreichs.
Flechten (Lichenes); 5. die Pilze (Fungi) und 6. die Tange
(Algae). Die letzten drei Gruppen zeigen selbst wiederum unter sich so
nahe Beziehungen, daß man sie als Thalluspflanzen (Thallo-
phyta)
den drei ersten Hauptklassen gegenüber stellen, und somit die
Zahl der Phylen oder Hauptgruppen des Pflanzenreichs auf vier be-
schränken könnte. Auch Mose und Farne könnte man als Prothal-
luspflanzen
(Prothallophyta) zusammenfassen und dadurch die
Zahl der Pflanzenstämme auf drei erniedrigen: Blumenpflanzen, Pro-
thalluspflanzen und Thalluspflanzen.

Nun sprechen aber sehr gewichtige Thatsachen der Anatomie und
der Entwickelungsgeschichte sowohl im Thierreich als im Pflanzenreich
für die Vermuthung, daß auch diese wenigen Hauptklassen oder
Stämme noch an ihrer Wurzel zusammenhängen, d. h. daß ihre nie-
dersten und ältesten Stammformen unter sich wiederum blutsverwandt
sind. Ja bei weiter gehender Untersuchung werden wir noch einen
Schritt weiter und zu Darwin's Annahme hingedrängt, daß auch
die beiden Stammbäume des Thier- und Pflanzenreichs an ihrer tief-
sten Wurzel zusammenhängen, daß auch die niedersten und ältesten
Thiere und Pflanzen von einem einzigen gemeinsamen Urwesen ab-
stammen. Natürlich könnte nach unserer Ansicht dieser gemeinsame
Urorganismus nur ein durch Urzeugung entstandenes Moner sein.

Vorsichtiger werden wir vorläufig jedenfalls verfahren, wenn
wir diesen letzten Schritt noch vermeiden, und wahre Blutsverwandt-
schaft nur innerhalb jedes Stammes oder Phylum annehmen, wo sie
durch die Thatsachen der vergleichenden Anatomie, Ontogenie und Phy-
logenie unzweifelhaft sicher gestellt wird. Aber schon jetzt können wir
bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß zwei verschiedene Grund-
formen der genealogischen Hypothesen möglich sind, und daß alle ver-
schiedenen Untersuchungen der Descendenztheorie über den Ursprung
der organischen Formengruppen sich künftig entweder mehr in der einen
oder mehr in der anderen von diesen beiden Richtungen bewegen wer-
den. Die einheitliche (einstämmige oder monophyle-
tische)
Abstammungshypothese wird bestrebt sein, den ersten Ur-

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Zahl der Staͤmme des Thierreichs und des Pflanzenreichs.
Flechten (Lichenes); 5. die Pilze (Fungi) und 6. die Tange
(Algae). Die letzten drei Gruppen zeigen ſelbſt wiederum unter ſich ſo
nahe Beziehungen, daß man ſie als Thalluspflanzen (Thallo-
phyta)
den drei erſten Hauptklaſſen gegenuͤber ſtellen, und ſomit die
Zahl der Phylen oder Hauptgruppen des Pflanzenreichs auf vier be-
ſchraͤnken koͤnnte. Auch Moſe und Farne koͤnnte man als Prothal-
luspflanzen
(Prothallophyta) zuſammenfaſſen und dadurch die
Zahl der Pflanzenſtaͤmme auf drei erniedrigen: Blumenpflanzen, Pro-
thalluspflanzen und Thalluspflanzen.

Nun ſprechen aber ſehr gewichtige Thatſachen der Anatomie und
der Entwickelungsgeſchichte ſowohl im Thierreich als im Pflanzenreich
fuͤr die Vermuthung, daß auch dieſe wenigen Hauptklaſſen oder
Staͤmme noch an ihrer Wurzel zuſammenhaͤngen, d. h. daß ihre nie-
derſten und aͤlteſten Stammformen unter ſich wiederum blutsverwandt
ſind. Ja bei weiter gehender Unterſuchung werden wir noch einen
Schritt weiter und zu Darwin’s Annahme hingedraͤngt, daß auch
die beiden Stammbaͤume des Thier- und Pflanzenreichs an ihrer tief-
ſten Wurzel zuſammenhaͤngen, daß auch die niederſten und aͤlteſten
Thiere und Pflanzen von einem einzigen gemeinſamen Urweſen ab-
ſtammen. Natuͤrlich koͤnnte nach unſerer Anſicht dieſer gemeinſame
Urorganismus nur ein durch Urzeugung entſtandenes Moner ſein.

Vorſichtiger werden wir vorlaͤufig jedenfalls verfahren, wenn
wir dieſen letzten Schritt noch vermeiden, und wahre Blutsverwandt-
ſchaft nur innerhalb jedes Stammes oder Phylum annehmen, wo ſie
durch die Thatſachen der vergleichenden Anatomie, Ontogenie und Phy-
logenie unzweifelhaft ſicher geſtellt wird. Aber ſchon jetzt koͤnnen wir
bei dieſer Gelegenheit darauf hinweiſen, daß zwei verſchiedene Grund-
formen der genealogiſchen Hypotheſen moͤglich ſind, und daß alle ver-
ſchiedenen Unterſuchungen der Deſcendenztheorie uͤber den Urſprung
der organiſchen Formengruppen ſich kuͤnftig entweder mehr in der einen
oder mehr in der anderen von dieſen beiden Richtungen bewegen wer-
den. Die einheitliche (einſtaͤmmige oder monophyle-
tiſche)
Abſtammungshypotheſe wird beſtrebt ſein, den erſten Ur-

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[323/0348] Zahl der Staͤmme des Thierreichs und des Pflanzenreichs. Flechten (Lichenes); 5. die Pilze (Fungi) und 6. die Tange (Algae). Die letzten drei Gruppen zeigen ſelbſt wiederum unter ſich ſo nahe Beziehungen, daß man ſie als Thalluspflanzen (Thallo- phyta) den drei erſten Hauptklaſſen gegenuͤber ſtellen, und ſomit die Zahl der Phylen oder Hauptgruppen des Pflanzenreichs auf vier be- ſchraͤnken koͤnnte. Auch Moſe und Farne koͤnnte man als Prothal- luspflanzen (Prothallophyta) zuſammenfaſſen und dadurch die Zahl der Pflanzenſtaͤmme auf drei erniedrigen: Blumenpflanzen, Pro- thalluspflanzen und Thalluspflanzen. Nun ſprechen aber ſehr gewichtige Thatſachen der Anatomie und der Entwickelungsgeſchichte ſowohl im Thierreich als im Pflanzenreich fuͤr die Vermuthung, daß auch dieſe wenigen Hauptklaſſen oder Staͤmme noch an ihrer Wurzel zuſammenhaͤngen, d. h. daß ihre nie- derſten und aͤlteſten Stammformen unter ſich wiederum blutsverwandt ſind. Ja bei weiter gehender Unterſuchung werden wir noch einen Schritt weiter und zu Darwin’s Annahme hingedraͤngt, daß auch die beiden Stammbaͤume des Thier- und Pflanzenreichs an ihrer tief- ſten Wurzel zuſammenhaͤngen, daß auch die niederſten und aͤlteſten Thiere und Pflanzen von einem einzigen gemeinſamen Urweſen ab- ſtammen. Natuͤrlich koͤnnte nach unſerer Anſicht dieſer gemeinſame Urorganismus nur ein durch Urzeugung entſtandenes Moner ſein. Vorſichtiger werden wir vorlaͤufig jedenfalls verfahren, wenn wir dieſen letzten Schritt noch vermeiden, und wahre Blutsverwandt- ſchaft nur innerhalb jedes Stammes oder Phylum annehmen, wo ſie durch die Thatſachen der vergleichenden Anatomie, Ontogenie und Phy- logenie unzweifelhaft ſicher geſtellt wird. Aber ſchon jetzt koͤnnen wir bei dieſer Gelegenheit darauf hinweiſen, daß zwei verſchiedene Grund- formen der genealogiſchen Hypotheſen moͤglich ſind, und daß alle ver- ſchiedenen Unterſuchungen der Deſcendenztheorie uͤber den Urſprung der organiſchen Formengruppen ſich kuͤnftig entweder mehr in der einen oder mehr in der anderen von dieſen beiden Richtungen bewegen wer- den. Die einheitliche (einſtaͤmmige oder monophyle- tiſche) Abſtammungshypotheſe wird beſtrebt ſein, den erſten Ur- 21 *

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/348>, abgerufen am 28.11.2024.