Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.das innere Begreifen; vor den Massen von Lichtmaterie, die in das Auge der Spekulation stürzen, wird sie nicht selten blind. Die Empirie zögert, Schlüsse zu machen, wo doch Ober- und Untersatz gegeben sind. Die Spekulation macht auch da welche, wo der zweite Satz nur das Echo des ersten ist. Die Empirie macht Alles zu einer Sache der Untersuchung, selbst dasjenige, was unmittelbar gegeben und an und für sich gewiß ist. Die Spekulation will selbst den Zufall in die Form der Nothwendigkeit zwingen und ohne Gott zu seyn, aus Begriffen Wesen schaffen. Empirie und Spekulation, beide sind trotzig, beide glauben keiner Ergänzung bedürfend zu seyn. Jene verliert sich oft in die Jrrgänge des Skeptizismus, diese in die Jrrgänge des Aberglaubens. Gleich an Tugenden und Fehlern würden sie immer das Beste thun, wenn sie sich unterstüzten und von einander Belehrung annähmen. Aeußerlich freilich geht dies nicht. Ein Versuch der Annäherung war die englische Philosophie des vorigen Jahrhunderts und die sogenannte kritische in Deutschland. Um den Jnhalt der Empirie in die Philosophie einzuführen, entlehnte man der ersten zuvörderst die Form. Ehe man dachte, untersuchte man die Werkzeuge des Denkens, man polirte den Rost von der Konzeption und dem Vermögen, Begriffe zu bilden, ab, und suchte eine Theorie des Erkennens aufzustellen, welche allerdings darauf das innere Begreifen; vor den Massen von Lichtmaterie, die in das Auge der Spekulation stürzen, wird sie nicht selten blind. Die Empirie zögert, Schlüsse zu machen, wo doch Ober- und Untersatz gegeben sind. Die Spekulation macht auch da welche, wo der zweite Satz nur das Echo des ersten ist. Die Empirie macht Alles zu einer Sache der Untersuchung, selbst dasjenige, was unmittelbar gegeben und an und für sich gewiß ist. Die Spekulation will selbst den Zufall in die Form der Nothwendigkeit zwingen und ohne Gott zu seyn, aus Begriffen Wesen schaffen. Empirie und Spekulation, beide sind trotzig, beide glauben keiner Ergänzung bedürfend zu seyn. Jene verliert sich oft in die Jrrgänge des Skeptizismus, diese in die Jrrgänge des Aberglaubens. Gleich an Tugenden und Fehlern würden sie immer das Beste thun, wenn sie sich unterstüzten und von einander Belehrung annähmen. Aeußerlich freilich geht dies nicht. Ein Versuch der Annäherung war die englische Philosophie des vorigen Jahrhunderts und die sogenannte kritische in Deutschland. Um den Jnhalt der Empirie in die Philosophie einzuführen, entlehnte man der ersten zuvörderst die Form. Ehe man dachte, untersuchte man die Werkzeuge des Denkens, man polirte den Rost von der Konzeption und dem Vermögen, Begriffe zu bilden, ab, und suchte eine Theorie des Erkennens aufzustellen, welche allerdings darauf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0327" n="325"/> das innere Begreifen; vor den Massen von Lichtmaterie, die in das Auge der Spekulation stürzen, wird sie nicht selten blind. Die Empirie zögert, Schlüsse zu machen, wo doch Ober- und Untersatz gegeben sind. Die Spekulation macht auch da welche, wo der zweite Satz nur das Echo des ersten ist. Die Empirie macht Alles zu einer Sache der Untersuchung, selbst dasjenige, was unmittelbar gegeben und an und für sich gewiß ist. Die Spekulation will selbst den Zufall in die Form der Nothwendigkeit zwingen und ohne Gott zu seyn, aus Begriffen Wesen schaffen. Empirie und Spekulation, beide sind trotzig, beide glauben keiner Ergänzung bedürfend zu seyn. Jene verliert sich oft in die Jrrgänge des Skeptizismus, diese in die Jrrgänge des Aberglaubens. Gleich an Tugenden und Fehlern würden sie immer das Beste thun, wenn sie sich unterstüzten und von einander Belehrung annähmen. <hi rendition="#g">Aeußerlich</hi> freilich geht dies nicht.</p> <p>Ein Versuch der Annäherung war die englische Philosophie des vorigen Jahrhunderts und die sogenannte kritische in Deutschland. Um den Jnhalt der Empirie in die Philosophie einzuführen, entlehnte man der ersten zuvörderst die Form. Ehe man dachte, untersuchte man die Werkzeuge des Denkens, man polirte den Rost von der Konzeption und dem Vermögen, Begriffe zu bilden, ab, und suchte eine Theorie des Erkennens aufzustellen, welche allerdings darauf </p> </div> </body> </text> </TEI> [325/0327]
das innere Begreifen; vor den Massen von Lichtmaterie, die in das Auge der Spekulation stürzen, wird sie nicht selten blind. Die Empirie zögert, Schlüsse zu machen, wo doch Ober- und Untersatz gegeben sind. Die Spekulation macht auch da welche, wo der zweite Satz nur das Echo des ersten ist. Die Empirie macht Alles zu einer Sache der Untersuchung, selbst dasjenige, was unmittelbar gegeben und an und für sich gewiß ist. Die Spekulation will selbst den Zufall in die Form der Nothwendigkeit zwingen und ohne Gott zu seyn, aus Begriffen Wesen schaffen. Empirie und Spekulation, beide sind trotzig, beide glauben keiner Ergänzung bedürfend zu seyn. Jene verliert sich oft in die Jrrgänge des Skeptizismus, diese in die Jrrgänge des Aberglaubens. Gleich an Tugenden und Fehlern würden sie immer das Beste thun, wenn sie sich unterstüzten und von einander Belehrung annähmen. Aeußerlich freilich geht dies nicht.
Ein Versuch der Annäherung war die englische Philosophie des vorigen Jahrhunderts und die sogenannte kritische in Deutschland. Um den Jnhalt der Empirie in die Philosophie einzuführen, entlehnte man der ersten zuvörderst die Form. Ehe man dachte, untersuchte man die Werkzeuge des Denkens, man polirte den Rost von der Konzeption und dem Vermögen, Begriffe zu bilden, ab, und suchte eine Theorie des Erkennens aufzustellen, welche allerdings darauf
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/327>, abgerufen am 16.07.2024. |