[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.seiner Absicht, daß er den Giftbecher trinken mußte? Cato träumte den schönen Traum von einer ewigen römischen Republik. War dies die große That, die ihn seinem Ziele näher führte, daß er mit eigener Hand mordendes Eisen in seine Brust senkte und seine große Seele aushauchte. Cäsar und Napoleon--was hätten Beide in sich selbst gefunden, wenn ihre Unternehmungen nicht ein glücklicher Erfolg gekrönt hätte? Oder war wirklich für Cäsar das das Höchste, daß er an der Säule des Pompejus starb? Für Napoleon, daß er auf die Felsen von Helena geschmiedet wurde? Da stand ich auf den Höhen des Simplon, mitten unter zersprengten Felsblöcken. Ich sah die Tiefe der Landstraße hinab, die eine von den Chiffren ist, in denen menschliche Kühnheit und Ausdauer spricht. Die Gluthen der untergehenden Sonne leuchteten schon in weiter Ferne über die Wellen des Genfer See's. Da sprang der letzte Strahl von dem nackten Felsen, an den ich mich lehnte, ab, und es wurde lebendig um mich, leises Murmeln, wie aus den Gräbern der Abgeschiedenen, umflüsterte mich immer dringlicher. Deutlich konnt' ich unterscheiden, wie aus der Tiefe der Straße über Klippen und jähe Felsen mannigfache Gestalten zu mir hinaufstiegen. Braune, gluthverbrannte Leiber, mit Bogen und Pfeil umgür- seiner Absicht, daß er den Giftbecher trinken mußte? Cato träumte den schönen Traum von einer ewigen römischen Republik. War dies die große That, die ihn seinem Ziele näher führte, daß er mit eigener Hand mordendes Eisen in seine Brust senkte und seine große Seele aushauchte. Cäsar und Napoleon—was hätten Beide in sich selbst gefunden, wenn ihre Unternehmungen nicht ein glücklicher Erfolg gekrönt hätte? Oder war wirklich für Cäsar das das Höchste, daß er an der Säule des Pompejus starb? Für Napoleon, daß er auf die Felsen von Helena geschmiedet wurde? Da stand ich auf den Höhen des Simplon, mitten unter zersprengten Felsblöcken. Ich sah die Tiefe der Landstraße hinab, die eine von den Chiffren ist, in denen menschliche Kühnheit und Ausdauer spricht. Die Gluthen der untergehenden Sonne leuchteten schon in weiter Ferne über die Wellen des Genfer See’s. Da sprang der letzte Strahl von dem nackten Felsen, an den ich mich lehnte, ab, und es wurde lebendig um mich, leises Murmeln, wie aus den Gräbern der Abgeschiedenen, umflüsterte mich immer dringlicher. Deutlich konnt’ ich unterscheiden, wie aus der Tiefe der Straße über Klippen und jähe Felsen mannigfache Gestalten zu mir hinaufstiegen. Braune, gluthverbrannte Leiber, mit Bogen und Pfeil umgür- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0092" n="79"/> seiner Absicht, daß er den Giftbecher trinken mußte? <ref xml:id="TEXTCatotraeumteBISRepublik" target="BrN4E.htm#ERLCatotraeumteBISRepublik">Cato träumte den schönen Traum von einer ewigen römischen Republik</ref>. War dies die große That, die ihn seinem Ziele näher führte, daß er mit eigener Hand mordendes Eisen in seine Brust senkte und seine große Seele aushauchte. Cäsar und Napoleon—was hätten Beide in sich selbst gefunden, wenn ihre Unternehmungen nicht ein glücklicher Erfolg gekrönt hätte? <ref xml:id="TEXTOderwarBISgeschmiedetwurde" target="BrN4E.htm#ERLOderwarBISgeschmiedetwurde">Oder war wirklich für Cäsar das das Höchste, daß er an der Säule des Pompejus starb? Für Napoleon, daß er auf die Felsen von Helena geschmiedet wurde?</ref></p> <p><ref xml:id="TEXTDastandichBISSimplon" target="BrN4E.htm#ERLDastandichBISSimplon">Da stand ich auf den Höhen des Simplon</ref>, mitten unter zersprengten Felsblöcken. Ich sah die Tiefe der Landstraße hinab, die eine von den Chiffren ist, in denen menschliche Kühnheit und Ausdauer spricht. Die Gluthen der untergehenden Sonne leuchteten schon in weiter Ferne über die Wellen des Genfer See’s. Da sprang der letzte Strahl von dem nackten Felsen, an den ich mich lehnte, ab, und es wurde lebendig um mich, leises Murmeln, wie aus den Gräbern der Abgeschiedenen, umflüsterte mich immer dringlicher. Deutlich konnt’ ich unterscheiden, wie aus der Tiefe der Straße über Klippen und jähe Felsen mannigfache Gestalten zu mir hinaufstiegen. Braune, gluthverbrannte Leiber, mit Bogen und Pfeil umgür- </p> </div> </body> </text> </TEI> [79/0092]
seiner Absicht, daß er den Giftbecher trinken mußte? Cato träumte den schönen Traum von einer ewigen römischen Republik. War dies die große That, die ihn seinem Ziele näher führte, daß er mit eigener Hand mordendes Eisen in seine Brust senkte und seine große Seele aushauchte. Cäsar und Napoleon—was hätten Beide in sich selbst gefunden, wenn ihre Unternehmungen nicht ein glücklicher Erfolg gekrönt hätte? Oder war wirklich für Cäsar das das Höchste, daß er an der Säule des Pompejus starb? Für Napoleon, daß er auf die Felsen von Helena geschmiedet wurde?
Da stand ich auf den Höhen des Simplon, mitten unter zersprengten Felsblöcken. Ich sah die Tiefe der Landstraße hinab, die eine von den Chiffren ist, in denen menschliche Kühnheit und Ausdauer spricht. Die Gluthen der untergehenden Sonne leuchteten schon in weiter Ferne über die Wellen des Genfer See’s. Da sprang der letzte Strahl von dem nackten Felsen, an den ich mich lehnte, ab, und es wurde lebendig um mich, leises Murmeln, wie aus den Gräbern der Abgeschiedenen, umflüsterte mich immer dringlicher. Deutlich konnt’ ich unterscheiden, wie aus der Tiefe der Straße über Klippen und jähe Felsen mannigfache Gestalten zu mir hinaufstiegen. Braune, gluthverbrannte Leiber, mit Bogen und Pfeil umgür-
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Zitationshilfe: | [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/92>, abgerufen am 16.02.2025. |