Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.großmüthiger ist, wenn er Verzeihung gewährt. Es gab dem Schuldigen, den Hunger des Leibes und der Seele zu stillen; es nahm ihn in Schutz gegen seine Feinde; es sicherte ihn vor Hitze und Kälte; es gab ihm Alles, was man in seiner Lage bedarf, um zufrieden zu leben und beruhigt zu sterben und forderte als Ersatz für alle diese Sorgfalt nur Arbeit, Arbeit, die Lebensbedingung aller Wesen, die Gott nicht nur den Menschen, sondern auch den Sachen auferlegt hat, und die keine Kreatur mit Ausnahme des Menschen von der Ameise, welche auf dem Rücken eines Halmes geht, bis zum Planeten, der seine Bahn durchwandelt, jemals Gott verweigert hat. Das Christenthum konnte so den Schuldigen offen ins Auge blicken und ihnen befehlen, sich auf die Brust zu schlagen; was aber haben wir, die philosophische und philanthropische Societät, zur Verbesserung derjenigen gethan, die uns ihre Verbrechen zum Vorwurf machen?" "Es gibt wenige Strafbare unter denen, welche wir verurtheilen, die uns nicht ihrerseits auch verurtheilen, ja nach unsern eigenen Grundsätzen verdammen könnten. Eure Gesellschaft ist, so könnten sie uns einwenden, oft ungerecht und barbarisch gegen uns. Sie beklagt sich über unsre bösen Vergnügungen, thut aber nichts, um uns bessere zu geben. Sie hat für uns weder Schulen, noch Bauplätze, weder Schulen zur Bereicherung unseres Herzens, noch Bauplätze zur Beschäftigung unsrer Hände. Sie läßt uns wie Thiere großmüthiger ist, wenn er Verzeihung gewährt. Es gab dem Schuldigen, den Hunger des Leibes und der Seele zu stillen; es nahm ihn in Schutz gegen seine Feinde; es sicherte ihn vor Hitze und Kälte; es gab ihm Alles, was man in seiner Lage bedarf, um zufrieden zu leben und beruhigt zu sterben und forderte als Ersatz für alle diese Sorgfalt nur Arbeit, Arbeit, die Lebensbedingung aller Wesen, die Gott nicht nur den Menschen, sondern auch den Sachen auferlegt hat, und die keine Kreatur mit Ausnahme des Menschen von der Ameise, welche auf dem Rücken eines Halmes geht, bis zum Planeten, der seine Bahn durchwandelt, jemals Gott verweigert hat. Das Christenthum konnte so den Schuldigen offen ins Auge blicken und ihnen befehlen, sich auf die Brust zu schlagen; was aber haben wir, die philosophische und philanthropische Societät, zur Verbesserung derjenigen gethan, die uns ihre Verbrechen zum Vorwurf machen?“ "Es gibt wenige Strafbare unter denen, welche wir verurtheilen, die uns nicht ihrerseits auch verurtheilen, ja nach unsern eigenen Grundsätzen verdammen könnten. Eure Gesellschaft ist, so könnten sie uns einwenden, oft ungerecht und barbarisch gegen uns. Sie beklagt sich über unsre bösen Vergnügungen, thut aber nichts, um uns bessere zu geben. Sie hat für uns weder Schulen, noch Bauplätze, weder Schulen zur Bereicherung unseres Herzens, noch Bauplätze zur Beschäftigung unsrer Hände. Sie läßt uns wie Thiere <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0071" n="69"/> großmüthiger ist, wenn er Verzeihung gewährt. Es gab dem Schuldigen, den Hunger des Leibes und der Seele zu stillen; es nahm ihn in Schutz gegen seine Feinde; es sicherte ihn vor Hitze und Kälte; es gab ihm Alles, was man in seiner Lage bedarf, um zufrieden zu leben und beruhigt zu sterben und forderte als Ersatz für alle diese Sorgfalt nur Arbeit, Arbeit, die Lebensbedingung aller Wesen, die Gott nicht nur den Menschen, sondern auch den Sachen auferlegt hat, und die keine Kreatur mit Ausnahme des Menschen von der Ameise, welche auf dem Rücken eines Halmes geht, bis zum Planeten, der seine Bahn durchwandelt, jemals Gott verweigert hat. Das Christenthum konnte so den Schuldigen offen ins Auge blicken und ihnen befehlen, sich auf die Brust zu schlagen; was aber haben wir, die philosophische und philanthropische Societät, zur Verbesserung derjenigen gethan, die uns ihre Verbrechen zum Vorwurf machen?“</p> <p>"Es gibt wenige Strafbare unter denen, welche wir verurtheilen, die uns nicht ihrerseits auch verurtheilen, ja nach unsern eigenen Grundsätzen verdammen könnten. Eure Gesellschaft ist, so könnten sie uns einwenden, oft ungerecht und barbarisch gegen uns. Sie beklagt sich über unsre bösen Vergnügungen, thut aber nichts, um uns bessere zu geben. Sie hat für uns weder Schulen, noch Bauplätze, weder Schulen zur Bereicherung unseres Herzens, noch Bauplätze zur Beschäftigung unsrer Hände. Sie läßt uns wie Thiere </p> </div> </body> </text> </TEI> [69/0071]
großmüthiger ist, wenn er Verzeihung gewährt. Es gab dem Schuldigen, den Hunger des Leibes und der Seele zu stillen; es nahm ihn in Schutz gegen seine Feinde; es sicherte ihn vor Hitze und Kälte; es gab ihm Alles, was man in seiner Lage bedarf, um zufrieden zu leben und beruhigt zu sterben und forderte als Ersatz für alle diese Sorgfalt nur Arbeit, Arbeit, die Lebensbedingung aller Wesen, die Gott nicht nur den Menschen, sondern auch den Sachen auferlegt hat, und die keine Kreatur mit Ausnahme des Menschen von der Ameise, welche auf dem Rücken eines Halmes geht, bis zum Planeten, der seine Bahn durchwandelt, jemals Gott verweigert hat. Das Christenthum konnte so den Schuldigen offen ins Auge blicken und ihnen befehlen, sich auf die Brust zu schlagen; was aber haben wir, die philosophische und philanthropische Societät, zur Verbesserung derjenigen gethan, die uns ihre Verbrechen zum Vorwurf machen?“
"Es gibt wenige Strafbare unter denen, welche wir verurtheilen, die uns nicht ihrerseits auch verurtheilen, ja nach unsern eigenen Grundsätzen verdammen könnten. Eure Gesellschaft ist, so könnten sie uns einwenden, oft ungerecht und barbarisch gegen uns. Sie beklagt sich über unsre bösen Vergnügungen, thut aber nichts, um uns bessere zu geben. Sie hat für uns weder Schulen, noch Bauplätze, weder Schulen zur Bereicherung unseres Herzens, noch Bauplätze zur Beschäftigung unsrer Hände. Sie läßt uns wie Thiere
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/71>, abgerufen am 16.02.2025. |