Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

parallel, nicht aber auch immer Hand in Hand. Die eine Methode verwarf die andere. Wenn auch der Jnhalt der Forschungen derselbe war, so entfremdete ihn die entgegengesezte Form. Der eine vermißt sich, die Welt schaffen zu wollen, bloß durch seinen Willen und durch philosophische Formeln; der andere verlangt zu demselben Zweck einige Millionen Sonnenstäubchen als Baumaterial. Sie glauben dasselbe leisten zu können, nur auf verschiedene Art und verfolgen sich nicht selten, wie zwei Handwerker, die nach Kundschaft streben.

Die Empirie ist jünger als die Spekulation; denn die Phantasie hat früher die Materie zu erklären gesucht, als das physikalische Experiment. Der einfachsten empirischen Methode des Unterrichts ging die Dichtung voran. Die ersten Spuren von Philosophie sind spekulativer, nicht empirischer Art. Man muß im Gebiet der Empirie noch unterscheiden, erstens das historische Wissen, welches die Kritik bedingt, und zweitens die spekulative Empirie, welche den Uebergang zu einer Versöhnung beider Methoden bildet und ihr bezeichnendes Merkmal darin hat, daß sie vor dem Denkprozesse erst die Fähigkeit zum Denken, vor der Beute erst die Fangarme untersucht. Das historische Wissen ist die erste Form, in welcher das spezielle Wesen der Gelehrsamkeit auftrat. Ein Gelehrter ist zunächst nur der, welcher in irgend einer Wissenschaft den ganzen Vorrath von Fragen, auf

parallel, nicht aber auch immer Hand in Hand. Die eine Methode verwarf die andere. Wenn auch der Jnhalt der Forschungen derselbe war, so entfremdete ihn die entgegengesezte Form. Der eine vermißt sich, die Welt schaffen zu wollen, bloß durch seinen Willen und durch philosophische Formeln; der andere verlangt zu demselben Zweck einige Millionen Sonnenstäubchen als Baumaterial. Sie glauben dasselbe leisten zu können, nur auf verschiedene Art und verfolgen sich nicht selten, wie zwei Handwerker, die nach Kundschaft streben.

Die Empirie ist jünger als die Spekulation; denn die Phantasie hat früher die Materie zu erklären gesucht, als das physikalische Experiment. Der einfachsten empirischen Methode des Unterrichts ging die Dichtung voran. Die ersten Spuren von Philosophie sind spekulativer, nicht empirischer Art. Man muß im Gebiet der Empirie noch unterscheiden, erstens das historische Wissen, welches die Kritik bedingt, und zweitens die spekulative Empirie, welche den Uebergang zu einer Versöhnung beider Methoden bildet und ihr bezeichnendes Merkmal darin hat, daß sie vor dem Denkprozesse erst die Fähigkeit zum Denken, vor der Beute erst die Fangarme untersucht. Das historische Wissen ist die erste Form, in welcher das spezielle Wesen der Gelehrsamkeit auftrat. Ein Gelehrter ist zunächst nur der, welcher in irgend einer Wissenschaft den ganzen Vorrath von Fragen, auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0321" n="319"/>
parallel, nicht aber auch immer Hand in Hand. Die eine Methode verwarf die andere. Wenn auch der Jnhalt der Forschungen derselbe war, so entfremdete ihn die entgegengesezte Form. Der eine vermißt sich, die Welt schaffen zu wollen, bloß durch seinen Willen und durch philosophische Formeln; der andere verlangt zu demselben Zweck einige Millionen Sonnenstäubchen als Baumaterial. Sie glauben dasselbe leisten zu können, nur auf verschiedene Art und verfolgen sich nicht selten, wie zwei Handwerker, die nach Kundschaft streben.</p>
        <p>Die Empirie ist jünger als die Spekulation; denn die Phantasie hat früher die Materie zu erklären gesucht, als das physikalische Experiment. Der einfachsten empirischen Methode des Unterrichts ging die Dichtung voran. Die ersten Spuren von Philosophie sind spekulativer, nicht empirischer Art. Man muß im Gebiet der Empirie noch unterscheiden, erstens das historische Wissen, welches die Kritik bedingt, und zweitens die spekulative Empirie, welche den Uebergang zu einer Versöhnung beider Methoden bildet und ihr bezeichnendes Merkmal darin hat, daß sie vor dem Denkprozesse erst die Fähigkeit zum Denken, vor der Beute erst die Fangarme untersucht. Das historische Wissen ist die erste Form, in welcher das spezielle Wesen der Gelehrsamkeit auftrat. Ein Gelehrter ist zunächst nur der, welcher in irgend einer Wissenschaft den ganzen Vorrath von Fragen, auf
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[319/0321] parallel, nicht aber auch immer Hand in Hand. Die eine Methode verwarf die andere. Wenn auch der Jnhalt der Forschungen derselbe war, so entfremdete ihn die entgegengesezte Form. Der eine vermißt sich, die Welt schaffen zu wollen, bloß durch seinen Willen und durch philosophische Formeln; der andere verlangt zu demselben Zweck einige Millionen Sonnenstäubchen als Baumaterial. Sie glauben dasselbe leisten zu können, nur auf verschiedene Art und verfolgen sich nicht selten, wie zwei Handwerker, die nach Kundschaft streben. Die Empirie ist jünger als die Spekulation; denn die Phantasie hat früher die Materie zu erklären gesucht, als das physikalische Experiment. Der einfachsten empirischen Methode des Unterrichts ging die Dichtung voran. Die ersten Spuren von Philosophie sind spekulativer, nicht empirischer Art. Man muß im Gebiet der Empirie noch unterscheiden, erstens das historische Wissen, welches die Kritik bedingt, und zweitens die spekulative Empirie, welche den Uebergang zu einer Versöhnung beider Methoden bildet und ihr bezeichnendes Merkmal darin hat, daß sie vor dem Denkprozesse erst die Fähigkeit zum Denken, vor der Beute erst die Fangarme untersucht. Das historische Wissen ist die erste Form, in welcher das spezielle Wesen der Gelehrsamkeit auftrat. Ein Gelehrter ist zunächst nur der, welcher in irgend einer Wissenschaft den ganzen Vorrath von Fragen, auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/321
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/321>, abgerufen am 25.11.2024.