Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

Eierkuchen oder so was halten. Butter ist ja bei dem Schwindel erlaubt.

Plümicke war schon etwas Bramine geworden. Schwindel! rief er, durch den Gemüsegenuß zu Schopenhauers "schmerzlichem Mitleiden" gestimmt. Leider fehlte ihm noch der rechte Muth, das auszuführen, was er im Princip durchaus anerkannte. Eine Bratwurst aus einer nahe gelegenen Garküche, von Blaumeißel vor seinen Augen boshaft verzehrt, konnte ihm doch noch immer Tantalusqualen bereiten. Oft schon wollte er mit der Wirthin einer nahe gelegenen Restauration über diesen Fortschritt der Zeit eine ernste Verhandlung einleiten, da aber fiel sein Blick auf den Speisezettel, der täglich auf ein saubres Tischtuch gelegt wurde, und der Muth, dies Papier für ein Verderben der Menschheit zu erklären, entsank ihm. Bei jener letzten lange währenden Beschäftigung in der auszuschmückenden entlegenen Kirche wäre er nahe daran gewesen, ganz "überzutreten"; denn die Verpflegung in jenem Viertel war für theures Geld "unter der Würde". Das Pferdefleisch dominirte. Er war in Bezug auf Pflanzenkost noch auf dem Standpunkt Gretchens beim Blumenzupfen: Liebt er mich? Liebt er mich nicht? Blaumeißel berührte ihn an einer empfindlichen Stelle, seiner Unentschlossenheit. Es ging ja auch so bei ihm mit dem Heirathen.

Eierkuchen oder so was halten. Butter ist ja bei dem Schwindel erlaubt.

Plümicke war schon etwas Bramine geworden. Schwindel! rief er, durch den Gemüsegenuß zu Schopenhauers „schmerzlichem Mitleiden“ gestimmt. Leider fehlte ihm noch der rechte Muth, das auszuführen, was er im Princip durchaus anerkannte. Eine Bratwurst aus einer nahe gelegenen Garküche, von Blaumeißel vor seinen Augen boshaft verzehrt, konnte ihm doch noch immer Tantalusqualen bereiten. Oft schon wollte er mit der Wirthin einer nahe gelegenen Restauration über diesen Fortschritt der Zeit eine ernste Verhandlung einleiten, da aber fiel sein Blick auf den Speisezettel, der täglich auf ein saubres Tischtuch gelegt wurde, und der Muth, dies Papier für ein Verderben der Menschheit zu erklären, entsank ihm. Bei jener letzten lange währenden Beschäftigung in der auszuschmückenden entlegenen Kirche wäre er nahe daran gewesen, ganz „überzutreten“; denn die Verpflegung in jenem Viertel war für theures Geld „unter der Würde“. Das Pferdefleisch dominirte. Er war in Bezug auf Pflanzenkost noch auf dem Standpunkt Gretchens beim Blumenzupfen: Liebt er mich? Liebt er mich nicht? Blaumeißel berührte ihn an einer empfindlichen Stelle, seiner Unentschlossenheit. Es ging ja auch so bei ihm mit dem Heirathen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0080" n="74"/>
Eierkuchen oder so was halten. Butter ist ja  bei dem Schwindel erlaubt. </p>
        <p>Plümicke war schon etwas <ref xml:id="TEXTBramine" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLBramine">Bramine</ref>  geworden. Schwindel! rief er, durch den Gemüsegenuß zu <ref xml:id="TEXTSchopenhauersBISMitleiden" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLSchopenhauersBISMitleiden">Schopenhauers &#x201E;schmerzlichem Mitleiden</ref>&#x201C; gestimmt.  Leider fehlte ihm noch der rechte Muth, das auszuführen, was er im Princip  durchaus anerkannte. Eine Bratwurst aus einer nahe gelegenen Garküche, von  Blaumeißel vor seinen Augen boshaft verzehrt, konnte ihm doch noch immer <ref xml:id="TEXTTantalusqualen" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLTantalusqualen">Tantalusqualen</ref>  bereiten. Oft schon wollte er mit der Wirthin einer nahe gelegenen  Restauration über diesen Fortschritt der Zeit eine ernste Verhandlung  einleiten, da aber fiel sein Blick auf den Speisezettel, der täglich auf ein  saubres Tischtuch gelegt wurde, und der Muth, dies Papier für ein Verderben  der Menschheit zu erklären, entsank ihm. Bei jener letzten lange währenden  Beschäftigung in der auszuschmückenden entlegenen Kirche wäre er nahe daran  gewesen, ganz &#x201E;überzutreten&#x201C;; denn die Verpflegung in jenem Viertel war für  theures Geld &#x201E;unter der Würde&#x201C;. <ref xml:id="TEXTDasPferdefleischdominirte" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLDasPferdefleischdominirte">Das  Pferdefleisch dominirte</ref>. <ref xml:id="TEXTErwarBISnicht" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLErwarBISnicht">Er war in Bezug auf  Pflanzenkost noch auf dem Standpunkt Gretchens beim Blumenzupfen: Liebt er  mich? Liebt er mich nicht?</ref> Blaumeißel berührte ihn an einer empfindlichen  Stelle, seiner Unentschlossenheit. Es ging ja auch so bei ihm mit dem  Heirathen. </p>
        <p>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0080] Eierkuchen oder so was halten. Butter ist ja bei dem Schwindel erlaubt. Plümicke war schon etwas Bramine geworden. Schwindel! rief er, durch den Gemüsegenuß zu Schopenhauers „schmerzlichem Mitleiden“ gestimmt. Leider fehlte ihm noch der rechte Muth, das auszuführen, was er im Princip durchaus anerkannte. Eine Bratwurst aus einer nahe gelegenen Garküche, von Blaumeißel vor seinen Augen boshaft verzehrt, konnte ihm doch noch immer Tantalusqualen bereiten. Oft schon wollte er mit der Wirthin einer nahe gelegenen Restauration über diesen Fortschritt der Zeit eine ernste Verhandlung einleiten, da aber fiel sein Blick auf den Speisezettel, der täglich auf ein saubres Tischtuch gelegt wurde, und der Muth, dies Papier für ein Verderben der Menschheit zu erklären, entsank ihm. Bei jener letzten lange währenden Beschäftigung in der auszuschmückenden entlegenen Kirche wäre er nahe daran gewesen, ganz „überzutreten“; denn die Verpflegung in jenem Viertel war für theures Geld „unter der Würde“. Das Pferdefleisch dominirte. Er war in Bezug auf Pflanzenkost noch auf dem Standpunkt Gretchens beim Blumenzupfen: Liebt er mich? Liebt er mich nicht? Blaumeißel berührte ihn an einer empfindlichen Stelle, seiner Unentschlossenheit. Es ging ja auch so bei ihm mit dem Heirathen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-02-19T12:27:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-02-19T12:27:44Z)
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Yx 17781-1<a>) (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet
  • Druckfehler: dokumentiert
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet
  • Kustoden: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/80
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/80>, abgerufen am 18.05.2024.