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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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III. Urzeugung oder Generatio spontanea.
stanzen, aus denen sich spontan Organismen entwickeln sollen, setzt
bereits die Existenz anderer (abgestorbener) Organismen voraus und
erklärt uns also nicht die erste spontane Entstehung lebender Wesen.
Abgesehen hiervon aber ist die Art und Weise, in welcher diese Frage
von den meisten Autoren, sowohl Gegnern als Anhängern der Ur-
zeugung discutirt worden ist, eine so unwissenschaftliche, dass wir hier
ganz darüber hinweg gehen können.

Wenn wir noch beiläufig einen flüchtigen Blick auf die Art und Weise
werfen, in welcher diese Generatio aequivoca von zahlreichen Naturforschern
untersucht und discutirt worden ist, so tritt uns hier, wie immer am deut-
lichsten in solchen allgemeinen Fragen, äusserst auffallend der grosse Mangel
einer streng philosophischen Methode entgegen, welchen wir oben eingehend
gerügt haben. Der Mangel an allgemeiner Uebersicht des Naturganzen und
an philosophischer Erfassung desselben, die daraus hervorgehende Plan-
losigkeit und verkehrte Fragestellung an die Natur, die Inconsequenz der
Untersuchungsmethoden und die Fehlerhaftigkeit der Schlüsse -- alle diese
Grundfehler einer falschen oder doch einer unvollkommenen Methode der
Naturerkenntniss treten hier, nur oberflächlich verdeckt durch eine schein-
bar vollkommen "exacte" Experimentalmethode, in so auffallendem Maasse
hervor, dass es uns nicht Wunder nimmt, wenn hier noch gar kein Resultat,
keine positive und keine negative Entscheidung, erreicht ist.

Was die experimentelle Begründung oder Widerlegung dieser Generatio
aequivoca betrifft, auf welche die "exacte" Schule der Neuzeit so grossen
Werth legt, so müssen wir in erster Linie hervorheben, dass eine positive
Widerlegung dieser Frage dadurch bisher nicht herbeigeführt, aber auch
gar nicht möglich ist. Denn was beweisen alle diese vielfachen und
wegen ihrer raffinirten Complication zum Theil so bewunderten Experimente
(z. B. von Pasteur und seinen Genossen) Anderes, als dass unter diesen
oder jenen, äusserst complicirten, künstlichen und unnatürlichen Bedingungen
eine mit Flüssigkeit infundirte organische Substanz keine Organismen ge-
liefert hat? Kann dies irgend etwas Anderes beweisen, und was ist mit
diesem Beweise erreicht? Unserer Ansicht nach gar Nichts! Und wenn
man diese künstlichen Experimente vertausendfachte, wenn man wirklich
Bedingungen herstellte, die den in der freien Natur vorkommenden ähnlicher
wären, und wenn hier bei Anwendung aller Vorsichtsmassregeln niemals
Organismen in der Infusion entständen, so würde damit eben immer nur
der Beweis geliefert sein, dass unter diesen oder jenen ganz bestimmten
Bedingungen keine Organismen in einer solchen Infusion entstehen. Nie-

halten dieselbe als noch jetzt existirend für möglich und wahrscheinlich, jedoch
nur in dem ganz beschränkten Sinne, dass aus solcher nicht organisirten und
homogenen organischen Substanz (die aus Zersetzung anderer Organismen her-
vorgegangen ist) sich zunächst nur ganz einfache homogene Organismen oder
Moneren (Vibrionen, Protamoeben etc.) bilden können. Es würde diese Form
der Urzeugung sich schon unmittelbar an diejenige anschliessen, welche wir als
Autogonie sogleich besprechen werden.
Haeckel, Generelle Morphologie. 12

III. Urzeugung oder Generatio spontanea.
stanzen, aus denen sich spontan Organismen entwickeln sollen, setzt
bereits die Existenz anderer (abgestorbener) Organismen voraus und
erklärt uns also nicht die erste spontane Entstehung lebender Wesen.
Abgesehen hiervon aber ist die Art und Weise, in welcher diese Frage
von den meisten Autoren, sowohl Gegnern als Anhängern der Ur-
zeugung discutirt worden ist, eine so unwissenschaftliche, dass wir hier
ganz darüber hinweg gehen können.

Wenn wir noch beiläufig einen flüchtigen Blick auf die Art und Weise
werfen, in welcher diese Generatio aequivoca von zahlreichen Naturforschern
untersucht und discutirt worden ist, so tritt uns hier, wie immer am deut-
lichsten in solchen allgemeinen Fragen, äusserst auffallend der grosse Mangel
einer streng philosophischen Methode entgegen, welchen wir oben eingehend
gerügt haben. Der Mangel an allgemeiner Uebersicht des Naturganzen und
an philosophischer Erfassung desselben, die daraus hervorgehende Plan-
losigkeit und verkehrte Fragestellung an die Natur, die Inconsequenz der
Untersuchungsmethoden und die Fehlerhaftigkeit der Schlüsse — alle diese
Grundfehler einer falschen oder doch einer unvollkommenen Methode der
Naturerkenntniss treten hier, nur oberflächlich verdeckt durch eine schein-
bar vollkommen „exacte“ Experimentalmethode, in so auffallendem Maasse
hervor, dass es uns nicht Wunder nimmt, wenn hier noch gar kein Resultat,
keine positive und keine negative Entscheidung, erreicht ist.

Was die experimentelle Begründung oder Widerlegung dieser Generatio
aequivoca betrifft, auf welche die „exacte“ Schule der Neuzeit so grossen
Werth legt, so müssen wir in erster Linie hervorheben, dass eine positive
Widerlegung dieser Frage dadurch bisher nicht herbeigeführt, aber auch
gar nicht möglich ist. Denn was beweisen alle diese vielfachen und
wegen ihrer raffinirten Complication zum Theil so bewunderten Experimente
(z. B. von Pasteur und seinen Genossen) Anderes, als dass unter diesen
oder jenen, äusserst complicirten, künstlichen und unnatürlichen Bedingungen
eine mit Flüssigkeit infundirte organische Substanz keine Organismen ge-
liefert hat? Kann dies irgend etwas Anderes beweisen, und was ist mit
diesem Beweise erreicht? Unserer Ansicht nach gar Nichts! Und wenn
man diese künstlichen Experimente vertausendfachte, wenn man wirklich
Bedingungen herstellte, die den in der freien Natur vorkommenden ähnlicher
wären, und wenn hier bei Anwendung aller Vorsichtsmassregeln niemals
Organismen in der Infusion entständen, so würde damit eben immer nur
der Beweis geliefert sein, dass unter diesen oder jenen ganz bestimmten
Bedingungen keine Organismen in einer solchen Infusion entstehen. Nie-

halten dieselbe als noch jetzt existirend für möglich und wahrscheinlich, jedoch
nur in dem ganz beschränkten Sinne, dass aus solcher nicht organisirten und
homogenen organischen Substanz (die aus Zersetzung anderer Organismen her-
vorgegangen ist) sich zunächst nur ganz einfache homogene Organismen oder
Moneren (Vibrionen, Protamoeben etc.) bilden können. Es würde diese Form
der Urzeugung sich schon unmittelbar an diejenige anschliessen, welche wir als
Autogonie sogleich besprechen werden.
Haeckel, Generelle Morphologie. 12
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[177/0216] III. Urzeugung oder Generatio spontanea. stanzen, aus denen sich spontan Organismen entwickeln sollen, setzt bereits die Existenz anderer (abgestorbener) Organismen voraus und erklärt uns also nicht die erste spontane Entstehung lebender Wesen. Abgesehen hiervon aber ist die Art und Weise, in welcher diese Frage von den meisten Autoren, sowohl Gegnern als Anhängern der Ur- zeugung discutirt worden ist, eine so unwissenschaftliche, dass wir hier ganz darüber hinweg gehen können. Wenn wir noch beiläufig einen flüchtigen Blick auf die Art und Weise werfen, in welcher diese Generatio aequivoca von zahlreichen Naturforschern untersucht und discutirt worden ist, so tritt uns hier, wie immer am deut- lichsten in solchen allgemeinen Fragen, äusserst auffallend der grosse Mangel einer streng philosophischen Methode entgegen, welchen wir oben eingehend gerügt haben. Der Mangel an allgemeiner Uebersicht des Naturganzen und an philosophischer Erfassung desselben, die daraus hervorgehende Plan- losigkeit und verkehrte Fragestellung an die Natur, die Inconsequenz der Untersuchungsmethoden und die Fehlerhaftigkeit der Schlüsse — alle diese Grundfehler einer falschen oder doch einer unvollkommenen Methode der Naturerkenntniss treten hier, nur oberflächlich verdeckt durch eine schein- bar vollkommen „exacte“ Experimentalmethode, in so auffallendem Maasse hervor, dass es uns nicht Wunder nimmt, wenn hier noch gar kein Resultat, keine positive und keine negative Entscheidung, erreicht ist. Was die experimentelle Begründung oder Widerlegung dieser Generatio aequivoca betrifft, auf welche die „exacte“ Schule der Neuzeit so grossen Werth legt, so müssen wir in erster Linie hervorheben, dass eine positive Widerlegung dieser Frage dadurch bisher nicht herbeigeführt, aber auch gar nicht möglich ist. Denn was beweisen alle diese vielfachen und wegen ihrer raffinirten Complication zum Theil so bewunderten Experimente (z. B. von Pasteur und seinen Genossen) Anderes, als dass unter diesen oder jenen, äusserst complicirten, künstlichen und unnatürlichen Bedingungen eine mit Flüssigkeit infundirte organische Substanz keine Organismen ge- liefert hat? Kann dies irgend etwas Anderes beweisen, und was ist mit diesem Beweise erreicht? Unserer Ansicht nach gar Nichts! Und wenn man diese künstlichen Experimente vertausendfachte, wenn man wirklich Bedingungen herstellte, die den in der freien Natur vorkommenden ähnlicher wären, und wenn hier bei Anwendung aller Vorsichtsmassregeln niemals Organismen in der Infusion entständen, so würde damit eben immer nur der Beweis geliefert sein, dass unter diesen oder jenen ganz bestimmten Bedingungen keine Organismen in einer solchen Infusion entstehen. Nie- 1) 1) halten dieselbe als noch jetzt existirend für möglich und wahrscheinlich, jedoch nur in dem ganz beschränkten Sinne, dass aus solcher nicht organisirten und homogenen organischen Substanz (die aus Zersetzung anderer Organismen her- vorgegangen ist) sich zunächst nur ganz einfache homogene Organismen oder Moneren (Vibrionen, Protamoeben etc.) bilden können. Es würde diese Form der Urzeugung sich schon unmittelbar an diejenige anschliessen, welche wir als Autogonie sogleich besprechen werden. Haeckel, Generelle Morphologie. 12

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/216>, abgerufen am 27.11.2024.