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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Schöpfung und Selbstzeugung.
mals aber wird dadurch der Beweis geliefert werden, dass eine solche Ge-
neratio aequivoca unter keinen Bedingungen in der freien Natur möglich
sei. Niemals wird sich dieselbe in dieser Weise experimentell widerlegen
lassen.

Auf der anderen Seite müssen wir bemerken, dass uns durch die bis-
herigen Experimente allerdings auch der positive Beweis für diese Art der
Urzeugung nicht geliefert zu sein scheint, und dass dieser überhaupt sehr
schwer zu liefern sein wird. Denn es wird sehr schwer sein, diese Experi-
mente so vollkommen rein anzustellen, als es die positive Beantwortung
dieser Frage erfordern würde. Wir wissen positiv, dass überall Keime or-
ganischer Wesen zerstreut sind (theils eingetrocknete Leiber entwickelter
Individuen, z. B. von Infusorien, Räderthierchen, vielen Protisten und nie-
deren Algen und Pilzen, theils Eier und Embryonen solcher Organismen),
die, in Berührung mit Flüssigkeit gebracht, alsbald wieder zum Leben
erwachen; wir wissen, dass jeder Windstoss Tausende solcher leichter
Keime aus den austrocknenden Gewässern aufhebt, und überall mit sich
herumführt; wir wissen, dass der Schmutz unserer Strassen, der Staub
unserer Zimmer massenhaft solche Keime einschliesst und einschliessen
muss, wir wissen, dass viele dieser Keime sowohl hohen Temperaturgraden,
als auch zersetzenden Flüssigkeiten sehr lange Widerstand leisten, ohne
ihre Lebensfähigkeit zu verlieren, und es wird äusserst schwer sein, auch
bei sorgfältigster Handhabung der Instrumente, jedwede Verunreinigung
mit diesen äusserst leichten, feinen und mikroskopisch kleinen Keimen voll-
ständig auszuschliessen, so vollständig, dass bei einem positiven Erfolge
des Experiments jeder Zweifel an der absoluten Reinheit der Bedingungen
verstummen muss.

Weiterhin werden gewöhnlich als solche Organismen, welche in der-
gleichen Infusionen entstehen, ganz kritiklos unter einander sehr einfache
und sehr complicirt gebaute Organismen genannt, z. B. Vibrionen, Monaden,
Rhizopoden, Diatomeen, einzellige Algen, niedere Pilze, höhere Algen und
Pilze, Würmer, Räderthierchen etc. Nun ist es aber klar, dass nur die
Entstehung höchst einfacher und nicht hoch differenzirter Organismen auf
diesem Wege denkbar ist und dass nur die geringe, mikroskopische Grösse,
welche allen diesen, sonst so verschieden differenzirten "Infusions"-Organis-
men gemein ist, zu einer collectiven Zusammenfassung derselben verleitet
hat. Wollte man hier scharf und klar sehen, so müsste man die einzelnen
Organismen aus so verschiedenen Klassen und Organisationshöhen, welche
auf diese Weise entstehen, alle einzeln hinsichtlich ihrer Existenz- und
Entstehungs-Bedingungen untersuchen, und würde dann finden, dass nur
von den allerniedrigsten und einfachsten Organismen, entweder von den
ganz homogenen und structurlosen Moneren (Vibrionen, Protamoeben etc.)
oder doch höchstens von solchen, deren Körper noch nicht die Höhe einer
differenzirten Zelle erreicht hat, eine solche spontane Entstehung zu erwar-
ten ist.

Endlich aber, und dies ist hier vor Allem hervorzuheben, ist mit Con-
statirung der Thatsache wenig gewonnen, dass sich niedere Organismen
aus solchen organischen Substanzen entwickeln, welche von anderen, schon

Schöpfung und Selbstzeugung.
mals aber wird dadurch der Beweis geliefert werden, dass eine solche Ge-
neratio aequivoca unter keinen Bedingungen in der freien Natur möglich
sei. Niemals wird sich dieselbe in dieser Weise experimentell widerlegen
lassen.

Auf der anderen Seite müssen wir bemerken, dass uns durch die bis-
herigen Experimente allerdings auch der positive Beweis für diese Art der
Urzeugung nicht geliefert zu sein scheint, und dass dieser überhaupt sehr
schwer zu liefern sein wird. Denn es wird sehr schwer sein, diese Experi-
mente so vollkommen rein anzustellen, als es die positive Beantwortung
dieser Frage erfordern würde. Wir wissen positiv, dass überall Keime or-
ganischer Wesen zerstreut sind (theils eingetrocknete Leiber entwickelter
Individuen, z. B. von Infusorien, Räderthierchen, vielen Protisten und nie-
deren Algen und Pilzen, theils Eier und Embryonen solcher Organismen),
die, in Berührung mit Flüssigkeit gebracht, alsbald wieder zum Leben
erwachen; wir wissen, dass jeder Windstoss Tausende solcher leichter
Keime aus den austrocknenden Gewässern aufhebt, und überall mit sich
herumführt; wir wissen, dass der Schmutz unserer Strassen, der Staub
unserer Zimmer massenhaft solche Keime einschliesst und einschliessen
muss, wir wissen, dass viele dieser Keime sowohl hohen Temperaturgraden,
als auch zersetzenden Flüssigkeiten sehr lange Widerstand leisten, ohne
ihre Lebensfähigkeit zu verlieren, und es wird äusserst schwer sein, auch
bei sorgfältigster Handhabung der Instrumente, jedwede Verunreinigung
mit diesen äusserst leichten, feinen und mikroskopisch kleinen Keimen voll-
ständig auszuschliessen, so vollständig, dass bei einem positiven Erfolge
des Experiments jeder Zweifel an der absoluten Reinheit der Bedingungen
verstummen muss.

Weiterhin werden gewöhnlich als solche Organismen, welche in der-
gleichen Infusionen entstehen, ganz kritiklos unter einander sehr einfache
und sehr complicirt gebaute Organismen genannt, z. B. Vibrionen, Monaden,
Rhizopoden, Diatomeen, einzellige Algen, niedere Pilze, höhere Algen und
Pilze, Würmer, Räderthierchen etc. Nun ist es aber klar, dass nur die
Entstehung höchst einfacher und nicht hoch differenzirter Organismen auf
diesem Wege denkbar ist und dass nur die geringe, mikroskopische Grösse,
welche allen diesen, sonst so verschieden differenzirten „Infusions“-Organis-
men gemein ist, zu einer collectiven Zusammenfassung derselben verleitet
hat. Wollte man hier scharf und klar sehen, so müsste man die einzelnen
Organismen aus so verschiedenen Klassen und Organisationshöhen, welche
auf diese Weise entstehen, alle einzeln hinsichtlich ihrer Existenz- und
Entstehungs-Bedingungen untersuchen, und würde dann finden, dass nur
von den allerniedrigsten und einfachsten Organismen, entweder von den
ganz homogenen und structurlosen Moneren (Vibrionen, Protamoeben etc.)
oder doch höchstens von solchen, deren Körper noch nicht die Höhe einer
differenzirten Zelle erreicht hat, eine solche spontane Entstehung zu erwar-
ten ist.

Endlich aber, und dies ist hier vor Allem hervorzuheben, ist mit Con-
statirung der Thatsache wenig gewonnen, dass sich niedere Organismen
aus solchen organischen Substanzen entwickeln, welche von anderen, schon

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[178/0217] Schöpfung und Selbstzeugung. mals aber wird dadurch der Beweis geliefert werden, dass eine solche Ge- neratio aequivoca unter keinen Bedingungen in der freien Natur möglich sei. Niemals wird sich dieselbe in dieser Weise experimentell widerlegen lassen. Auf der anderen Seite müssen wir bemerken, dass uns durch die bis- herigen Experimente allerdings auch der positive Beweis für diese Art der Urzeugung nicht geliefert zu sein scheint, und dass dieser überhaupt sehr schwer zu liefern sein wird. Denn es wird sehr schwer sein, diese Experi- mente so vollkommen rein anzustellen, als es die positive Beantwortung dieser Frage erfordern würde. Wir wissen positiv, dass überall Keime or- ganischer Wesen zerstreut sind (theils eingetrocknete Leiber entwickelter Individuen, z. B. von Infusorien, Räderthierchen, vielen Protisten und nie- deren Algen und Pilzen, theils Eier und Embryonen solcher Organismen), die, in Berührung mit Flüssigkeit gebracht, alsbald wieder zum Leben erwachen; wir wissen, dass jeder Windstoss Tausende solcher leichter Keime aus den austrocknenden Gewässern aufhebt, und überall mit sich herumführt; wir wissen, dass der Schmutz unserer Strassen, der Staub unserer Zimmer massenhaft solche Keime einschliesst und einschliessen muss, wir wissen, dass viele dieser Keime sowohl hohen Temperaturgraden, als auch zersetzenden Flüssigkeiten sehr lange Widerstand leisten, ohne ihre Lebensfähigkeit zu verlieren, und es wird äusserst schwer sein, auch bei sorgfältigster Handhabung der Instrumente, jedwede Verunreinigung mit diesen äusserst leichten, feinen und mikroskopisch kleinen Keimen voll- ständig auszuschliessen, so vollständig, dass bei einem positiven Erfolge des Experiments jeder Zweifel an der absoluten Reinheit der Bedingungen verstummen muss. Weiterhin werden gewöhnlich als solche Organismen, welche in der- gleichen Infusionen entstehen, ganz kritiklos unter einander sehr einfache und sehr complicirt gebaute Organismen genannt, z. B. Vibrionen, Monaden, Rhizopoden, Diatomeen, einzellige Algen, niedere Pilze, höhere Algen und Pilze, Würmer, Räderthierchen etc. Nun ist es aber klar, dass nur die Entstehung höchst einfacher und nicht hoch differenzirter Organismen auf diesem Wege denkbar ist und dass nur die geringe, mikroskopische Grösse, welche allen diesen, sonst so verschieden differenzirten „Infusions“-Organis- men gemein ist, zu einer collectiven Zusammenfassung derselben verleitet hat. Wollte man hier scharf und klar sehen, so müsste man die einzelnen Organismen aus so verschiedenen Klassen und Organisationshöhen, welche auf diese Weise entstehen, alle einzeln hinsichtlich ihrer Existenz- und Entstehungs-Bedingungen untersuchen, und würde dann finden, dass nur von den allerniedrigsten und einfachsten Organismen, entweder von den ganz homogenen und structurlosen Moneren (Vibrionen, Protamoeben etc.) oder doch höchstens von solchen, deren Körper noch nicht die Höhe einer differenzirten Zelle erreicht hat, eine solche spontane Entstehung zu erwar- ten ist. Endlich aber, und dies ist hier vor Allem hervorzuheben, ist mit Con- statirung der Thatsache wenig gewonnen, dass sich niedere Organismen aus solchen organischen Substanzen entwickeln, welche von anderen, schon

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/217>, abgerufen am 27.11.2024.