Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.hinauskam, daß wir nur mangelhaft und in der Bedingung von Zeit und Raum erkennen. Diese Philosophie bewegte sich auf die Länge immer nur in einem und demselben Zirkel, in dem Erkennen des Erkennens; sie machte die Einleitung zur Philosophie, zur Wissenschaft selbst, sie blieb in ihrer Einseitigkeit wie ein unvollendeter Bau, den die Arbeiter und die Mittel verlassen haben, stehen. Kant ist eine solche Ruine, die schon Ruine war, ehe sie fertig gebaut wurde; großartig, wie der Dom von Cöln, sieht man doch in seinen innern Räumen, die nicht geschlossen sind, das Tageslicht durch das Dach fallen. Was er zur Begründung einer bessern Religions-, Rechts- und Naturlehre gethan hat, folgerte er aus den praktisch-moralischen Bedürfnissen. Die Philosophie selbst, der reine Gedanke blieb bei ihm in der Einleitung stecken; der Anlauf ist da, aber das Ziel so unermeßlich weit entlegen, daß er aufgeben mußte, es auf die Art, wie die Kritik der reinen Vernunft zu wollen schien, zu erreichen. So war denn auch die Folge, daß die Philosophie nach ihm wieder zwei verschiedene Wege einschlug, einen logisch-empirischen und einen logisch-spekulativen Weg, wie wir unten dies näher bezeichnen wollen. Jn den Naturwissenschaften überwog die Empirie und wurde namentlich erst dann von der Spekulation bestritten, wenn sie sich dem Menschen näherte in der Arzneikunde. Die großartigsten Entdeckungen haben hinauskam, daß wir nur mangelhaft und in der Bedingung von Zeit und Raum erkennen. Diese Philosophie bewegte sich auf die Länge immer nur in einem und demselben Zirkel, in dem Erkennen des Erkennens; sie machte die Einleitung zur Philosophie, zur Wissenschaft selbst, sie blieb in ihrer Einseitigkeit wie ein unvollendeter Bau, den die Arbeiter und die Mittel verlassen haben, stehen. Kant ist eine solche Ruine, die schon Ruine war, ehe sie fertig gebaut wurde; großartig, wie der Dom von Cöln, sieht man doch in seinen innern Räumen, die nicht geschlossen sind, das Tageslicht durch das Dach fallen. Was er zur Begründung einer bessern Religions-, Rechts- und Naturlehre gethan hat, folgerte er aus den praktisch-moralischen Bedürfnissen. Die Philosophie selbst, der reine Gedanke blieb bei ihm in der Einleitung stecken; der Anlauf ist da, aber das Ziel so unermeßlich weit entlegen, daß er aufgeben mußte, es auf die Art, wie die Kritik der reinen Vernunft zu wollen schien, zu erreichen. So war denn auch die Folge, daß die Philosophie nach ihm wieder zwei verschiedene Wege einschlug, einen logisch-empirischen und einen logisch-spekulativen Weg, wie wir unten dies näher bezeichnen wollen. Jn den Naturwissenschaften überwog die Empirie und wurde namentlich erst dann von der Spekulation bestritten, wenn sie sich dem Menschen näherte in der Arzneikunde. Die großartigsten Entdeckungen haben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0328" n="326"/> hinauskam, daß wir nur mangelhaft und in der Bedingung von Zeit und Raum erkennen. Diese Philosophie bewegte sich auf die Länge immer nur in einem und demselben Zirkel, in dem Erkennen des Erkennens; sie machte die Einleitung zur Philosophie, zur Wissenschaft selbst, sie blieb in ihrer Einseitigkeit wie ein unvollendeter Bau, den die Arbeiter und die Mittel verlassen haben, stehen. <hi rendition="#g">Kant</hi> ist eine solche Ruine, die schon Ruine war, ehe sie fertig gebaut wurde; großartig, wie der Dom von Cöln, sieht man doch in seinen innern Räumen, die nicht geschlossen sind, das Tageslicht durch das Dach fallen. Was er zur Begründung einer bessern Religions-, Rechts- und Naturlehre gethan hat, folgerte er aus den praktisch-moralischen Bedürfnissen. Die Philosophie selbst, der reine Gedanke blieb bei ihm in der Einleitung stecken; der Anlauf ist da, aber das Ziel so unermeßlich weit entlegen, daß er aufgeben mußte, es auf die Art, wie die Kritik der reinen Vernunft zu wollen schien, zu erreichen. So war denn auch die Folge, daß die Philosophie nach ihm wieder zwei verschiedene Wege einschlug, einen logisch-empirischen und einen logisch-spekulativen Weg, wie wir unten dies näher bezeichnen wollen.</p> <p>Jn den Naturwissenschaften überwog die Empirie und wurde namentlich erst dann von der Spekulation bestritten, wenn sie sich dem Menschen näherte in der Arzneikunde. Die großartigsten Entdeckungen haben </p> </div> </body> </text> </TEI> [326/0328]
hinauskam, daß wir nur mangelhaft und in der Bedingung von Zeit und Raum erkennen. Diese Philosophie bewegte sich auf die Länge immer nur in einem und demselben Zirkel, in dem Erkennen des Erkennens; sie machte die Einleitung zur Philosophie, zur Wissenschaft selbst, sie blieb in ihrer Einseitigkeit wie ein unvollendeter Bau, den die Arbeiter und die Mittel verlassen haben, stehen. Kant ist eine solche Ruine, die schon Ruine war, ehe sie fertig gebaut wurde; großartig, wie der Dom von Cöln, sieht man doch in seinen innern Räumen, die nicht geschlossen sind, das Tageslicht durch das Dach fallen. Was er zur Begründung einer bessern Religions-, Rechts- und Naturlehre gethan hat, folgerte er aus den praktisch-moralischen Bedürfnissen. Die Philosophie selbst, der reine Gedanke blieb bei ihm in der Einleitung stecken; der Anlauf ist da, aber das Ziel so unermeßlich weit entlegen, daß er aufgeben mußte, es auf die Art, wie die Kritik der reinen Vernunft zu wollen schien, zu erreichen. So war denn auch die Folge, daß die Philosophie nach ihm wieder zwei verschiedene Wege einschlug, einen logisch-empirischen und einen logisch-spekulativen Weg, wie wir unten dies näher bezeichnen wollen.
Jn den Naturwissenschaften überwog die Empirie und wurde namentlich erst dann von der Spekulation bestritten, wenn sie sich dem Menschen näherte in der Arzneikunde. Die großartigsten Entdeckungen haben
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/328>, abgerufen am 16.02.2025. |