Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.Vorrede. Römischen Rechte diese Lehre erklähren/ worinn man geradedie Pferde hinter den Wagen spannte; deßwegen beklagt sich noch der berühmte Morhof in seinem Polyhistore, Tomo 3. lib. 2. par, 11. daß man noch zur Zeit kein vollkommen politisches Systema aufweisen könne. Es giebt zwar Politiquen genug/ doch sind die meisten so beschaffen, daß sie solchen Nahmen nicht verdienen. Denn einige sind dem Aristoteli blindlings gefol- get/ welcher doch vornehmlich die Griechischen Republiquen vor Augen gehabt/ oder sonsten viele zu seiner Zeit gebräuchliche Puncte vorgetragen/ da man das zehnte mahl dieselbigen Sa- chen auf unsere heutigen Staaten nicht appliciren kann. An- dere haben wollen klüger thun/ haben ihren Affecten allzusehr nachgehangen/ und entweder hoher Potentaten Gewalt gar zu hoch erhoben/ wie der berühmte Machiavellus, oder haben dem Volcke allzuviele Freyheit zugeschrieben/ wie der bekannte Bu- chananus de jure Regni apud Scotos sich in diesem Falle ver- gangen. Wiederum andere haben es darinne versehen/ daß sie nicht aus sichern Haupt-Gründen die gantze Politic hergeleitet/ sondern auf einige nützliche Specialia gefallen/ und daher den grösten Theil ihrer Wercke mit juristischen Fragen/ Gedancken aus dem Staats-Rechte/ und besondern Particularitaeten von diesem oder jenem Staate angefüllet/ dabey aber die Politic/ deren doch ihre Wercke eigentlich solten gewidmet seyn/ bey nahe gantz vergessen. Ferner haben fich einige nur darüber gemacht/ daß sie nicht den Zustand derer heutigen Staaten vor Augen ge- legt/ sondern eine Politic hingeschrieben/ nach der Art/ wie sie sich die Einbildung gemacht/ daß die Staaten besser einzurich- ten wären/ wohin des Mori Utopia, Baconis, de Verulamio novus Atlas, und die bekannte Histoire des Severambes zu rech- nen/ wiewohl dieser guten Leute ihre Erfindungen theils fabel- hafft herauskommen/ theils mehr zu wünschen/ als in würck- lichen Gebrauch zu bringen. Uber dieses sind einige gewesen/ wel-
Vorrede. Roͤmiſchen Rechte dieſe Lehre erklaͤhren/ worinn man geradedie Pferde hinter den Wagen ſpannte; deßwegen beklagt ſich noch der beruͤhmte Morhof in ſeinem Polyhiſtore, Tomo 3. lib. 2. par, 11. daß man noch zur Zeit kein vollkommen politiſches Syſtema aufweiſen koͤnne. Es giebt zwar Politiquen genug/ doch ſind die meiſten ſo beſchaffen, daß ſie ſolchen Nahmen nicht verdienen. Denn einige ſind dem Ariſtoteli blindlings gefol- get/ welcher doch vornehmlich die Griechiſchen Republiquen vor Augen gehabt/ oder ſonſten viele zu ſeiner Zeit gebraͤuchliche Puncte vorgetragen/ da man das zehnte mahl dieſelbigen Sa- chen auf unſere heutigen Staaten nicht appliciren kann. An- dere haben wollen kluͤger thun/ haben ihren Affecten allzuſehr nachgehangen/ und entweder hoher Potentaten Gewalt gar zu hoch erhoben/ wie der beruͤhmte Machiavellus, oder haben dem Volcke allzuviele Freyheit zugeſchrieben/ wie der bekannte Bu- chananus de jure Regni apud Scotos ſich in dieſem Falle ver- gangen. Wiederum andere haben es darinne verſehen/ daß ſie nicht aus ſichern Haupt-Gruͤnden die gantze Politic hergeleitet/ ſondern auf einige nuͤtzliche Specialia gefallen/ und daher den groͤſten Theil ihrer Wercke mit juriſtiſchen Fragen/ Gedancken aus dem Staats-Rechte/ und beſondern Particularitæten von dieſem oder jenem Staate angefuͤllet/ dabey aber die Politic/ deren doch ihre Wercke eigentlich ſolten gewidmet ſeyn/ bey nahe gantz vergeſſen. Ferner haben fich einige nur daruͤber gemacht/ daß ſie nicht den Zuſtand derer heutigen Staaten vor Augen ge- legt/ ſondern eine Politic hingeſchrieben/ nach der Art/ wie ſie ſich die Einbildung gemacht/ daß die Staaten beſſer einzurich- ten waͤren/ wohin des Mori Utopia, Baconis, de Verulamio novus Atlas, und die bekannte Hiſtoire des Severambes zu rech- nen/ wiewohl dieſer guten Leute ihre Erfindungen theils fabel- hafft herauskommen/ theils mehr zu wuͤnſchen/ als in wuͤrck- lichen Gebrauch zu bringen. Uber dieſes ſind einige geweſen/ wel-
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Vorrede.
Roͤmiſchen Rechte dieſe Lehre erklaͤhren/ worinn man gerade
die Pferde hinter den Wagen ſpannte; deßwegen beklagt ſich
noch der beruͤhmte Morhof in ſeinem Polyhiſtore, Tomo 3. lib.
2. par, 11. daß man noch zur Zeit kein vollkommen politiſches
Syſtema aufweiſen koͤnne. Es giebt zwar Politiquen genug/
doch ſind die meiſten ſo beſchaffen, daß ſie ſolchen Nahmen nicht
verdienen. Denn einige ſind dem Ariſtoteli blindlings gefol-
get/ welcher doch vornehmlich die Griechiſchen Republiquen vor
Augen gehabt/ oder ſonſten viele zu ſeiner Zeit gebraͤuchliche
Puncte vorgetragen/ da man das zehnte mahl dieſelbigen Sa-
chen auf unſere heutigen Staaten nicht appliciren kann. An-
dere haben wollen kluͤger thun/ haben ihren Affecten allzuſehr
nachgehangen/ und entweder hoher Potentaten Gewalt gar zu
hoch erhoben/ wie der beruͤhmte Machiavellus, oder haben dem
Volcke allzuviele Freyheit zugeſchrieben/ wie der bekannte Bu-
chananus de jure Regni apud Scotos ſich in dieſem Falle ver-
gangen. Wiederum andere haben es darinne verſehen/ daß ſie
nicht aus ſichern Haupt-Gruͤnden die gantze Politic hergeleitet/
ſondern auf einige nuͤtzliche Specialia gefallen/ und daher den
groͤſten Theil ihrer Wercke mit juriſtiſchen Fragen/ Gedancken
aus dem Staats-Rechte/ und beſondern Particularitæten von
dieſem oder jenem Staate angefuͤllet/ dabey aber die Politic/
deren doch ihre Wercke eigentlich ſolten gewidmet ſeyn/ bey nahe
gantz vergeſſen. Ferner haben fich einige nur daruͤber gemacht/
daß ſie nicht den Zuſtand derer heutigen Staaten vor Augen ge-
legt/ ſondern eine Politic hingeſchrieben/ nach der Art/ wie ſie
ſich die Einbildung gemacht/ daß die Staaten beſſer einzurich-
ten waͤren/ wohin des Mori Utopia, Baconis, de Verulamio
novus Atlas, und die bekannte Hiſtoire des Severambes zu rech-
nen/ wiewohl dieſer guten Leute ihre Erfindungen theils fabel-
hafft herauskommen/ theils mehr zu wuͤnſchen/ als in wuͤrck-
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