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Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.

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Bühne und langte zuweilen geisterhaft eine dürre Gespensterhand von oben herab, die den Drath verrieth, an welchem die Figuren gelenkt wurden. Zuweilen schlich die Schicksalsidee, in Gestalt einer Ahnfrau, in langem, schwarzem Kleide über die Bühne und ächzte wie ein Jahrtausendjähriges Verbrechen, das auf Erlösung harrt. Bald hockte der Kobold an der Schwelle eines "Leuchtthurms," bald hinter einem "Bilde," bald begleitete er einen armen zum Tode geweihten Hungerleider von Helden auf der "Heimkehr" in eine Försterswohnung. Börne hatte gegen diese Schicksalstragödien, die aber weit mehr Zufallstragödien waren, unaufhörlich zu kämpfen; er gesteht ein, dies tragische Schicksal nicht begreifen zu können. "Was sie unter Schicksal verstehen," sagte er, "hab' ich nie verstanden; ich habe nie verstanden diese Mischung von antiker und romantischer Denkweise, dieses christliche Heidenthum. Entweder ist der Tod ein liebender Vater, der sein Kind aus der Schule des Lebens abholt, und dann ist es untragisch; oder es ist der menschenfressende Kronos, der seine eigenen Kinder verschlingt, und dann ist es unchristlich. Euer Schicksal ist ein Zwitter, unfähig zum Zeugen, wie zum Gebähren." Die Börne'sche Analyse der Dramen, welche

Bühne und langte zuweilen geisterhaft eine dürre Gespensterhand von oben herab, die den Drath verrieth, an welchem die Figuren gelenkt wurden. Zuweilen schlich die Schicksalsidee, in Gestalt einer Ahnfrau, in langem, schwarzem Kleide über die Bühne und ächzte wie ein Jahrtausendjähriges Verbrechen, das auf Erlösung harrt. Bald hockte der Kobold an der Schwelle eines „Leuchtthurms,“ bald hinter einem „Bilde,“ bald begleitete er einen armen zum Tode geweihten Hungerleider von Helden auf der „Heimkehr“ in eine Försterswohnung. Börne hatte gegen diese Schicksalstragödien, die aber weit mehr Zufallstragödien waren, unaufhörlich zu kämpfen; er gesteht ein, dies tragische Schicksal nicht begreifen zu können. „Was sie unter Schicksal verstehen,“ sagte er, „hab’ ich nie verstanden; ich habe nie verstanden diese Mischung von antiker und romantischer Denkweise, dieses christliche Heidenthum. Entweder ist der Tod ein liebender Vater, der sein Kind aus der Schule des Lebens abholt, und dann ist es untragisch; oder es ist der menschenfressende Kronos, der seine eigenen Kinder verschlingt, und dann ist es unchristlich. Euer Schicksal ist ein Zwitter, unfähig zum Zeugen, wie zum Gebähren.“ Die Börne’sche Analyse der Dramen, welche

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[128/0170] Bühne und langte zuweilen geisterhaft eine dürre Gespensterhand von oben herab, die den Drath verrieth, an welchem die Figuren gelenkt wurden. Zuweilen schlich die Schicksalsidee, in Gestalt einer Ahnfrau, in langem, schwarzem Kleide über die Bühne und ächzte wie ein Jahrtausendjähriges Verbrechen, das auf Erlösung harrt. Bald hockte der Kobold an der Schwelle eines „Leuchtthurms,“ bald hinter einem „Bilde,“ bald begleitete er einen armen zum Tode geweihten Hungerleider von Helden auf der „Heimkehr“ in eine Försterswohnung. Börne hatte gegen diese Schicksalstragödien, die aber weit mehr Zufallstragödien waren, unaufhörlich zu kämpfen; er gesteht ein, dies tragische Schicksal nicht begreifen zu können. „Was sie unter Schicksal verstehen,“ sagte er, „hab’ ich nie verstanden; ich habe nie verstanden diese Mischung von antiker und romantischer Denkweise, dieses christliche Heidenthum. Entweder ist der Tod ein liebender Vater, der sein Kind aus der Schule des Lebens abholt, und dann ist es untragisch; oder es ist der menschenfressende Kronos, der seine eigenen Kinder verschlingt, und dann ist es unchristlich. Euer Schicksal ist ein Zwitter, unfähig zum Zeugen, wie zum Gebähren.“ Die Börne’sche Analyse der Dramen, welche

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/170>, abgerufen am 29.11.2024.