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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Nachhaltiger Einfluß von Cuvier's Schöpfungshypothese.
laufe der Erdgeschichte eine Reihe von unerklärlichen Erdrevolutionen
periodisch die ganze Thier- und Pflanzenwelt vernichtet habe, und
daß am Ende jeder Revolution, beim Beginn einer neuen Periode,
eine neue, vermehrte und verbesserte Auflage der organischen Bevölke-
rung erschienen sei. Trotzdem die Anzahl dieser Schöpfungsauflagen
durchaus streitig und in Wahrheit gar nicht festzustellen war, trotzdem
die zahlreichen Fortschritte, welche in allen Gebieten der Zoologie und
Botanik während dieser Zeit gemacht wurden, auf die Unhaltbarkeit
jener bodenlosen Hypothese Cuvier's und auf die Wahrheit der
natürlichen Entwickelungstheorie Lamarck's immer dringender hin-
wiesen, blieb dennoch die erstere fast allgemein bei den Biologen
in Geltung. Dies ist vor Allem der hohen Autorität zuzuschreiben,
welche sich Cuvier erworben hatte, und es zeigt sich hier wieder
schlagend, wie schädlich der Glaube an eine bestimmte Autorität dem
Entwickelungsleben der Menschheit wird, die Autorität, von der Goe-
the
einmal treffend sagt; daß sie im Einzelnen verewigt, was einzeln
vorübergehen sollte, daß sie ablehnt und an sich vorübergehen läßt,
was festgehalten werden sollte, und daß sie hauptsächlich Schuld ist,
wenn die Menschheit nicht vom Flecke kommt.

Nur durch das große Gewicht von Cuvier's Autorität, und
durch die gewaltige Macht der menschlichen Trägheit, welche sich schwer
entschließt, von dem breitgetretenen Wege der alltäglichen Vorstellun-
gen abzugehen, und neue, noch nicht bequem gebahnte Pfade zu be-
treten, läßt es sich begreifen, daß Lamarck's Descendenztheorie erst
1859 zur Geltung gelangte, nachdem Darwin ihr ein neues Fun-
dament gegeben hatte. Der empfängliche Boden für dieselbe war
längst vorbereitet, ganz besonders durch das Verdienst eines anderen
englischen Naturforschers, Charles Lyell, auf dessen hohe Bedeu-
tung für die "natürliche Schöpfungsgeschichte" wir hier nothwendig
einen Blick werfen müssen.

Unter dem Titel: Grundsätze der Geologie (Principles of
geology)
11) veröffentlichte Charles Lyell 1830 ein Werk, welches
die Geologie, die Entwickelungsgeschichte der Erde, von Grund aus

Nachhaltiger Einfluß von Cuvier’s Schoͤpfungshypotheſe.
laufe der Erdgeſchichte eine Reihe von unerklaͤrlichen Erdrevolutionen
periodiſch die ganze Thier- und Pflanzenwelt vernichtet habe, und
daß am Ende jeder Revolution, beim Beginn einer neuen Periode,
eine neue, vermehrte und verbeſſerte Auflage der organiſchen Bevoͤlke-
rung erſchienen ſei. Trotzdem die Anzahl dieſer Schoͤpfungsauflagen
durchaus ſtreitig und in Wahrheit gar nicht feſtzuſtellen war, trotzdem
die zahlreichen Fortſchritte, welche in allen Gebieten der Zoologie und
Botanik waͤhrend dieſer Zeit gemacht wurden, auf die Unhaltbarkeit
jener bodenloſen Hypotheſe Cuvier’s und auf die Wahrheit der
natuͤrlichen Entwickelungstheorie Lamarck’s immer dringender hin-
wieſen, blieb dennoch die erſtere faſt allgemein bei den Biologen
in Geltung. Dies iſt vor Allem der hohen Autoritaͤt zuzuſchreiben,
welche ſich Cuvier erworben hatte, und es zeigt ſich hier wieder
ſchlagend, wie ſchaͤdlich der Glaube an eine beſtimmte Autoritaͤt dem
Entwickelungsleben der Menſchheit wird, die Autoritaͤt, von der Goe-
the
einmal treffend ſagt; daß ſie im Einzelnen verewigt, was einzeln
voruͤbergehen ſollte, daß ſie ablehnt und an ſich voruͤbergehen laͤßt,
was feſtgehalten werden ſollte, und daß ſie hauptſaͤchlich Schuld iſt,
wenn die Menſchheit nicht vom Flecke kommt.

Nur durch das große Gewicht von Cuvier’s Autoritaͤt, und
durch die gewaltige Macht der menſchlichen Traͤgheit, welche ſich ſchwer
entſchließt, von dem breitgetretenen Wege der alltaͤglichen Vorſtellun-
gen abzugehen, und neue, noch nicht bequem gebahnte Pfade zu be-
treten, laͤßt es ſich begreifen, daß Lamarck’s Deſcendenztheorie erſt
1859 zur Geltung gelangte, nachdem Darwin ihr ein neues Fun-
dament gegeben hatte. Der empfaͤngliche Boden fuͤr dieſelbe war
laͤngſt vorbereitet, ganz beſonders durch das Verdienſt eines anderen
engliſchen Naturforſchers, Charles Lyell, auf deſſen hohe Bedeu-
tung fuͤr die „natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte“ wir hier nothwendig
einen Blick werfen muͤſſen.

Unter dem Titel: Grundſaͤtze der Geologie (Principles of
geology)
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[100/0121] Nachhaltiger Einfluß von Cuvier’s Schoͤpfungshypotheſe. laufe der Erdgeſchichte eine Reihe von unerklaͤrlichen Erdrevolutionen periodiſch die ganze Thier- und Pflanzenwelt vernichtet habe, und daß am Ende jeder Revolution, beim Beginn einer neuen Periode, eine neue, vermehrte und verbeſſerte Auflage der organiſchen Bevoͤlke- rung erſchienen ſei. Trotzdem die Anzahl dieſer Schoͤpfungsauflagen durchaus ſtreitig und in Wahrheit gar nicht feſtzuſtellen war, trotzdem die zahlreichen Fortſchritte, welche in allen Gebieten der Zoologie und Botanik waͤhrend dieſer Zeit gemacht wurden, auf die Unhaltbarkeit jener bodenloſen Hypotheſe Cuvier’s und auf die Wahrheit der natuͤrlichen Entwickelungstheorie Lamarck’s immer dringender hin- wieſen, blieb dennoch die erſtere faſt allgemein bei den Biologen in Geltung. Dies iſt vor Allem der hohen Autoritaͤt zuzuſchreiben, welche ſich Cuvier erworben hatte, und es zeigt ſich hier wieder ſchlagend, wie ſchaͤdlich der Glaube an eine beſtimmte Autoritaͤt dem Entwickelungsleben der Menſchheit wird, die Autoritaͤt, von der Goe- the einmal treffend ſagt; daß ſie im Einzelnen verewigt, was einzeln voruͤbergehen ſollte, daß ſie ablehnt und an ſich voruͤbergehen laͤßt, was feſtgehalten werden ſollte, und daß ſie hauptſaͤchlich Schuld iſt, wenn die Menſchheit nicht vom Flecke kommt. Nur durch das große Gewicht von Cuvier’s Autoritaͤt, und durch die gewaltige Macht der menſchlichen Traͤgheit, welche ſich ſchwer entſchließt, von dem breitgetretenen Wege der alltaͤglichen Vorſtellun- gen abzugehen, und neue, noch nicht bequem gebahnte Pfade zu be- treten, laͤßt es ſich begreifen, daß Lamarck’s Deſcendenztheorie erſt 1859 zur Geltung gelangte, nachdem Darwin ihr ein neues Fun- dament gegeben hatte. Der empfaͤngliche Boden fuͤr dieſelbe war laͤngſt vorbereitet, ganz beſonders durch das Verdienſt eines anderen engliſchen Naturforſchers, Charles Lyell, auf deſſen hohe Bedeu- tung fuͤr die „natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte“ wir hier nothwendig einen Blick werfen muͤſſen. Unter dem Titel: Grundſaͤtze der Geologie (Principles of geology)11) veroͤffentlichte Charles Lyell 1830 ein Werk, welches die Geologie, die Entwickelungsgeſchichte der Erde, von Grund aus

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/121>, abgerufen am 25.11.2024.