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[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

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die wie ich auf Erden zwar noch Glauben an Liebe und Edelmuth, aber diese selbst nicht angetroffen haben!

Du weißt, ich hasse jede Täuschung, und fliehe mit Freuden eine Welt, die Versprechungen und Hoffnungen an die Stelle der ersehnten Güter selbst setzt. Wäre die Welt in einem steten Untergange begriffen, so vermöcht' ich vielleicht noch aus ihren Trümmern verkannte Tugend, beleidigte Unschuld zu retten, so aber soll sie ja erst gebaut werden, höchstens das Modell und Gerüst ist vorhanden, man appellirt an das goldene Zeitalter der Zukunft, und hab' ich für Alles Glauben, zu dieser Hoffnung fehlt er mir.

Man will, daß wir ringen und streben sollen, das Errungene aber und Erstrebte nicht außer uns suchen, sondern in dem hoffenden, noch glaubensfähigen Gemüthe. Da soll an der Liebe nicht der Besitz das Wahre sein, sondern die Liebe selbst. Nicht auf die erkannte Wahrheit käm' es an, sondern auf den erkennenden Geist. In sich selbst müsse man Ersatz für nicht gewürdigtes Verdienst finden.

Meine Theure, war's nicht Sokrates, der die Philosophie vom Himmel holen und in die Wohnungen der Sterblichen einführen wollte? War aber dies die Befriedigung und Ruhepunkt

die wie ich auf Erden zwar noch Glauben an Liebe und Edelmuth, aber diese selbst nicht angetroffen haben!

Du weißt, ich hasse jede Täuschung, und fliehe mit Freuden eine Welt, die Versprechungen und Hoffnungen an die Stelle der ersehnten Güter selbst setzt. Wäre die Welt in einem steten Untergange begriffen, so vermöcht’ ich vielleicht noch aus ihren Trümmern verkannte Tugend, beleidigte Unschuld zu retten, so aber soll sie ja erst gebaut werden, höchstens das Modell und Gerüst ist vorhanden, man appellirt an das goldene Zeitalter der Zukunft, und hab’ ich für Alles Glauben, zu dieser Hoffnung fehlt er mir.

Man will, daß wir ringen und streben sollen, das Errungene aber und Erstrebte nicht außer uns suchen, sondern in dem hoffenden, noch glaubensfähigen Gemüthe. Da soll an der Liebe nicht der Besitz das Wahre sein, sondern die Liebe selbst. Nicht auf die erkannte Wahrheit käm’ es an, sondern auf den erkennenden Geist. In sich selbst müsse man Ersatz für nicht gewürdigtes Verdienst finden.

Meine Theure, war’s nicht Sokrates, der die Philosophie vom Himmel holen und in die Wohnungen der Sterblichen einführen wollte? War aber dies die Befriedigung und Ruhepunkt

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[78/0091] die wie ich auf Erden zwar noch Glauben an Liebe und Edelmuth, aber diese selbst nicht angetroffen haben! Du weißt, ich hasse jede Täuschung, und fliehe mit Freuden eine Welt, die Versprechungen und Hoffnungen an die Stelle der ersehnten Güter selbst setzt. Wäre die Welt in einem steten Untergange begriffen, so vermöcht’ ich vielleicht noch aus ihren Trümmern verkannte Tugend, beleidigte Unschuld zu retten, so aber soll sie ja erst gebaut werden, höchstens das Modell und Gerüst ist vorhanden, man appellirt an das goldene Zeitalter der Zukunft, und hab’ ich für Alles Glauben, zu dieser Hoffnung fehlt er mir. Man will, daß wir ringen und streben sollen, das Errungene aber und Erstrebte nicht außer uns suchen, sondern in dem hoffenden, noch glaubensfähigen Gemüthe. Da soll an der Liebe nicht der Besitz das Wahre sein, sondern die Liebe selbst. Nicht auf die erkannte Wahrheit käm’ es an, sondern auf den erkennenden Geist. In sich selbst müsse man Ersatz für nicht gewürdigtes Verdienst finden. Meine Theure, war’s nicht Sokrates, der die Philosophie vom Himmel holen und in die Wohnungen der Sterblichen einführen wollte? War aber dies die Befriedigung und Ruhepunkt

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Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/91>, abgerufen am 25.11.2024.