Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Seltenheit vieler versteinerter Arten. Nichts kennt, als den Unterkiefer. Dieser Knochen ist erstens verhält-nißmäßig fest und löst sich zweitens sehr leicht von dem todten Kadaver, das auf dem Wasser schwimmt, ab. Während die Leiche vom Wasser fortgetrieben und zerstört wird, fällt der Unterkiefer auf den Grund des Wassers hinab und wird hier vom Schlamm umschlossen. Dar- aus erklärt sich allein die merkwürdige Thatsache, daß in einer Kalk- schicht des Jurasystems bei Oxford in England, in den Schiefern von Stonesfield, bis jetzt bloß die Unterkiefer von zahlreichen Beutelthieren gefunden worden sind, den ältesten Säugethieren, welche wir kennen. Von dem ganzen übrigen Körper derselben war auch nicht ein Kno- chen mehr vorhanden. Ferner sind in dieser Beziehung auch die Fuß- spuren sehr lehrreich, welche sich in großer Menge in verschiedenen aus- gedehnten Sandsteinlagern, z. B. in dem rothen Sandstein von Con- necticut in Nordamerika, finden. Diese Fußtritte rühren offenbar von Wirbelthieren, wahrscheinlich von Reptilien her, von deren Körper selbst uns nicht die geringste Spur erhalten geblieben ist. Die Ab- drücke, welche ihre Füße im Schlamm hinterlassen haben, verrathen uns allein die vormalige Existenz von diesen uns sonst ganz unbekann- ten Thieren. Welche Zufälligkeiten außerdem noch die Grenzen unserer paläonto- Seltenheit vieler verſteinerter Arten. Nichts kennt, als den Unterkiefer. Dieſer Knochen iſt erſtens verhaͤlt-nißmaͤßig feſt und loͤſt ſich zweitens ſehr leicht von dem todten Kadaver, das auf dem Waſſer ſchwimmt, ab. Waͤhrend die Leiche vom Waſſer fortgetrieben und zerſtoͤrt wird, faͤllt der Unterkiefer auf den Grund des Waſſers hinab und wird hier vom Schlamm umſchloſſen. Dar- aus erklaͤrt ſich allein die merkwuͤrdige Thatſache, daß in einer Kalk- ſchicht des Juraſyſtems bei Oxford in England, in den Schiefern von Stonesfield, bis jetzt bloß die Unterkiefer von zahlreichen Beutelthieren gefunden worden ſind, den aͤlteſten Saͤugethieren, welche wir kennen. Von dem ganzen uͤbrigen Koͤrper derſelben war auch nicht ein Kno- chen mehr vorhanden. Ferner ſind in dieſer Beziehung auch die Fuß- ſpuren ſehr lehrreich, welche ſich in großer Menge in verſchiedenen aus- gedehnten Sandſteinlagern, z. B. in dem rothen Sandſtein von Con- necticut in Nordamerika, finden. Dieſe Fußtritte ruͤhren offenbar von Wirbelthieren, wahrſcheinlich von Reptilien her, von deren Koͤrper ſelbſt uns nicht die geringſte Spur erhalten geblieben iſt. Die Ab- druͤcke, welche ihre Fuͤße im Schlamm hinterlaſſen haben, verrathen uns allein die vormalige Exiſtenz von dieſen uns ſonſt ganz unbekann- ten Thieren. Welche Zufaͤlligkeiten außerdem noch die Grenzen unſerer palaͤonto- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0336" n="311"/><fw place="top" type="header">Seltenheit vieler verſteinerter Arten.</fw><lb/> Nichts kennt, als den Unterkiefer. Dieſer Knochen iſt erſtens verhaͤlt-<lb/> nißmaͤßig feſt und loͤſt ſich zweitens ſehr leicht von dem todten Kadaver,<lb/> das auf dem Waſſer ſchwimmt, ab. Waͤhrend die Leiche vom Waſſer<lb/> fortgetrieben und zerſtoͤrt wird, faͤllt der Unterkiefer auf den Grund<lb/> des Waſſers hinab und wird hier vom Schlamm umſchloſſen. Dar-<lb/> aus erklaͤrt ſich allein die merkwuͤrdige Thatſache, daß in einer Kalk-<lb/> ſchicht des Juraſyſtems bei Oxford in England, in den Schiefern von<lb/> Stonesfield, bis jetzt bloß die Unterkiefer von zahlreichen Beutelthieren<lb/> gefunden worden ſind, den aͤlteſten Saͤugethieren, welche wir kennen.<lb/> Von dem ganzen uͤbrigen Koͤrper derſelben war auch nicht ein Kno-<lb/> chen mehr vorhanden. 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Seltenheit vieler verſteinerter Arten.
Nichts kennt, als den Unterkiefer. Dieſer Knochen iſt erſtens verhaͤlt-
nißmaͤßig feſt und loͤſt ſich zweitens ſehr leicht von dem todten Kadaver,
das auf dem Waſſer ſchwimmt, ab. Waͤhrend die Leiche vom Waſſer
fortgetrieben und zerſtoͤrt wird, faͤllt der Unterkiefer auf den Grund
des Waſſers hinab und wird hier vom Schlamm umſchloſſen. Dar-
aus erklaͤrt ſich allein die merkwuͤrdige Thatſache, daß in einer Kalk-
ſchicht des Juraſyſtems bei Oxford in England, in den Schiefern von
Stonesfield, bis jetzt bloß die Unterkiefer von zahlreichen Beutelthieren
gefunden worden ſind, den aͤlteſten Saͤugethieren, welche wir kennen.
Von dem ganzen uͤbrigen Koͤrper derſelben war auch nicht ein Kno-
chen mehr vorhanden. Ferner ſind in dieſer Beziehung auch die Fuß-
ſpuren ſehr lehrreich, welche ſich in großer Menge in verſchiedenen aus-
gedehnten Sandſteinlagern, z. B. in dem rothen Sandſtein von Con-
necticut in Nordamerika, finden. Dieſe Fußtritte ruͤhren offenbar von
Wirbelthieren, wahrſcheinlich von Reptilien her, von deren Koͤrper
ſelbſt uns nicht die geringſte Spur erhalten geblieben iſt. Die Ab-
druͤcke, welche ihre Fuͤße im Schlamm hinterlaſſen haben, verrathen uns
allein die vormalige Exiſtenz von dieſen uns ſonſt ganz unbekann-
ten Thieren.
Welche Zufaͤlligkeiten außerdem noch die Grenzen unſerer palaͤonto-
logiſchen Kenntniſſe beſtimmen, koͤnnen Sie daraus ermeſſen, daß man
von ſehr vielen wichtigen Verſteinerungen nur ein einziges oder nur ein
paar Exemplare kennt. Es iſt noch nicht zehn Jahre her, ſeit wir mit dem
unvollſtaͤndigen Abdruck eines Vogels aus dem Juraſyſtem bekannt wur-
den, deſſen Kenntniß fuͤr die Phylogenie der ganzen Voͤgelklaſſe von der
allergroͤßten Wichtigkeit war. Alle bisher bekannten Voͤgel ſtellten eine
ſehr einfoͤrmig organiſirte Gruppe dar, und zeigten keine auffallenden
Uebergangsbildungen zu anderen Wirbelthierklaſſen, auch nicht zu den
naͤchſtverwandten Reptilien. Jener foſſile Vogel aus dem Jura dagegen
beſaß keinen gewoͤhnlichen Vogelſchwanz, ſondern einen Eidechſenſchwanz,
und beſtaͤtigte dadurch die aus anderen Gruͤnden vermuthete Abſtam-
mung der Voͤgel von den Eidechſen. Durch dieſes einzige Petrefact
wurde alſo nicht nur unſere Kenntniß von dem Alter der Vogelklaſſe,
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