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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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IX. Vergleichung der drei Reiche.
wohin wir sie stellen sollten, und auch für einen Theil der Flagellaten
würde dasselbe gelten. Auch würde sich bei allen übrigen Gruppen
immer wieder der alte Streit, ob sie Thiere oder Pflanzen seien,
erneuern, je nachdem man diese oder jene Seite des Characters für
maassgebender hält, und es würden sich immer wieder Naturforscher
finden, welche alle oder die meisten Protisten zu den Thieren, und
andere, welche sie zu den Pflanzen stellen. So viel lässt sich vor-
aussehen, dass dieser Streit, auch wenn wir die Protisten viel besser
kennen würden, als es jetzt der Fall ist, immer fortleben würde, weil
Viele von ihnen in zu ausgesprochener Weise thierische und pflanz-
liche Charaktere vereinigen, und zwar in so verschiedenartiger und
verwickelter Weise, dass eben jede scharfe Grenzbestimmung des
Thier- und Pflanzen-Reichs verloren geht, wenn wir diese Zweitheilung
beibehalten.

Die definitive Entscheidung in solchen schwierigen biologischen
Fragen wird immer nur von der Entwickelungsgeschichte, und zwar
in diesem Falle nur von der palaeontologischen, gegeben werden
können. Leider lässt uns dieselbe aber gerade hier völlig im Stiche,
und es bleibt nicht einmal die Hoffnung, dass wir durch eine zukünf-
tige Ergänzung unserer äusserst unvollständigen palaeontologischen
Kenntnisse diese empfindliche Lücke werden ausfüllen können. Nie-
mals wird uns die Phylogenie die Entscheidung darüber bringen, ob
die verschiedenen Protisten-Stämme (wie es uns das Wahrscheinlichste
ist) sich aus eben so vielen oder vielleicht aus noch zahlreicheren
autogonen Moneren-Arten hervorgebildet haben, oder ob sie einem
gemeinsamen ursprünglichen Stamme angehören, oder ob sie theils
mit den Thierstämmen, theils mit den Pflanzenstämmen sich aus
gleicher Wurzel entwickelt haben. Die übliche Zweitheilung der Or-
ganismen in Thiere und Pflanzen würde nur in dem einen Falle eine
vollkommen natürliche sein, wenn beide Reiche, die Protisten mit
eingeschlossen, sich aus zwei verschiedenen autogonen Moneren-Arten
hervorgebildet hätten, wenn also die eine Moneren-Art allen Thieren
und thierähnlichen Protisten, die andere allen Pflanzen und pflanzen-
ähnlichen Protisten den Ursprung gegeben hätte. Indessen ist gerade
dieser Fall, wie schon oben bemerkt, von allen möglichen der am
wenigsten wahrscheinliche. Es ist also die Beibehaltung der gewöhn-
lichen Zweitheilung weder real in der Descendenz begründet, noch
von irgend welchem praktischen Nutzen.

Wir glauben demgemäss, dass die von uns versuchte Dreitheilung
nur praktische Vortheile und keinerlei wissenschaftliche Nachtheile
bietet. Es wird dadurch möglich, die beiden divergenten Reiche,
Thier- und Pflanzen-Reich, scharf zu trennen und den Begriff des
Thieres und der Pflanze scharf zu fixiren. Es wird zugleich, hoffen

IX. Vergleichung der drei Reiche.
wohin wir sie stellen sollten, und auch für einen Theil der Flagellaten
würde dasselbe gelten. Auch würde sich bei allen übrigen Gruppen
immer wieder der alte Streit, ob sie Thiere oder Pflanzen seien,
erneuern, je nachdem man diese oder jene Seite des Characters für
maassgebender hält, und es würden sich immer wieder Naturforscher
finden, welche alle oder die meisten Protisten zu den Thieren, und
andere, welche sie zu den Pflanzen stellen. So viel lässt sich vor-
aussehen, dass dieser Streit, auch wenn wir die Protisten viel besser
kennen würden, als es jetzt der Fall ist, immer fortleben würde, weil
Viele von ihnen in zu ausgesprochener Weise thierische und pflanz-
liche Charaktere vereinigen, und zwar in so verschiedenartiger und
verwickelter Weise, dass eben jede scharfe Grenzbestimmung des
Thier- und Pflanzen-Reichs verloren geht, wenn wir diese Zweitheilung
beibehalten.

Die definitive Entscheidung in solchen schwierigen biologischen
Fragen wird immer nur von der Entwickelungsgeschichte, und zwar
in diesem Falle nur von der palaeontologischen, gegeben werden
können. Leider lässt uns dieselbe aber gerade hier völlig im Stiche,
und es bleibt nicht einmal die Hoffnung, dass wir durch eine zukünf-
tige Ergänzung unserer äusserst unvollständigen palaeontologischen
Kenntnisse diese empfindliche Lücke werden ausfüllen können. Nie-
mals wird uns die Phylogenie die Entscheidung darüber bringen, ob
die verschiedenen Protisten-Stämme (wie es uns das Wahrscheinlichste
ist) sich aus eben so vielen oder vielleicht aus noch zahlreicheren
autogonen Moneren-Arten hervorgebildet haben, oder ob sie einem
gemeinsamen ursprünglichen Stamme angehören, oder ob sie theils
mit den Thierstämmen, theils mit den Pflanzenstämmen sich aus
gleicher Wurzel entwickelt haben. Die übliche Zweitheilung der Or-
ganismen in Thiere und Pflanzen würde nur in dem einen Falle eine
vollkommen natürliche sein, wenn beide Reiche, die Protisten mit
eingeschlossen, sich aus zwei verschiedenen autogonen Moneren-Arten
hervorgebildet hätten, wenn also die eine Moneren-Art allen Thieren
und thierähnlichen Protisten, die andere allen Pflanzen und pflanzen-
ähnlichen Protisten den Ursprung gegeben hätte. Indessen ist gerade
dieser Fall, wie schon oben bemerkt, von allen möglichen der am
wenigsten wahrscheinliche. Es ist also die Beibehaltung der gewöhn-
lichen Zweitheilung weder real in der Descendenz begründet, noch
von irgend welchem praktischen Nutzen.

Wir glauben demgemäss, dass die von uns versuchte Dreitheilung
nur praktische Vortheile und keinerlei wissenschaftliche Nachtheile
bietet. Es wird dadurch möglich, die beiden divergenten Reiche,
Thier- und Pflanzen-Reich, scharf zu trennen und den Begriff des
Thieres und der Pflanze scharf zu fixiren. Es wird zugleich, hoffen

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[229/0268] IX. Vergleichung der drei Reiche. wohin wir sie stellen sollten, und auch für einen Theil der Flagellaten würde dasselbe gelten. Auch würde sich bei allen übrigen Gruppen immer wieder der alte Streit, ob sie Thiere oder Pflanzen seien, erneuern, je nachdem man diese oder jene Seite des Characters für maassgebender hält, und es würden sich immer wieder Naturforscher finden, welche alle oder die meisten Protisten zu den Thieren, und andere, welche sie zu den Pflanzen stellen. So viel lässt sich vor- aussehen, dass dieser Streit, auch wenn wir die Protisten viel besser kennen würden, als es jetzt der Fall ist, immer fortleben würde, weil Viele von ihnen in zu ausgesprochener Weise thierische und pflanz- liche Charaktere vereinigen, und zwar in so verschiedenartiger und verwickelter Weise, dass eben jede scharfe Grenzbestimmung des Thier- und Pflanzen-Reichs verloren geht, wenn wir diese Zweitheilung beibehalten. Die definitive Entscheidung in solchen schwierigen biologischen Fragen wird immer nur von der Entwickelungsgeschichte, und zwar in diesem Falle nur von der palaeontologischen, gegeben werden können. Leider lässt uns dieselbe aber gerade hier völlig im Stiche, und es bleibt nicht einmal die Hoffnung, dass wir durch eine zukünf- tige Ergänzung unserer äusserst unvollständigen palaeontologischen Kenntnisse diese empfindliche Lücke werden ausfüllen können. Nie- mals wird uns die Phylogenie die Entscheidung darüber bringen, ob die verschiedenen Protisten-Stämme (wie es uns das Wahrscheinlichste ist) sich aus eben so vielen oder vielleicht aus noch zahlreicheren autogonen Moneren-Arten hervorgebildet haben, oder ob sie einem gemeinsamen ursprünglichen Stamme angehören, oder ob sie theils mit den Thierstämmen, theils mit den Pflanzenstämmen sich aus gleicher Wurzel entwickelt haben. Die übliche Zweitheilung der Or- ganismen in Thiere und Pflanzen würde nur in dem einen Falle eine vollkommen natürliche sein, wenn beide Reiche, die Protisten mit eingeschlossen, sich aus zwei verschiedenen autogonen Moneren-Arten hervorgebildet hätten, wenn also die eine Moneren-Art allen Thieren und thierähnlichen Protisten, die andere allen Pflanzen und pflanzen- ähnlichen Protisten den Ursprung gegeben hätte. Indessen ist gerade dieser Fall, wie schon oben bemerkt, von allen möglichen der am wenigsten wahrscheinliche. Es ist also die Beibehaltung der gewöhn- lichen Zweitheilung weder real in der Descendenz begründet, noch von irgend welchem praktischen Nutzen. Wir glauben demgemäss, dass die von uns versuchte Dreitheilung nur praktische Vortheile und keinerlei wissenschaftliche Nachtheile bietet. Es wird dadurch möglich, die beiden divergenten Reiche, Thier- und Pflanzen-Reich, scharf zu trennen und den Begriff des Thieres und der Pflanze scharf zu fixiren. Es wird zugleich, hoffen

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/268>, abgerufen am 24.11.2024.