sehen, daß sie dasselbe nicht besitzt, vielmehr im Grunde von sehr un- tergeordneter Bedeutung ist.
Lassen Sie uns hier zunächst den Begriff des organischen Stammes näher in's Auge fassen und fest begrenzen. Wir verste- hen unter Stamm oder Phylum die Gesammtheit aller derjenigen Organismen, deren Blutsverwandtschaft, deren Abstammung von einer gemeinsamen Stammform aus anatomischen und entwickelungs- geschichtlichen Gründen nicht zweifelhaft sein kann, oder doch wenig- stens in hohem Maße wahrscheinlich ist. Unsere Stämme oder Phy- len fallen also wesentlich dem Begriffe nach zusammen mit jenen weni- gen "großen Klassen" oder "Hauptklassen," von denen auch Darwin glaubt, daß eine jede nur blutsverwandte Organismen enthält, und von denen er sowohl im Thierreich als im Pflanzenreich nur sehr we- nige, in jedem Reiche etwa vier bis fünf annimmt. Jm Thierreich würden diese Stämme im Wesentlichen mit jenen vier bis sechs Haupt- abtheilungen zusammenfallen, welche die Zoologen seit Bär und Cuvier als "Hauptformen, Generalpläne, Zweige oder Kreise" des Thierreichs unterscheiden (Vgl. S. 42). Bär und Cuvier unter- schieden deren nur vier, nämlich 1. die Wirbelthiere(Vertebrata); 2. die Gliederthiere(Articulata); 3. die Weichthiere(Mollusca) und 4. die Strahlthiere(Radiata). Gegenwärtig unterscheidet man gewöhnlich sechs, indem man den Stamm der Gliederthiere in die beiden Stämme der Gliederfüßer(Arthropoda) und der Würmer(Vermes) trennt, und ebenso den Stamm der Strahlthiere in die beiden Stämme der Sternthiere(Echinoderma) und der Pflanzenthiere(Coelenterata) zerlegt. Jnnerhalb jedes dieser sechs Stämme zeigen alle dazu gehörigen Thiere trotz großer Mannich- faltigkeit in der äußeren Form und im inneren Bau dennoch so zahl- reiche und wichtige gemeinsame Grundzüge, daß wir an ihrer Bluts- verwandtschaft nicht zweifeln können. Dasselbe gilt auch von den sechs großen Hauptklassen, welche die neuere Botanik im Pflanzen- reiche unterscheidet, nämlich 1. die Blumenpflanzen(Phanero- gamae); 2. die Farne(Filicinae); 3. die Mose(Muscinae); 4. die
Begriff der organiſchen Staͤmme oder Phylen.
ſehen, daß ſie daſſelbe nicht beſitzt, vielmehr im Grunde von ſehr un- tergeordneter Bedeutung iſt.
Laſſen Sie uns hier zunaͤchſt den Begriff des organiſchen Stammes naͤher in’s Auge faſſen und feſt begrenzen. Wir verſte- hen unter Stamm oder Phylum die Geſammtheit aller derjenigen Organismen, deren Blutsverwandtſchaft, deren Abſtammung von einer gemeinſamen Stammform aus anatomiſchen und entwickelungs- geſchichtlichen Gruͤnden nicht zweifelhaft ſein kann, oder doch wenig- ſtens in hohem Maße wahrſcheinlich iſt. Unſere Staͤmme oder Phy- len fallen alſo weſentlich dem Begriffe nach zuſammen mit jenen weni- gen „großen Klaſſen“ oder „Hauptklaſſen,“ von denen auch Darwin glaubt, daß eine jede nur blutsverwandte Organismen enthaͤlt, und von denen er ſowohl im Thierreich als im Pflanzenreich nur ſehr we- nige, in jedem Reiche etwa vier bis fuͤnf annimmt. Jm Thierreich wuͤrden dieſe Staͤmme im Weſentlichen mit jenen vier bis ſechs Haupt- abtheilungen zuſammenfallen, welche die Zoologen ſeit Baͤr und Cuvier als „Hauptformen, Generalplaͤne, Zweige oder Kreiſe“ des Thierreichs unterſcheiden (Vgl. S. 42). Baͤr und Cuvier unter- ſchieden deren nur vier, naͤmlich 1. die Wirbelthiere(Vertebrata); 2. die Gliederthiere(Articulata); 3. die Weichthiere(Mollusca) und 4. die Strahlthiere(Radiata). Gegenwaͤrtig unterſcheidet man gewoͤhnlich ſechs, indem man den Stamm der Gliederthiere in die beiden Staͤmme der Gliederfuͤßer(Arthropoda) und der Wuͤrmer(Vermes) trennt, und ebenſo den Stamm der Strahlthiere in die beiden Staͤmme der Sternthiere(Echinoderma) und der Pflanzenthiere(Coelenterata) zerlegt. Jnnerhalb jedes dieſer ſechs Staͤmme zeigen alle dazu gehoͤrigen Thiere trotz großer Mannich- faltigkeit in der aͤußeren Form und im inneren Bau dennoch ſo zahl- reiche und wichtige gemeinſame Grundzuͤge, daß wir an ihrer Bluts- verwandtſchaft nicht zweifeln koͤnnen. Daſſelbe gilt auch von den ſechs großen Hauptklaſſen, welche die neuere Botanik im Pflanzen- reiche unterſcheidet, naͤmlich 1. die Blumenpflanzen(Phanero- gamae); 2. die Farne(Filicinae); 3. die Moſe(Muscinae); 4. die
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Laſſen Sie uns hier zunaͤchſt den Begriff des organiſchen
Stammes naͤher in’s Auge faſſen und feſt begrenzen. Wir verſte-
hen unter Stamm oder Phylum die Geſammtheit aller derjenigen
Organismen, deren Blutsverwandtſchaft, deren Abſtammung von
einer gemeinſamen Stammform aus anatomiſchen und entwickelungs-
geſchichtlichen Gruͤnden nicht zweifelhaft ſein kann, oder doch wenig-
ſtens in hohem Maße wahrſcheinlich iſt. Unſere Staͤmme oder Phy-
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glaubt, daß eine jede nur blutsverwandte Organismen enthaͤlt, und
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Cuvier als „Hauptformen, Generalplaͤne, Zweige oder Kreiſe“ des
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ſchieden deren nur vier, naͤmlich 1. die Wirbelthiere (Vertebrata);
2. die Gliederthiere (Articulata); 3. die Weichthiere (Mollusca)
und 4. die Strahlthiere (Radiata). Gegenwaͤrtig unterſcheidet
man gewoͤhnlich ſechs, indem man den Stamm der Gliederthiere
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Wuͤrmer (Vermes) trennt, und ebenſo den Stamm der Strahlthiere
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ſechs Staͤmme zeigen alle dazu gehoͤrigen Thiere trotz großer Mannich-
faltigkeit in der aͤußeren Form und im inneren Bau dennoch ſo zahl-
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verwandtſchaft nicht zweifeln koͤnnen. Daſſelbe gilt auch von den
ſechs großen Hauptklaſſen, welche die neuere Botanik im Pflanzen-
reiche unterſcheidet, naͤmlich 1. die Blumenpflanzen (Phanero-
gamae); 2. die Farne (Filicinae); 3. die Moſe (Muscinae); 4. die
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/347>, abgerufen am 28.11.2024.
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