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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Wechselbeziehungen der Geschlechtsorgane und der übrigen Körpertheile.
berentzündungen, gelbem Fieber u. s. w.) unterworfen sind, als Eu-
ropäer mit heller Hautfarbe, blondem Haar und blauen Augen.
Diese letztern sind viel mehr, als die Jndividuen von dunkler Com-
plexion, den klimatischen Einflüssen der Tropengegenden ausgesetzt.

Vorzugsweise merkwürdig sind unter diesen Wechselbeziehungen
der Bildung verschiedener Organe diejenigen, welche zwischen den Ge-
schlechtsorganen und den übrigen Theilen des Körpers bestehen. Keine
Veränderung eines Theiles wirkt so mächtig zurück auf die übrigen
Körpertheile, als eine bestimmte Behandlung der Geschlechtsorgane.
Die Landwirthe, welche bei Schweinen, Schafen u. s. w. reichliche
Fettbildung erzielen wollen, entfernen die Geschlechtsorgane durch
Herausschneiden (Castration), und zwar geschieht dies bei Thieren
beiderlei Geschlechts. Jn Folge davon tritt eine übermäßige Fett-
entwickelung ein. Dasselbe thut auch seine Heiligkeit, der Papst, bei
den Castraten, welche in der Peterskirche zu Ehren Gottes singen
müssen. Diese Unglücklichen werden in früher Jugend castrirt, da-
mit sie ihre hohen Knabenstimmen beibehalten. Jn Folge dieser Ver-
stümmelung der Genitalien bleibt der Kehlkopf auf der jugendlichen
Entwickelungsstufe stehen. Zugleich bleibt die Muskulatur des ganzen
Körpers schwach entwickelt, während sich unter der Haut reichliche
Fettmengen ansammeln. Aber auch auf die Ausbildung des Central-
nervensystems, der Willensenergie u. s. w. wirkt jene Verstümmelung
mächtig zurück, und es ist bekannt, daß die menschlichen Castraten
oder Eunuchen ebenso wie die castrirten männlichen Hausthiere, des
bestimmten psychischen Charakters, welcher das männliche Geschlecht
auszeichnet, gänzlich entbehren. Der Mann ist eben Leib und Seele
nach nur Mann durch seine männliche Generationsdrüse.

Diese äußerst wichtigen und einflußreichen Wechselbeziehungen
zwischen den Geschlechtsorganen und den übrigen Körpertheilen, vor
allen dem Gehirn, finden sich in gleicher Weise bei beiden Geschlech-
tern. Es läßt sich dies schon von vornherein deshalb erwarten, weil
bei den meisten Thieren die beiderlei Organe aus gleicher Grundlage
sich entwickeln und anfänglich nicht verschieden sind. Beim Menschen,

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Wechſelbeziehungen der Geſchlechtsorgane und der uͤbrigen Koͤrpertheile.
berentzuͤndungen, gelbem Fieber u. ſ. w.) unterworfen ſind, als Eu-
ropaͤer mit heller Hautfarbe, blondem Haar und blauen Augen.
Dieſe letztern ſind viel mehr, als die Jndividuen von dunkler Com-
plexion, den klimatiſchen Einfluͤſſen der Tropengegenden ausgeſetzt.

Vorzugsweiſe merkwuͤrdig ſind unter dieſen Wechſelbeziehungen
der Bildung verſchiedener Organe diejenigen, welche zwiſchen den Ge-
ſchlechtsorganen und den uͤbrigen Theilen des Koͤrpers beſtehen. Keine
Veraͤnderung eines Theiles wirkt ſo maͤchtig zuruͤck auf die uͤbrigen
Koͤrpertheile, als eine beſtimmte Behandlung der Geſchlechtsorgane.
Die Landwirthe, welche bei Schweinen, Schafen u. ſ. w. reichliche
Fettbildung erzielen wollen, entfernen die Geſchlechtsorgane durch
Herausſchneiden (Caſtration), und zwar geſchieht dies bei Thieren
beiderlei Geſchlechts. Jn Folge davon tritt eine uͤbermaͤßige Fett-
entwickelung ein. Daſſelbe thut auch ſeine Heiligkeit, der Papſt, bei
den Caſtraten, welche in der Peterskirche zu Ehren Gottes ſingen
muͤſſen. Dieſe Ungluͤcklichen werden in fruͤher Jugend caſtrirt, da-
mit ſie ihre hohen Knabenſtimmen beibehalten. Jn Folge dieſer Ver-
ſtuͤmmelung der Genitalien bleibt der Kehlkopf auf der jugendlichen
Entwickelungsſtufe ſtehen. Zugleich bleibt die Muskulatur des ganzen
Koͤrpers ſchwach entwickelt, waͤhrend ſich unter der Haut reichliche
Fettmengen anſammeln. Aber auch auf die Ausbildung des Central-
nervenſyſtems, der Willensenergie u. ſ. w. wirkt jene Verſtuͤmmelung
maͤchtig zuruͤck, und es iſt bekannt, daß die menſchlichen Caſtraten
oder Eunuchen ebenſo wie die caſtrirten maͤnnlichen Hausthiere, des
beſtimmten pſychiſchen Charakters, welcher das maͤnnliche Geſchlecht
auszeichnet, gaͤnzlich entbehren. Der Mann iſt eben Leib und Seele
nach nur Mann durch ſeine maͤnnliche Generationsdruͤſe.

Dieſe aͤußerſt wichtigen und einflußreichen Wechſelbeziehungen
zwiſchen den Geſchlechtsorganen und den uͤbrigen Koͤrpertheilen, vor
allen dem Gehirn, finden ſich in gleicher Weiſe bei beiden Geſchlech-
tern. Es laͤßt ſich dies ſchon von vornherein deshalb erwarten, weil
bei den meiſten Thieren die beiderlei Organe aus gleicher Grundlage
ſich entwickeln und anfaͤnglich nicht verſchieden ſind. Beim Menſchen,

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[195/0216] Wechſelbeziehungen der Geſchlechtsorgane und der uͤbrigen Koͤrpertheile. berentzuͤndungen, gelbem Fieber u. ſ. w.) unterworfen ſind, als Eu- ropaͤer mit heller Hautfarbe, blondem Haar und blauen Augen. Dieſe letztern ſind viel mehr, als die Jndividuen von dunkler Com- plexion, den klimatiſchen Einfluͤſſen der Tropengegenden ausgeſetzt. Vorzugsweiſe merkwuͤrdig ſind unter dieſen Wechſelbeziehungen der Bildung verſchiedener Organe diejenigen, welche zwiſchen den Ge- ſchlechtsorganen und den uͤbrigen Theilen des Koͤrpers beſtehen. Keine Veraͤnderung eines Theiles wirkt ſo maͤchtig zuruͤck auf die uͤbrigen Koͤrpertheile, als eine beſtimmte Behandlung der Geſchlechtsorgane. Die Landwirthe, welche bei Schweinen, Schafen u. ſ. w. reichliche Fettbildung erzielen wollen, entfernen die Geſchlechtsorgane durch Herausſchneiden (Caſtration), und zwar geſchieht dies bei Thieren beiderlei Geſchlechts. Jn Folge davon tritt eine uͤbermaͤßige Fett- entwickelung ein. Daſſelbe thut auch ſeine Heiligkeit, der Papſt, bei den Caſtraten, welche in der Peterskirche zu Ehren Gottes ſingen muͤſſen. Dieſe Ungluͤcklichen werden in fruͤher Jugend caſtrirt, da- mit ſie ihre hohen Knabenſtimmen beibehalten. Jn Folge dieſer Ver- ſtuͤmmelung der Genitalien bleibt der Kehlkopf auf der jugendlichen Entwickelungsſtufe ſtehen. Zugleich bleibt die Muskulatur des ganzen Koͤrpers ſchwach entwickelt, waͤhrend ſich unter der Haut reichliche Fettmengen anſammeln. Aber auch auf die Ausbildung des Central- nervenſyſtems, der Willensenergie u. ſ. w. wirkt jene Verſtuͤmmelung maͤchtig zuruͤck, und es iſt bekannt, daß die menſchlichen Caſtraten oder Eunuchen ebenſo wie die caſtrirten maͤnnlichen Hausthiere, des beſtimmten pſychiſchen Charakters, welcher das maͤnnliche Geſchlecht auszeichnet, gaͤnzlich entbehren. Der Mann iſt eben Leib und Seele nach nur Mann durch ſeine maͤnnliche Generationsdruͤſe. Dieſe aͤußerſt wichtigen und einflußreichen Wechſelbeziehungen zwiſchen den Geſchlechtsorganen und den uͤbrigen Koͤrpertheilen, vor allen dem Gehirn, finden ſich in gleicher Weiſe bei beiden Geſchlech- tern. Es laͤßt ſich dies ſchon von vornherein deshalb erwarten, weil bei den meiſten Thieren die beiderlei Organe aus gleicher Grundlage ſich entwickeln und anfaͤnglich nicht verſchieden ſind. Beim Menſchen, 13 *

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/216>, abgerufen am 27.11.2024.