ihn umschlungen, während sie unwillig glaubte, daß er es thäte. Ihre nur leis' aufgesteckten Locken nestelten sich los und küßten Cäsar's brennende Wangen. Die langen Augenwimpern senkten sich majestätisch sanft auf die bläulichen Ultramarinringel, welche unter dem Auge so viel Leidenschaft verrathen. Dieses Herablas¬ sen des Vorhangs, dieser Fensterladenschluß der Weiblichkeit, diese Verhüllung ist das reizende Gegentheil dessen, was sie scheint, weil sie nur allmälige Entwaffnung ist. Es ist das Sinken des Tages, der aufsteigende Stern, dessen feuchte Strahlen die Kronen der Blumen auflockern und die Kelche erschließen, während die Kelche zu schlafen scheinen. Cäsar umarmte Wally mit glühendem Entzücken und rief aus: "O Wally, ich will nicht grausam sein! Ich eile Allem zuvorzukommen, was sich auf deiner Lippe zu Tode ängstigt und gern sprechen möchte. Ich dringe nicht auf den Besitz dieses göttlichen
ihn umſchlungen, während ſie unwillig glaubte, daß er es thäte. Ihre nur leiſ' aufgeſteckten Locken neſtelten ſich los und küßten Cäſar's brennende Wangen. Die langen Augenwimpern ſenkten ſich majeſtätiſch ſanft auf die bläulichen Ultramarinringel, welche unter dem Auge ſo viel Leidenſchaft verrathen. Dieſes Herablaſ¬ ſen des Vorhangs, dieſer Fenſterladenſchluß der Weiblichkeit, dieſe Verhüllung iſt das reizende Gegentheil deſſen, was ſie ſcheint, weil ſie nur allmälige Entwaffnung iſt. Es iſt das Sinken des Tages, der aufſteigende Stern, deſſen feuchte Strahlen die Kronen der Blumen auflockern und die Kelche erſchließen, während die Kelche zu ſchlafen ſcheinen. Cäſar umarmte Wally mit glühendem Entzücken und rief aus: „O Wally, ich will nicht grauſam ſein! Ich eile Allem zuvorzukommen, was ſich auf deiner Lippe zu Tode ängſtigt und gern ſprechen möchte. Ich dringe nicht auf den Beſitz dieſes göttlichen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0127"n="118"/>
ihn umſchlungen, während ſie unwillig glaubte,<lb/>
daß er es thäte. Ihre nur leiſ' aufgeſteckten<lb/>
Locken <choice><sic>nehtelten</sic><corr>neſtelten</corr></choice>ſich los und küßten Cäſar's<lb/>
brennende Wangen. Die langen Augenwimpern<lb/>ſenkten ſich majeſtätiſch ſanft auf die bläulichen<lb/>
Ultramarinringel, welche unter dem Auge ſo<lb/>
viel Leidenſchaft verrathen. Dieſes Herablaſ¬<lb/>ſen des Vorhangs, dieſer Fenſterladenſchluß der<lb/>
Weiblichkeit, dieſe Verhüllung iſt das reizende<lb/>
Gegentheil deſſen, was ſie ſcheint, weil ſie nur<lb/>
allmälige Entwaffnung iſt. Es iſt das Sinken<lb/>
des Tages, der aufſteigende Stern, deſſen feuchte<lb/>
Strahlen die Kronen der Blumen auflockern und<lb/>
die Kelche erſchließen, während die Kelche zu<lb/>ſchlafen ſcheinen. Cäſar umarmte Wally mit<lb/>
glühendem Entzücken und rief aus: „O Wally,<lb/>
ich will nicht grauſam ſein! Ich eile Allem<lb/>
zuvorzukommen, was ſich auf deiner Lippe zu<lb/>
Tode ängſtigt und gern ſprechen möchte. Ich<lb/>
dringe nicht auf den Beſitz dieſes göttlichen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[118/0127]
ihn umſchlungen, während ſie unwillig glaubte,
daß er es thäte. Ihre nur leiſ' aufgeſteckten
Locken neſtelten ſich los und küßten Cäſar's
brennende Wangen. Die langen Augenwimpern
ſenkten ſich majeſtätiſch ſanft auf die bläulichen
Ultramarinringel, welche unter dem Auge ſo
viel Leidenſchaft verrathen. Dieſes Herablaſ¬
ſen des Vorhangs, dieſer Fenſterladenſchluß der
Weiblichkeit, dieſe Verhüllung iſt das reizende
Gegentheil deſſen, was ſie ſcheint, weil ſie nur
allmälige Entwaffnung iſt. Es iſt das Sinken
des Tages, der aufſteigende Stern, deſſen feuchte
Strahlen die Kronen der Blumen auflockern und
die Kelche erſchließen, während die Kelche zu
ſchlafen ſcheinen. Cäſar umarmte Wally mit
glühendem Entzücken und rief aus: „O Wally,
ich will nicht grauſam ſein! Ich eile Allem
zuvorzukommen, was ſich auf deiner Lippe zu
Tode ängſtigt und gern ſprechen möchte. Ich
dringe nicht auf den Beſitz dieſes göttlichen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/127>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.