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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Lyell's natürliche Entwickelungsgeschichte der Erde.
umgestaltete, und dieselbe in ähnlicher Weise reformirte, wie 30 Jahre
später Darwin's Werk die Biologie. Lyell's epochemachendes
Buch, welches Cuvier's Schöpfungshypothese an der Wurzel zer-
störte, erschien in demselben Jahre, in welchem Cuvier seine großen
Triumphe über die Naturphilosophie feierte, und seine Oberherrschaft
über das morphologische Gebiet auf drei Jahrzehnte hinaus befestigte.
Während Cuvier durch seine künstliche Schöpfungshypothese und
die damit verbundene Revolutionstheorie einer natürlichen Entwicke-
lungstheorie geradezu den Weg verlegte und den Faden der natürli-
chen Erklärung abschnitt, brach Lyell derselben wieder freie Bahn, und
führte einleuchtend den geologischen Beweis, daß jene dualistischen
Vorstellungen Cuvier's ebensowohl ganz unbegründet, als auch ganz
überflüssig seien. Er wies nach, daß diejenigen Veränderungen der
Erdoberfläche, welche noch jetzt unter unsern Augen vor sich gehen,
vollkommen hinreichend seien, Alles zu erklären, was wir von der
Entwickelung der Erdrinde überhaupt wissen, und daß es vollständig
überflüssig und unnütz sei, in räthselhaften Revolutionen die unerklär-
lichen Ursachen dafür zu suchen. Er zeigte, daß man weiter Nichts zu
Hülfe zu nehmen brauche, als außerordentlich lange Zeiträume, um
die Entstehung des Baues der Erdrinde auf die einfachste und natür-
lichste Weise aus denselben Ursachen zu erklären, welche noch heutzu-
tage wirksam sind. Viele Geologen hatten sich früher gedacht, daß
die höchsten Gebirgsketten, welche auf der Erdoberfläche hervortreten,
ihren Ursprung nur ungeheuren, einen großen Theil der Erdober-
fläche umgestaltenden Revolutionen, insbesondere colossalen vulkani-
schen Ausbrüchen verdanken könnten. Solche Bergketten z. B. wie
die Alpen, oder wie die Cordilleren, sollten auf einmal aus dem feuer-
flüssigen Erdinnern durch einen ungeheuren Spalt der weit geborste-
nen Erdrinde emporgestiegen sein. Lyell zeigte dagegen, daß wir
uns die Entwickelung solcher ungeheurer Gebirgsketten aus denselben
langsamen, unmerklichen Hebungen der Erdoberfläche erklären können,
die noch jetzt fortwährend vor sich gehen, und deren Ursachen keines-
wegs wunderbar sind. Diese Hebungen und Senkungen, wenn auch

Lyell’s natuͤrliche Entwickelungsgeſchichte der Erde.
umgeſtaltete, und dieſelbe in aͤhnlicher Weiſe reformirte, wie 30 Jahre
ſpaͤter Darwin’s Werk die Biologie. Lyell’s epochemachendes
Buch, welches Cuvier’s Schoͤpfungshypotheſe an der Wurzel zer-
ſtoͤrte, erſchien in demſelben Jahre, in welchem Cuvier ſeine großen
Triumphe uͤber die Naturphiloſophie feierte, und ſeine Oberherrſchaft
uͤber das morphologiſche Gebiet auf drei Jahrzehnte hinaus befeſtigte.
Waͤhrend Cuvier durch ſeine kuͤnſtliche Schoͤpfungshypotheſe und
die damit verbundene Revolutionstheorie einer natuͤrlichen Entwicke-
lungstheorie geradezu den Weg verlegte und den Faden der natuͤrli-
chen Erklaͤrung abſchnitt, brach Lyell derſelben wieder freie Bahn, und
fuͤhrte einleuchtend den geologiſchen Beweis, daß jene dualiſtiſchen
Vorſtellungen Cuvier’s ebenſowohl ganz unbegruͤndet, als auch ganz
uͤberfluͤſſig ſeien. Er wies nach, daß diejenigen Veraͤnderungen der
Erdoberflaͤche, welche noch jetzt unter unſern Augen vor ſich gehen,
vollkommen hinreichend ſeien, Alles zu erklaͤren, was wir von der
Entwickelung der Erdrinde uͤberhaupt wiſſen, und daß es vollſtaͤndig
uͤberfluͤſſig und unnuͤtz ſei, in raͤthſelhaften Revolutionen die unerklaͤr-
lichen Urſachen dafuͤr zu ſuchen. Er zeigte, daß man weiter Nichts zu
Huͤlfe zu nehmen brauche, als außerordentlich lange Zeitraͤume, um
die Entſtehung des Baues der Erdrinde auf die einfachſte und natuͤr-
lichſte Weiſe aus denſelben Urſachen zu erklaͤren, welche noch heutzu-
tage wirkſam ſind. Viele Geologen hatten ſich fruͤher gedacht, daß
die hoͤchſten Gebirgsketten, welche auf der Erdoberflaͤche hervortreten,
ihren Urſprung nur ungeheuren, einen großen Theil der Erdober-
flaͤche umgeſtaltenden Revolutionen, insbeſondere coloſſalen vulkani-
ſchen Ausbruͤchen verdanken koͤnnten. Solche Bergketten z. B. wie
die Alpen, oder wie die Cordilleren, ſollten auf einmal aus dem feuer-
fluͤſſigen Erdinnern durch einen ungeheuren Spalt der weit geborſte-
nen Erdrinde emporgeſtiegen ſein. Lyell zeigte dagegen, daß wir
uns die Entwickelung ſolcher ungeheurer Gebirgsketten aus denſelben
langſamen, unmerklichen Hebungen der Erdoberflaͤche erklaͤren koͤnnen,
die noch jetzt fortwaͤhrend vor ſich gehen, und deren Urſachen keines-
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[101/0122] Lyell’s natuͤrliche Entwickelungsgeſchichte der Erde. umgeſtaltete, und dieſelbe in aͤhnlicher Weiſe reformirte, wie 30 Jahre ſpaͤter Darwin’s Werk die Biologie. Lyell’s epochemachendes Buch, welches Cuvier’s Schoͤpfungshypotheſe an der Wurzel zer- ſtoͤrte, erſchien in demſelben Jahre, in welchem Cuvier ſeine großen Triumphe uͤber die Naturphiloſophie feierte, und ſeine Oberherrſchaft uͤber das morphologiſche Gebiet auf drei Jahrzehnte hinaus befeſtigte. Waͤhrend Cuvier durch ſeine kuͤnſtliche Schoͤpfungshypotheſe und die damit verbundene Revolutionstheorie einer natuͤrlichen Entwicke- lungstheorie geradezu den Weg verlegte und den Faden der natuͤrli- chen Erklaͤrung abſchnitt, brach Lyell derſelben wieder freie Bahn, und fuͤhrte einleuchtend den geologiſchen Beweis, daß jene dualiſtiſchen Vorſtellungen Cuvier’s ebenſowohl ganz unbegruͤndet, als auch ganz uͤberfluͤſſig ſeien. Er wies nach, daß diejenigen Veraͤnderungen der Erdoberflaͤche, welche noch jetzt unter unſern Augen vor ſich gehen, vollkommen hinreichend ſeien, Alles zu erklaͤren, was wir von der Entwickelung der Erdrinde uͤberhaupt wiſſen, und daß es vollſtaͤndig uͤberfluͤſſig und unnuͤtz ſei, in raͤthſelhaften Revolutionen die unerklaͤr- lichen Urſachen dafuͤr zu ſuchen. Er zeigte, daß man weiter Nichts zu Huͤlfe zu nehmen brauche, als außerordentlich lange Zeitraͤume, um die Entſtehung des Baues der Erdrinde auf die einfachſte und natuͤr- lichſte Weiſe aus denſelben Urſachen zu erklaͤren, welche noch heutzu- tage wirkſam ſind. Viele Geologen hatten ſich fruͤher gedacht, daß die hoͤchſten Gebirgsketten, welche auf der Erdoberflaͤche hervortreten, ihren Urſprung nur ungeheuren, einen großen Theil der Erdober- flaͤche umgeſtaltenden Revolutionen, insbeſondere coloſſalen vulkani- ſchen Ausbruͤchen verdanken koͤnnten. Solche Bergketten z. B. wie die Alpen, oder wie die Cordilleren, ſollten auf einmal aus dem feuer- fluͤſſigen Erdinnern durch einen ungeheuren Spalt der weit geborſte- nen Erdrinde emporgeſtiegen ſein. Lyell zeigte dagegen, daß wir uns die Entwickelung ſolcher ungeheurer Gebirgsketten aus denſelben langſamen, unmerklichen Hebungen der Erdoberflaͤche erklaͤren koͤnnen, die noch jetzt fortwaͤhrend vor ſich gehen, und deren Urſachen keines- wegs wunderbar ſind. Dieſe Hebungen und Senkungen, wenn auch

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/122>, abgerufen am 18.05.2024.