Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Wahrscheinlichkeit wären einverleibt gewesen. Schriften von Jean Paul hab' ich zu lesen versucht, aber so weit ich sie verstand, enthalten sie nur Beschreibungen ganz abseits gelegener Zustände, Jdyllen, die auf einer Straße liegen, wo die Post nicht durchfährt. Erklären Sie mir dieß! Mein entengländerter Deutscher that dieß in einer sehr weitläuftigen Weise, indem er vom Ei anfing. Dennoch bin ich ihm dafür verbunden, weil es mir jetzt die Mittel gibt, folgende Bemerkungen herzusetzen: Wien und Berlin geben den Ton an. Jn diesen beiden Hauptstädten kann wirklich von einer systematischen Gewißheit und Nothwendigkeit in diesen Dingen die Rede seyn. Am Rhein, in den süddeutschen Residenzen herrscht ein gewisser Dilettantismus in dieser Rücksicht vor, eine Beliebigkeit, die sich nach Pariser und bei den untern Klassen allenfalls nach Frankfurter Traditionen richtet. Der junge Baron, der nach Paris reist, läßt sich dort auf einige Jahre seine Garderobe anfertigen; der junge Commis, der die Frankfurter Messe bezieht, versieht sich bei dortigen Modisten. Es gibt hier sehr viel Nüanzen, aber in der Hauptsache möchten sich doch die verschiedenen Terrains gleichkommen. Ein junger Mann beginnt seine Civilisation zuerst mit der wichtigen Frage, wie er künftig seinen Hals bedecken soll. Er hatte früher seinen Hemdkragen über die Achseln gelegt. Plötzlich sieht man ihn eines Tages mit einer ungeheuern Cravatte erscheinen, daß man über ihn laut auflachen Wahrscheinlichkeit wären einverleibt gewesen. Schriften von Jean Paul hab’ ich zu lesen versucht, aber so weit ich sie verstand, enthalten sie nur Beschreibungen ganz abseits gelegener Zustände, Jdyllen, die auf einer Straße liegen, wo die Post nicht durchfährt. Erklären Sie mir dieß! Mein entengländerter Deutscher that dieß in einer sehr weitläuftigen Weise, indem er vom Ei anfing. Dennoch bin ich ihm dafür verbunden, weil es mir jetzt die Mittel gibt, folgende Bemerkungen herzusetzen: Wien und Berlin geben den Ton an. Jn diesen beiden Hauptstädten kann wirklich von einer systematischen Gewißheit und Nothwendigkeit in diesen Dingen die Rede seyn. Am Rhein, in den süddeutschen Residenzen herrscht ein gewisser Dilettantismus in dieser Rücksicht vor, eine Beliebigkeit, die sich nach Pariser und bei den untern Klassen allenfalls nach Frankfurter Traditionen richtet. Der junge Baron, der nach Paris reist, läßt sich dort auf einige Jahre seine Garderobe anfertigen; der junge Commis, der die Frankfurter Messe bezieht, versieht sich bei dortigen Modisten. Es gibt hier sehr viel Nüanzen, aber in der Hauptsache möchten sich doch die verschiedenen Terrains gleichkommen. Ein junger Mann beginnt seine Civilisation zuerst mit der wichtigen Frage, wie er künftig seinen Hals bedecken soll. Er hatte früher seinen Hemdkragen über die Achseln gelegt. Plötzlich sieht man ihn eines Tages mit einer ungeheuern Cravatte erscheinen, daß man über ihn laut auflachen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0054" n="25"/> Wahrscheinlichkeit wären einverleibt gewesen. Schriften von Jean Paul hab’ ich zu lesen versucht, aber so weit ich sie verstand, enthalten sie nur Beschreibungen ganz abseits gelegener Zustände, Jdyllen, die auf einer Straße liegen, wo die Post nicht durchfährt. Erklären Sie mir dieß!</p> <p>Mein entengländerter Deutscher that dieß in einer sehr weitläuftigen Weise, indem er vom Ei anfing. Dennoch bin ich ihm dafür verbunden, weil es mir jetzt die Mittel gibt, folgende Bemerkungen herzusetzen:</p> <p>Wien und Berlin geben den Ton an. Jn diesen beiden Hauptstädten kann wirklich von einer systematischen Gewißheit und Nothwendigkeit in diesen Dingen die Rede seyn. Am Rhein, in den süddeutschen Residenzen herrscht ein gewisser Dilettantismus in dieser Rücksicht vor, eine Beliebigkeit, die sich nach Pariser und bei den untern Klassen allenfalls nach Frankfurter Traditionen richtet. Der junge Baron, der nach Paris reist, läßt sich dort auf einige Jahre seine Garderobe anfertigen; der junge Commis, der die Frankfurter Messe bezieht, versieht sich bei dortigen Modisten. Es gibt hier sehr viel Nüanzen, aber in der Hauptsache möchten sich doch die verschiedenen Terrains gleichkommen.</p> <p>Ein junger Mann beginnt seine Civilisation zuerst mit der wichtigen Frage, wie er künftig seinen Hals bedecken soll. Er hatte früher seinen Hemdkragen über die Achseln gelegt. Plötzlich sieht man ihn eines Tages mit einer ungeheuern Cravatte erscheinen, daß man über ihn laut auflachen </p> </div> </body> </text> </TEI> [25/0054]
Wahrscheinlichkeit wären einverleibt gewesen. Schriften von Jean Paul hab’ ich zu lesen versucht, aber so weit ich sie verstand, enthalten sie nur Beschreibungen ganz abseits gelegener Zustände, Jdyllen, die auf einer Straße liegen, wo die Post nicht durchfährt. Erklären Sie mir dieß!
Mein entengländerter Deutscher that dieß in einer sehr weitläuftigen Weise, indem er vom Ei anfing. Dennoch bin ich ihm dafür verbunden, weil es mir jetzt die Mittel gibt, folgende Bemerkungen herzusetzen:
Wien und Berlin geben den Ton an. Jn diesen beiden Hauptstädten kann wirklich von einer systematischen Gewißheit und Nothwendigkeit in diesen Dingen die Rede seyn. Am Rhein, in den süddeutschen Residenzen herrscht ein gewisser Dilettantismus in dieser Rücksicht vor, eine Beliebigkeit, die sich nach Pariser und bei den untern Klassen allenfalls nach Frankfurter Traditionen richtet. Der junge Baron, der nach Paris reist, läßt sich dort auf einige Jahre seine Garderobe anfertigen; der junge Commis, der die Frankfurter Messe bezieht, versieht sich bei dortigen Modisten. Es gibt hier sehr viel Nüanzen, aber in der Hauptsache möchten sich doch die verschiedenen Terrains gleichkommen.
Ein junger Mann beginnt seine Civilisation zuerst mit der wichtigen Frage, wie er künftig seinen Hals bedecken soll. Er hatte früher seinen Hemdkragen über die Achseln gelegt. Plötzlich sieht man ihn eines Tages mit einer ungeheuern Cravatte erscheinen, daß man über ihn laut auflachen
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/54>, abgerufen am 27.07.2024. |