[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.schmerzlicher, je näher Du jetzt dem Ziele zu stehen glaubtest. Unsere Ansichten divergiren noch immer. Gemüth und Verstand theilen sich in Regimente der Welt. Beide Elemente ironisiren sich wechselseitig. Dasselbe Feuer, an dem sich die Unschuld ihre Suppe kocht, verzehrt als gierigleckende Flamme Städte und Wälder. Die andächtige Spannung der Gemüther, die Glaubensinnigkeit kindlicher Seelen stellt sich neben Dragonaden und Auto da fes im unzertrennlichsten Vereine. Die Menschen bilden sich ein, wenn es ihnen einmal warm und heiß in dem blauen Ringe unterm Auge wird, so müßte auch die große Schlange den Schwanz ihres weltgürtenden Ringes loslassen, und sich Alles auflösen und gestalten nach der flüchtigen Empfindung ihres Herzens. Dies germanische Princip der Geschichte haß' ich, seit ich einen deutschen Kaufmannsdiener, der zehn Jahre in London gelebt hatte, und sechs neuere Sprachen verstand, auf dem Dampfboote zwischen Mainz und Cöln ein hundert und eilf Mal versichern hörte, nein, er besäße zu Diesem oder Jenem doch viel zu viel Gefühl! Ueber Thaten kennst Du längst meine Ansicht, aber sie können doch noch für meinen redlichen Willen sprechen, wenn eine böswillige Anklage diesen in Frage stellt. Wie aber meine Empfindungen? sie, die meist immer ver- schmerzlicher, je näher Du jetzt dem Ziele zu stehen glaubtest. Unsere Ansichten divergiren noch immer. Gemüth und Verstand theilen sich in Regimente der Welt. Beide Elemente ironisiren sich wechselseitig. Dasselbe Feuer, an dem sich die Unschuld ihre Suppe kocht, verzehrt als gierigleckende Flamme Städte und Wälder. Die andächtige Spannung der Gemüther, die Glaubensinnigkeit kindlicher Seelen stellt sich neben Dragonaden und Auto da fés im unzertrennlichsten Vereine. Die Menschen bilden sich ein, wenn es ihnen einmal warm und heiß in dem blauen Ringe unterm Auge wird, so müßte auch die große Schlange den Schwanz ihres weltgürtenden Ringes loslassen, und sich Alles auflösen und gestalten nach der flüchtigen Empfindung ihres Herzens. Dies germanische Princip der Geschichte haß’ ich, seit ich einen deutschen Kaufmannsdiener, der zehn Jahre in London gelebt hatte, und sechs neuere Sprachen verstand, auf dem Dampfboote zwischen Mainz und Cöln ein hundert und eilf Mal versichern hörte, nein, er besäße zu Diesem oder Jenem doch viel zu viel Gefühl! Ueber Thaten kennst Du längst meine Ansicht, aber sie können doch noch für meinen redlichen Willen sprechen, wenn eine böswillige Anklage diesen in Frage stellt. Wie aber meine Empfindungen? sie, die meist immer ver- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0160" n="147"/> schmerzlicher, je näher Du jetzt dem Ziele zu stehen glaubtest. Unsere Ansichten divergiren noch immer.</p> <p>Gemüth und Verstand theilen sich in Regimente der Welt. Beide Elemente ironisiren sich wechselseitig. Dasselbe Feuer, an dem sich die Unschuld ihre Suppe kocht, verzehrt als gierigleckende Flamme Städte und Wälder. Die andächtige Spannung der Gemüther, die Glaubensinnigkeit kindlicher Seelen stellt sich neben Dragonaden und Auto da fés im unzertrennlichsten Vereine. Die Menschen bilden sich ein, wenn es ihnen einmal warm und heiß in dem blauen Ringe unterm Auge wird, so müßte auch die große Schlange den Schwanz ihres weltgürtenden Ringes loslassen, und sich Alles auflösen und gestalten nach der flüchtigen Empfindung ihres Herzens. Dies germanische Princip der Geschichte haß’ ich, seit ich einen deutschen Kaufmannsdiener, der zehn Jahre in London gelebt hatte, und sechs neuere Sprachen verstand, auf dem Dampfboote zwischen Mainz und Cöln ein hundert und eilf Mal versichern hörte, nein, er besäße zu Diesem oder Jenem doch viel zu viel Gefühl! Ueber Thaten kennst Du längst meine Ansicht, aber sie können doch noch für meinen redlichen Willen sprechen, wenn eine böswillige Anklage diesen in Frage stellt. Wie aber meine Empfindungen? sie, die meist immer ver- </p> </div> </body> </text> </TEI> [147/0160]
schmerzlicher, je näher Du jetzt dem Ziele zu stehen glaubtest. Unsere Ansichten divergiren noch immer.
Gemüth und Verstand theilen sich in Regimente der Welt. Beide Elemente ironisiren sich wechselseitig. Dasselbe Feuer, an dem sich die Unschuld ihre Suppe kocht, verzehrt als gierigleckende Flamme Städte und Wälder. Die andächtige Spannung der Gemüther, die Glaubensinnigkeit kindlicher Seelen stellt sich neben Dragonaden und Auto da fés im unzertrennlichsten Vereine. Die Menschen bilden sich ein, wenn es ihnen einmal warm und heiß in dem blauen Ringe unterm Auge wird, so müßte auch die große Schlange den Schwanz ihres weltgürtenden Ringes loslassen, und sich Alles auflösen und gestalten nach der flüchtigen Empfindung ihres Herzens. Dies germanische Princip der Geschichte haß’ ich, seit ich einen deutschen Kaufmannsdiener, der zehn Jahre in London gelebt hatte, und sechs neuere Sprachen verstand, auf dem Dampfboote zwischen Mainz und Cöln ein hundert und eilf Mal versichern hörte, nein, er besäße zu Diesem oder Jenem doch viel zu viel Gefühl! Ueber Thaten kennst Du längst meine Ansicht, aber sie können doch noch für meinen redlichen Willen sprechen, wenn eine böswillige Anklage diesen in Frage stellt. Wie aber meine Empfindungen? sie, die meist immer ver-
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