Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.die es darin ankommt, und sodann die vollständige Kenntniß aller der darauf gegebenen Antworten besizt. Diese Art von Gelehrsamkeit konnte erst in einer Zeit möglich werden, wo sich eine Vollständigkeit in dem literarischen Apparate irgend einer Wissenschaft erreichen ließ. Vor der Erfindung der Buchdruckerkunst war diese unmöglich, und es galt damals überhaupt für die Aufgabe eines Gelehrten, daß er durch Spekulation sein kleines Feld Empirie zu ergänzen und auszudehnen suchte. So verbanden die Scholastiker mit ihrer Anhänglichkeit an die Ueberlieferung doch eine unruhig schwärmende Grübelei, für welche die spätere Zeit die Bücher substituirte. Denn nach dem Buchdruck ward es mit der Zeit möglich, die Gelehrsamkeit in die Vollständigkeit zu setzen und den für weise zu halten, der alles wußte. Die Gelehrsamkeit des sechzehnten und siebenzehnten Jahrhunderts bestand größtentheils in einer oft Staunen erregenden Stoffanhäufung, welche bei dem einen eine rohe und ungeordnete Masse blieb, bei dem andern durch die Eleganz damaliger Bildung, durch lateinischen Styl und passende Art zu zitiren gelichtet und zum Genuß geläutert wurde. Diese rohste Art der Empirie, welche sich in dem historischen, theologischen und naturwissenschaftlichen Gebiete ausbreitete, steht auf der untersten Stufe. Eine zweite war schon die Schematisirung des weitläufigen Stoffes. Ein Verfahren, das leicht in Spekulation übergehen konnte, indem die es darin ankommt, und sodann die vollständige Kenntniß aller der darauf gegebenen Antworten besizt. Diese Art von Gelehrsamkeit konnte erst in einer Zeit möglich werden, wo sich eine Vollständigkeit in dem literarischen Apparate irgend einer Wissenschaft erreichen ließ. Vor der Erfindung der Buchdruckerkunst war diese unmöglich, und es galt damals überhaupt für die Aufgabe eines Gelehrten, daß er durch Spekulation sein kleines Feld Empirie zu ergänzen und auszudehnen suchte. So verbanden die Scholastiker mit ihrer Anhänglichkeit an die Ueberlieferung doch eine unruhig schwärmende Grübelei, für welche die spätere Zeit die Bücher substituirte. Denn nach dem Buchdruck ward es mit der Zeit möglich, die Gelehrsamkeit in die Vollständigkeit zu setzen und den für weise zu halten, der alles wußte. Die Gelehrsamkeit des sechzehnten und siebenzehnten Jahrhunderts bestand größtentheils in einer oft Staunen erregenden Stoffanhäufung, welche bei dem einen eine rohe und ungeordnete Masse blieb, bei dem andern durch die Eleganz damaliger Bildung, durch lateinischen Styl und passende Art zu zitiren gelichtet und zum Genuß geläutert wurde. Diese rohste Art der Empirie, welche sich in dem historischen, theologischen und naturwissenschaftlichen Gebiete ausbreitete, steht auf der untersten Stufe. Eine zweite war schon die Schematisirung des weitläufigen Stoffes. Ein Verfahren, das leicht in Spekulation übergehen konnte, indem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0322" n="320"/> die es darin ankommt, und sodann die vollständige Kenntniß aller der darauf gegebenen Antworten besizt. Diese Art von Gelehrsamkeit konnte erst in einer Zeit möglich werden, wo sich eine Vollständigkeit in dem literarischen Apparate irgend einer Wissenschaft erreichen ließ. Vor der Erfindung der Buchdruckerkunst war diese unmöglich, und es galt damals überhaupt für die Aufgabe eines Gelehrten, daß er durch Spekulation sein kleines Feld Empirie zu ergänzen und auszudehnen suchte. So verbanden die Scholastiker mit ihrer Anhänglichkeit an die Ueberlieferung doch eine unruhig schwärmende Grübelei, für welche die spätere Zeit die <hi rendition="#g">Bücher</hi> substituirte. Denn nach dem Buchdruck ward es mit der Zeit möglich, die Gelehrsamkeit in die Vollständigkeit zu setzen und den für weise zu halten, der alles wußte. Die Gelehrsamkeit des sechzehnten und siebenzehnten Jahrhunderts bestand größtentheils in einer oft Staunen erregenden Stoffanhäufung, welche bei dem einen eine rohe und ungeordnete Masse blieb, bei dem andern durch die Eleganz damaliger Bildung, durch lateinischen Styl und passende Art zu zitiren gelichtet und zum Genuß geläutert wurde. Diese rohste Art der Empirie, welche sich in dem historischen, theologischen und naturwissenschaftlichen Gebiete ausbreitete, steht auf der untersten Stufe. Eine zweite war schon die Schematisirung des weitläufigen Stoffes. Ein Verfahren, das leicht in Spekulation übergehen konnte, indem </p> </div> </body> </text> </TEI> [320/0322]
die es darin ankommt, und sodann die vollständige Kenntniß aller der darauf gegebenen Antworten besizt. Diese Art von Gelehrsamkeit konnte erst in einer Zeit möglich werden, wo sich eine Vollständigkeit in dem literarischen Apparate irgend einer Wissenschaft erreichen ließ. Vor der Erfindung der Buchdruckerkunst war diese unmöglich, und es galt damals überhaupt für die Aufgabe eines Gelehrten, daß er durch Spekulation sein kleines Feld Empirie zu ergänzen und auszudehnen suchte. So verbanden die Scholastiker mit ihrer Anhänglichkeit an die Ueberlieferung doch eine unruhig schwärmende Grübelei, für welche die spätere Zeit die Bücher substituirte. Denn nach dem Buchdruck ward es mit der Zeit möglich, die Gelehrsamkeit in die Vollständigkeit zu setzen und den für weise zu halten, der alles wußte. Die Gelehrsamkeit des sechzehnten und siebenzehnten Jahrhunderts bestand größtentheils in einer oft Staunen erregenden Stoffanhäufung, welche bei dem einen eine rohe und ungeordnete Masse blieb, bei dem andern durch die Eleganz damaliger Bildung, durch lateinischen Styl und passende Art zu zitiren gelichtet und zum Genuß geläutert wurde. Diese rohste Art der Empirie, welche sich in dem historischen, theologischen und naturwissenschaftlichen Gebiete ausbreitete, steht auf der untersten Stufe. Eine zweite war schon die Schematisirung des weitläufigen Stoffes. Ein Verfahren, das leicht in Spekulation übergehen konnte, indem
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/322 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/322>, abgerufen am 16.07.2024. |