Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.wieder zu geben, der sie verloren hat; aber es würde noch weit schöner seyn, wenn man ihn überhaupt verhinderte, sie zu verlieren. Die Gesundheit ist auch dem tüchtigsten Arzte von der Welt vorzuziehen, und haben ist - wie das Sprichwort sagt - besser als hoffen. Das Christenthum empfand Mitleiden und ganz besonders mit den Tugendhaften: es suchte das Verbrechen zu heben und zu beseitigen, aber es gab sich noch mehr Mühe, es abzuhalten." Nun läßt der Gegner der Philanthropie allerdings einige gute Bemerkungen fallen über die Arbeit, als Gegengift und Preventive der Verbrechen. Allein welche Sophistik! Sind die Verbrechen nicht da? Sollen sie aufhören, unsere Theilnahme zu verdienen, weil wir früher versäumt haben, ihnen durch Verhütung der Armuth und des moralischen Elends zuvorzukommen? Die Apologie des Christenthums ist recht schön; aber, was soll sie hier? Wenn die Philanthropie nicht aus dem Christenthum zunächst hervorging, hat sie darum weniger lautre, gefühlvolle und edle Quellen? Unser verkappter Jesuit behauptete dies. Er sagt: "Es war eine große und göttliche Weise des Christenthums, die Menschen gehen zu lehren und nach dem Falle wieder aufzurichten. Wie viele wären nicht gefallen, wenn man sie aufrecht gehalten hätte! Wenigstens hatte das Christenthum, wenn es sich an einen Schuldigen wandte, die Fassung desjenigen, der ein Recht hat, sich zu beklagen, und der um so wieder zu geben, der sie verloren hat; aber es würde noch weit schöner seyn, wenn man ihn überhaupt verhinderte, sie zu verlieren. Die Gesundheit ist auch dem tüchtigsten Arzte von der Welt vorzuziehen, und haben ist – wie das Sprichwort sagt – besser als hoffen. Das Christenthum empfand Mitleiden und ganz besonders mit den Tugendhaften: es suchte das Verbrechen zu heben und zu beseitigen, aber es gab sich noch mehr Mühe, es abzuhalten.“ Nun läßt der Gegner der Philanthropie allerdings einige gute Bemerkungen fallen über die Arbeit, als Gegengift und Preventive der Verbrechen. Allein welche Sophistik! Sind die Verbrechen nicht da? Sollen sie aufhören, unsere Theilnahme zu verdienen, weil wir früher versäumt haben, ihnen durch Verhütung der Armuth und des moralischen Elends zuvorzukommen? Die Apologie des Christenthums ist recht schön; aber, was soll sie hier? Wenn die Philanthropie nicht aus dem Christenthum zunächst hervorging, hat sie darum weniger lautre, gefühlvolle und edle Quellen? Unser verkappter Jesuit behauptete dies. Er sagt: "Es war eine große und göttliche Weise des Christenthums, die Menschen gehen zu lehren und nach dem Falle wieder aufzurichten. Wie viele wären nicht gefallen, wenn man sie aufrecht gehalten hätte! Wenigstens hatte das Christenthum, wenn es sich an einen Schuldigen wandte, die Fassung desjenigen, der ein Recht hat, sich zu beklagen, und der um so <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0070" n="68"/> wieder zu geben, der sie verloren hat; aber es würde noch weit schöner seyn, wenn man ihn überhaupt verhinderte, sie zu verlieren. Die Gesundheit ist auch dem tüchtigsten Arzte von der Welt vorzuziehen, und haben ist – wie das Sprichwort sagt – besser als hoffen. Das Christenthum empfand Mitleiden und ganz besonders mit den Tugendhaften: es suchte das Verbrechen zu heben und zu beseitigen, aber es gab sich noch mehr Mühe, es abzuhalten.“</p> <p>Nun läßt der Gegner der Philanthropie allerdings einige gute Bemerkungen fallen über die Arbeit, als Gegengift und Preventive der Verbrechen. Allein welche Sophistik! Sind die Verbrechen nicht da? Sollen sie aufhören, unsere Theilnahme zu verdienen, weil wir früher versäumt haben, ihnen durch Verhütung der Armuth und des moralischen Elends zuvorzukommen? Die Apologie des Christenthums ist recht schön; aber, was soll sie hier? Wenn die Philanthropie nicht aus dem Christenthum zunächst hervorging, hat sie darum weniger lautre, gefühlvolle und edle Quellen? Unser verkappter Jesuit behauptete dies. Er sagt: "Es war eine große und göttliche Weise des Christenthums, die Menschen gehen zu lehren und nach dem Falle wieder aufzurichten. Wie viele wären nicht gefallen, wenn man sie aufrecht gehalten hätte! Wenigstens hatte das Christenthum, wenn es sich an einen Schuldigen wandte, die Fassung desjenigen, der ein Recht hat, sich zu beklagen, und der um so </p> </div> </body> </text> </TEI> [68/0070]
wieder zu geben, der sie verloren hat; aber es würde noch weit schöner seyn, wenn man ihn überhaupt verhinderte, sie zu verlieren. Die Gesundheit ist auch dem tüchtigsten Arzte von der Welt vorzuziehen, und haben ist – wie das Sprichwort sagt – besser als hoffen. Das Christenthum empfand Mitleiden und ganz besonders mit den Tugendhaften: es suchte das Verbrechen zu heben und zu beseitigen, aber es gab sich noch mehr Mühe, es abzuhalten.“
Nun läßt der Gegner der Philanthropie allerdings einige gute Bemerkungen fallen über die Arbeit, als Gegengift und Preventive der Verbrechen. Allein welche Sophistik! Sind die Verbrechen nicht da? Sollen sie aufhören, unsere Theilnahme zu verdienen, weil wir früher versäumt haben, ihnen durch Verhütung der Armuth und des moralischen Elends zuvorzukommen? Die Apologie des Christenthums ist recht schön; aber, was soll sie hier? Wenn die Philanthropie nicht aus dem Christenthum zunächst hervorging, hat sie darum weniger lautre, gefühlvolle und edle Quellen? Unser verkappter Jesuit behauptete dies. Er sagt: "Es war eine große und göttliche Weise des Christenthums, die Menschen gehen zu lehren und nach dem Falle wieder aufzurichten. Wie viele wären nicht gefallen, wenn man sie aufrecht gehalten hätte! Wenigstens hatte das Christenthum, wenn es sich an einen Schuldigen wandte, die Fassung desjenigen, der ein Recht hat, sich zu beklagen, und der um so
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/70>, abgerufen am 16.02.2025. |