Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.Cap. I. De Natura man gebe acht, wie andere wegen ihn vigiliren. Daher siehet man, daßdie Prudentia eine grosse Vorsichtigkeit erfordert: Keine Vorsichtigkeit aber ist sine vigilantia. Deßwegen saget man eben beym Müßiggang, bey der Wollust ist keine vigilantia. Der König Friedrich tantzte noch eine courante, wie die Schlacht beym weissen Berge geschahe, hernach muste er aber über Halß und Kopff fortgehen. Die geringsten Handwercks- Leute müssen auf ihre Post acht geben. Namfigulus figulum odit. Es gehö- ret aber noch etwas ad prudentiam. Denn bisher ist nur gezeiget wor- den, wie einer negative müsse acht geben, daß mir keiner ein Hinderniß in Weg lege. Ich muß aber auch noch etwas thun. Freunde muß ich mir machen. Das thut auch ein Pseudo-Politicus, nur, daß bey ihm die Freundschafft auf keinem festen Grunde stehet. Man siehet, daß ein solcher Pseudo-Politicus imitirt den verum Politicum. Denn alle Men- schen wollen nicht als Scelerati und Böse angesehen werden. Hiero- nymus Osorius raisoniret in seinen Schrifften gar artig hievon, und saget: Die Tugend müsse doch was sonderliches seyn, weil revera die- jenigen, so nur astuti wären, die Tugend doch zu imitiren suchten. Sie gehen einher in Schaafs-Kleidern, inwendig aber sind sie reissende Wölf- fe. Callidi itaque non solum cavent sibi, sed etiam quaerunt amicos. Nur halten sie so länger Freundschafft, als es nöthig, hernach negligi- ren sie solche wieder. Sie machen sich nichts daraus, wenn gleich ihre Freunde sollten zu Grunde gehen. Wer glücklich leben will im Regi- mente, der muß es eben so machen, quaerat amicos. Daher haben wir an dem König in Franckreich Louis XIV. gesehen, daß wohl alle auf ihn loß gefallen: Denn er hat keine pacta gehalten, wie der Türcke. Und weil man bey solchen Leuten am besten thut, wenn man den Krieg con- tinuiret, so hat man es auch bey dem Könige in Franckreich gethan, wel- cher dadurch endlich übern Hauffen geworffen worden; indem er nicht Zeit gehabt sich zu aggrandiren. Anfangs regierete der König in Franckreich, da er gescheute Ministres hatte, aber wie er hernach einen närrischen Ministre bekam, so war es aus; und sind alle froh gewesen, daß er ge- storben. Ich bin ja nicht alleine in der Welt, sondern viele tausend andere sind noch da. Das ist die Ursache, warum ich muß auf andere sehen, das ist das complementum philosophiae practicae, auch Iurispru- dentiae, wie schon Modestinus ICtus gemeynet, welcher sagt: Der sey der beste Jurist, der cautelen machen könnte. Man muß seinen Stand suchen zu conserviren. Non minor est virtus, quam quaerere, parta tue- ri. Will einer Freunde haben, so muß er dasjenige von sich ablehnen, was andern verhaßt und verdrießlich ist; was Freunde abschrecken kan. Daher
Cap. I. De Natura man gebe acht, wie andere wegen ihn vigiliren. Daher ſiehet man, daßdie Prudentia eine groſſe Vorſichtigkeit erfordert: Keine Vorſichtigkeit aber iſt ſine vigilantia. Deßwegen ſaget man eben beym Muͤßiggang, bey der Wolluſt iſt keine vigilantia. Der Koͤnig Friedrich tantzte noch eine courante, wie die Schlacht beym weiſſen Berge geſchahe, hernach muſte er aber uͤber Halß und Kopff fortgehen. Die geringſten Handwercks- Leute muͤſſen auf ihre Poſt acht geben. Namfigulus figulum odit. Es gehoͤ- ret aber noch etwas ad prudentiam. Denn bisher iſt nur gezeiget wor- den, wie einer negative muͤſſe acht geben, daß mir keiner ein Hinderniß in Weg lege. Ich muß aber auch noch etwas thun. Freunde muß ich mir machen. Das thut auch ein Pſeudo-Politicus, nur, daß bey ihm die Freundſchafft auf keinem feſten Grunde ſtehet. Man ſiehet, daß ein ſolcher Pſeudo-Politicus imitirt den verum Politicum. Denn alle Men- ſchen wollen nicht als Scelerati und Boͤſe angeſehen werden. Hiero- nymus Oſorius raiſoniret in ſeinen Schrifften gar artig hievon, und ſaget: Die Tugend muͤſſe doch was ſonderliches ſeyn, weil revera die- jenigen, ſo nur aſtuti waͤren, die Tugend doch zu imitiren ſuchten. Sie gehen einher in Schaafs-Kleidern, inwendig aber ſind ſie reiſſende Woͤlf- fe. Callidi itaque non ſolum cavent ſibi, ſed etiam quærunt amicos. Nur halten ſie ſo laͤnger Freundſchafft, als es noͤthig, hernach negligi- ren ſie ſolche wieder. Sie machen ſich nichts daraus, wenn gleich ihre Freunde ſollten zu Grunde gehen. Wer gluͤcklich leben will im Regi- mente, der muß es eben ſo machen, quærat amicos. Daher haben wir an dem Koͤnig in Franckreich Louis XIV. geſehen, daß wohl alle auf ihn loß gefallen: Denn er hat keine pacta gehalten, wie der Tuͤrcke. Und weil man bey ſolchen Leuten am beſten thut, wenn man den Krieg con- tinuiret, ſo hat man es auch bey dem Koͤnige in Franckreich gethan, wel- cher dadurch endlich uͤbern Hauffen geworffen worden; indem er nicht Zeit gehabt ſich zu aggrandiren. Anfangs regierete der Koͤnig in Franckreich, da er geſcheute Miniſtres hatte, aber wie er hernach einen naͤrriſchen Miniſtre bekam, ſo war es aus; und ſind alle froh geweſen, daß er ge- ſtorben. Ich bin ja nicht alleine in der Welt, ſondern viele tauſend andere ſind noch da. Das iſt die Urſache, warum ich muß auf andere ſehen, das iſt das complementum philoſophiæ practicæ, auch Iurispru- dentiæ, wie ſchon Modeſtinus ICtus gemeynet, welcher ſagt: Der ſey der beſte Juriſt, der cautelen machen koͤnnte. Man muß ſeinen Stand ſuchen zu conſerviren. Non minor eſt virtus, quam quærere, parta tue- ri. Will einer Freunde haben, ſo muß er dasjenige von ſich ablehnen, was andern verhaßt und verdrießlich iſt; was Freunde abſchrecken kan. Daher
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0036" n="16"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g"><hi rendition="#k">Cap.</hi></hi> I. De Natura</hi></fw><lb/> man gebe acht, wie andere wegen ihn <hi rendition="#aq">vigili</hi>ren. Daher ſiehet man, daß<lb/> die <hi rendition="#aq">Prudentia</hi> eine groſſe Vorſichtigkeit erfordert: Keine Vorſichtigkeit<lb/> aber iſt <hi rendition="#aq">ſine vigilantia.</hi> Deßwegen ſaget man eben beym Muͤßiggang,<lb/> bey der Wolluſt iſt keine <hi rendition="#aq">vigilantia.</hi> Der Koͤnig Friedrich tantzte noch<lb/> eine <hi rendition="#aq">courante,</hi> wie die Schlacht beym weiſſen Berge geſchahe, hernach<lb/> muſte er aber uͤber Halß und Kopff fortgehen. Die geringſten Handwercks-<lb/> Leute muͤſſen auf ihre Poſt acht geben. <hi rendition="#aq">Namfigulus figulum odit.</hi> Es gehoͤ-<lb/> ret aber noch etwas <hi rendition="#aq">ad prudentiam.</hi> Denn bisher iſt nur gezeiget wor-<lb/> den, wie einer <hi rendition="#aq">negative</hi> muͤſſe acht geben, daß mir keiner ein Hinderniß<lb/> in Weg lege. Ich muß aber auch noch etwas thun. Freunde muß ich<lb/> mir machen. Das thut auch ein <hi rendition="#aq">Pſeudo-Politicus,</hi> nur, daß bey ihm die<lb/> Freundſchafft auf keinem feſten Grunde ſtehet. Man ſiehet, daß ein<lb/> ſolcher <hi rendition="#aq">Pſeudo-Politicus imiti</hi>rt den <hi rendition="#aq">verum Politicum.</hi> Denn alle Men-<lb/> ſchen wollen nicht als <hi rendition="#aq">Scelerati</hi> und Boͤſe angeſehen werden. <hi rendition="#aq">Hiero-<lb/> nymus Oſorius raiſoni</hi>ret in ſeinen Schrifften gar artig hievon, und<lb/> ſaget: Die Tugend muͤſſe doch was ſonderliches ſeyn, weil <hi rendition="#aq">revera</hi> die-<lb/> jenigen, ſo nur <hi rendition="#aq">aſtuti</hi> waͤren, die Tugend doch zu <hi rendition="#aq">imiti</hi>ren ſuchten. Sie<lb/> gehen einher in Schaafs-Kleidern, inwendig aber ſind ſie reiſſende Woͤlf-<lb/> fe. <hi rendition="#aq">Callidi itaque non ſolum cavent ſibi, ſed etiam quærunt amicos.</hi><lb/> Nur halten ſie ſo laͤnger Freundſchafft, als es noͤthig, hernach <hi rendition="#aq">negligi-</hi><lb/> ren ſie ſolche wieder. Sie machen ſich nichts daraus, wenn gleich ihre<lb/> Freunde ſollten zu Grunde gehen. Wer gluͤcklich leben will im Regi-<lb/> mente, der muß es eben ſo machen, <hi rendition="#aq">quærat amicos.</hi> Daher haben wir<lb/> an dem Koͤnig in Franckreich <hi rendition="#aq">Louis XIV.</hi> geſehen, daß wohl alle auf ihn<lb/> loß gefallen: Denn er hat keine <hi rendition="#aq">pacta</hi> gehalten, wie der Tuͤrcke. Und<lb/> weil man bey ſolchen Leuten am beſten thut, wenn man den Krieg <hi rendition="#aq">con-<lb/> tinui</hi>ret, ſo hat man es auch bey dem Koͤnige in Franckreich gethan, wel-<lb/> cher dadurch endlich uͤbern Hauffen geworffen worden; indem er nicht Zeit<lb/> gehabt ſich zu <hi rendition="#aq">aggrandi</hi>ren. Anfangs regierete der Koͤnig in Franckreich,<lb/> da er geſcheute <hi rendition="#aq">Miniſtres</hi> hatte, aber wie er hernach einen naͤrriſchen<lb/><hi rendition="#aq">Miniſtre</hi> bekam, ſo war es aus; und ſind alle froh geweſen, daß er ge-<lb/> ſtorben. Ich bin ja nicht alleine in der Welt, ſondern viele tauſend<lb/> andere ſind noch da. Das iſt die Urſache, warum ich muß auf andere<lb/> ſehen, das iſt das <hi rendition="#aq">complementum philoſophiæ practicæ,</hi> auch <hi rendition="#aq">Iurispru-<lb/> dentiæ,</hi> wie ſchon <hi rendition="#aq">Modeſtinus ICtus</hi> gemeynet, welcher ſagt: Der ſey<lb/> der beſte Juriſt, der <hi rendition="#aq">cautel</hi>en machen koͤnnte. Man muß ſeinen Stand<lb/> ſuchen zu <hi rendition="#aq">conſervi</hi>ren. <hi rendition="#aq">Non minor eſt virtus, quam quærere, parta tue-<lb/> ri.</hi> Will einer Freunde haben, ſo muß er dasjenige von ſich ablehnen,<lb/> was andern verhaßt und verdrießlich iſt; was Freunde abſchrecken kan.<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Daher</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [16/0036]
Cap. I. De Natura
man gebe acht, wie andere wegen ihn vigiliren. Daher ſiehet man, daß
die Prudentia eine groſſe Vorſichtigkeit erfordert: Keine Vorſichtigkeit
aber iſt ſine vigilantia. Deßwegen ſaget man eben beym Muͤßiggang,
bey der Wolluſt iſt keine vigilantia. Der Koͤnig Friedrich tantzte noch
eine courante, wie die Schlacht beym weiſſen Berge geſchahe, hernach
muſte er aber uͤber Halß und Kopff fortgehen. Die geringſten Handwercks-
Leute muͤſſen auf ihre Poſt acht geben. Namfigulus figulum odit. Es gehoͤ-
ret aber noch etwas ad prudentiam. Denn bisher iſt nur gezeiget wor-
den, wie einer negative muͤſſe acht geben, daß mir keiner ein Hinderniß
in Weg lege. Ich muß aber auch noch etwas thun. Freunde muß ich
mir machen. Das thut auch ein Pſeudo-Politicus, nur, daß bey ihm die
Freundſchafft auf keinem feſten Grunde ſtehet. Man ſiehet, daß ein
ſolcher Pſeudo-Politicus imitirt den verum Politicum. Denn alle Men-
ſchen wollen nicht als Scelerati und Boͤſe angeſehen werden. Hiero-
nymus Oſorius raiſoniret in ſeinen Schrifften gar artig hievon, und
ſaget: Die Tugend muͤſſe doch was ſonderliches ſeyn, weil revera die-
jenigen, ſo nur aſtuti waͤren, die Tugend doch zu imitiren ſuchten. Sie
gehen einher in Schaafs-Kleidern, inwendig aber ſind ſie reiſſende Woͤlf-
fe. Callidi itaque non ſolum cavent ſibi, ſed etiam quærunt amicos.
Nur halten ſie ſo laͤnger Freundſchafft, als es noͤthig, hernach negligi-
ren ſie ſolche wieder. Sie machen ſich nichts daraus, wenn gleich ihre
Freunde ſollten zu Grunde gehen. Wer gluͤcklich leben will im Regi-
mente, der muß es eben ſo machen, quærat amicos. Daher haben wir
an dem Koͤnig in Franckreich Louis XIV. geſehen, daß wohl alle auf ihn
loß gefallen: Denn er hat keine pacta gehalten, wie der Tuͤrcke. Und
weil man bey ſolchen Leuten am beſten thut, wenn man den Krieg con-
tinuiret, ſo hat man es auch bey dem Koͤnige in Franckreich gethan, wel-
cher dadurch endlich uͤbern Hauffen geworffen worden; indem er nicht Zeit
gehabt ſich zu aggrandiren. Anfangs regierete der Koͤnig in Franckreich,
da er geſcheute Miniſtres hatte, aber wie er hernach einen naͤrriſchen
Miniſtre bekam, ſo war es aus; und ſind alle froh geweſen, daß er ge-
ſtorben. Ich bin ja nicht alleine in der Welt, ſondern viele tauſend
andere ſind noch da. Das iſt die Urſache, warum ich muß auf andere
ſehen, das iſt das complementum philoſophiæ practicæ, auch Iurispru-
dentiæ, wie ſchon Modeſtinus ICtus gemeynet, welcher ſagt: Der ſey
der beſte Juriſt, der cautelen machen koͤnnte. Man muß ſeinen Stand
ſuchen zu conſerviren. Non minor eſt virtus, quam quærere, parta tue-
ri. Will einer Freunde haben, ſo muß er dasjenige von ſich ablehnen,
was andern verhaßt und verdrießlich iſt; was Freunde abſchrecken kan.
Daher
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |