Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

konnten. Ich glaube nicht, daß ihn uns Herr Dieterici ersetzen wird, so sehr ich in manchen Punkten der Generalin beipflichte, die grade von diesem entzückt ist. Die gute Dame hat uns nun verlassen. Ich nahm von ihr Abschied mit dem Wunsche, daß es ihr in unserem ländlichen Leben gefallen haben möge. Nur Eines schmerzt mich recht, daß ich für mein religiöses Bedürfniß auch nicht einen einzigen Bundesgenossen in diesem neuen Kreise habe finden können. Selbst die Generalin schien ihr Christenthum zu Hause gelassen zu haben! Helene Althing gesteht ganz offen, sie hätte kein religiöses, bewußtes, kirchlich ausgeprägtes Leben! Daß das unter den Menschen jetzt so allgemein wird! Der Kirchengang ist ihnen eine wahre Qual, eine bloße Höflichkeit für den Pfarrer! Ich gebe zu, der hiesige ist nicht besonders anziehend. Graf Wilhelm bestätigte ihn, weil er eine kräftige Stimme hat und Wilhelm schwer zu hören anfing. Herr Merkus hat allerdings immer etwas, als wenn er aus einer anderen Welt käme, und das stört. Früher als mein seliger Wilhelm lebte, der leider nur freigeistig dachte - das Einzige, das uns zuweilen trennte - tröstete mich diese völlig andere Welt der Pastoren. Ich glaubte, Merkus führte mich in meine wahre Heimath zurück! Aber jetzt hat mich doch auch die Nähe so einziger Menschen, wie die Althing'sche

konnten. Ich glaube nicht, daß ihn uns Herr Dieterici ersetzen wird, so sehr ich in manchen Punkten der Generalin beipflichte, die grade von diesem entzückt ist. Die gute Dame hat uns nun verlassen. Ich nahm von ihr Abschied mit dem Wunsche, daß es ihr in unserem ländlichen Leben gefallen haben möge. Nur Eines schmerzt mich recht, daß ich für mein religiöses Bedürfniß auch nicht einen einzigen Bundesgenossen in diesem neuen Kreise habe finden können. Selbst die Generalin schien ihr Christenthum zu Hause gelassen zu haben! Helene Althing gesteht ganz offen, sie hätte kein religiöses, bewußtes, kirchlich ausgeprägtes Leben! Daß das unter den Menschen jetzt so allgemein wird! Der Kirchengang ist ihnen eine wahre Qual, eine bloße Höflichkeit für den Pfarrer! Ich gebe zu, der hiesige ist nicht besonders anziehend. Graf Wilhelm bestätigte ihn, weil er eine kräftige Stimme hat und Wilhelm schwer zu hören anfing. Herr Merkus hat allerdings immer etwas, als wenn er aus einer anderen Welt käme, und das stört. Früher als mein seliger Wilhelm lebte, der leider nur freigeistig dachte – das Einzige, das uns zuweilen trennte – tröstete mich diese völlig andere Welt der Pastoren. Ich glaubte, Merkus führte mich in meine wahre Heimath zurück! Aber jetzt hat mich doch auch die Nähe so einziger Menschen, wie die Althing’sche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0235" n="229"/>
konnten. Ich glaube nicht, daß ihn uns Herr Dieterici ersetzen wird, so sehr ich in manchen Punkten der Generalin beipflichte, die grade von diesem entzückt ist. Die gute Dame hat uns nun verlassen. Ich nahm von ihr Abschied mit dem Wunsche, daß es ihr in unserem ländlichen Leben gefallen haben möge. Nur Eines schmerzt mich recht, daß ich für mein religiöses Bedürfniß auch nicht einen einzigen Bundesgenossen in diesem neuen Kreise habe finden können. Selbst die Generalin schien ihr Christenthum zu Hause gelassen zu haben! Helene Althing gesteht ganz offen, sie hätte kein religiöses, bewußtes, kirchlich ausgeprägtes Leben! Daß das unter den Menschen jetzt so allgemein wird! Der Kirchengang ist ihnen eine wahre Qual, eine bloße Höflichkeit für den Pfarrer! Ich gebe zu, der hiesige ist nicht besonders anziehend. Graf Wilhelm bestätigte ihn, weil er eine kräftige Stimme hat und Wilhelm schwer zu hören anfing. Herr Merkus hat allerdings immer etwas, als wenn er aus einer anderen Welt käme, und das stört. Früher als mein seliger Wilhelm lebte, der leider nur freigeistig dachte &#x2013; das Einzige, das uns zuweilen trennte &#x2013; tröstete mich diese völlig andere Welt der Pastoren. Ich glaubte, Merkus führte mich in meine wahre Heimath zurück! Aber jetzt hat mich doch auch die Nähe so einziger Menschen, wie die Althing&#x2019;sche
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0235] konnten. Ich glaube nicht, daß ihn uns Herr Dieterici ersetzen wird, so sehr ich in manchen Punkten der Generalin beipflichte, die grade von diesem entzückt ist. Die gute Dame hat uns nun verlassen. Ich nahm von ihr Abschied mit dem Wunsche, daß es ihr in unserem ländlichen Leben gefallen haben möge. Nur Eines schmerzt mich recht, daß ich für mein religiöses Bedürfniß auch nicht einen einzigen Bundesgenossen in diesem neuen Kreise habe finden können. Selbst die Generalin schien ihr Christenthum zu Hause gelassen zu haben! Helene Althing gesteht ganz offen, sie hätte kein religiöses, bewußtes, kirchlich ausgeprägtes Leben! Daß das unter den Menschen jetzt so allgemein wird! Der Kirchengang ist ihnen eine wahre Qual, eine bloße Höflichkeit für den Pfarrer! Ich gebe zu, der hiesige ist nicht besonders anziehend. Graf Wilhelm bestätigte ihn, weil er eine kräftige Stimme hat und Wilhelm schwer zu hören anfing. Herr Merkus hat allerdings immer etwas, als wenn er aus einer anderen Welt käme, und das stört. Früher als mein seliger Wilhelm lebte, der leider nur freigeistig dachte – das Einzige, das uns zuweilen trennte – tröstete mich diese völlig andere Welt der Pastoren. Ich glaubte, Merkus führte mich in meine wahre Heimath zurück! Aber jetzt hat mich doch auch die Nähe so einziger Menschen, wie die Althing’sche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-02-19T12:40:43Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-02-19T12:40:43Z)
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Yx 17781-2<a>) (2014-02-19T12:40:43Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet
  • Druckfehler: dokumentiert
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet
  • Kustoden: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/235
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/235>, abgerufen am 22.11.2024.