Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Von der Macht der Nazionen

Die wahre Macht eines Staats besteht zwar, wie
der Herr von Justi b] behauptet, eigentlich nicht blos in
einem weitläuftigen Umfange von Ländern, starker Be-
völkerung, ansehnlichen Reichthümern, zahlreichen
Kriegsheeren, vielen und starken Festungen, und was
man sonst gewönlich dahin rechnet, sondern hauptsäch-
lich in dem zweckmäsigen Gebrauche und der innern
guten Einrichtung aller dieser Stücke; besonders auch in
einer weisen und volkomnen Regierungsverfassung;
iedoch wird bey dem politischen Gleichgewichte nicht
sowohl auf diese innere Vergrösserung, wodurch den
übrigen Staaten geradezu nichts abgenommen wird, als
auf die äussere in Erweiterung der Grenzen, Rücksicht
genommen c]. Ansehnliche, wohlgelegene Lande bleiben
immer ein Hauptzweig der Macht, weil sie, wenn sie
sich auch nicht in dem blühendsten Zustande befinden,
doch durch die guten Anstalten des Erwerbers vielleicht
einer bessern Einrichtung fähig sind, und weitläuftige
Staaten gemeiniglich auch mehrere Mittel zur innern
Vergrösserung gewähren.

Nicht ieder geringe Zuwachs eines Mächtigen aber
ist dem Gleichgewicht allemal nachtheilig. Es komt
meistens auf die iedesmaligen dabey obwaltenden Um-
stände an. Zuweilen kan die Erwerbung eines geringen
Landes oder Vortheils das Gleichgewicht aufheben; zu-
weilen schadet eine beträchtliche Vergrösserung der Macht
demselben nicht d]. So lange die übrigen Nazionen
dem mächtigen Volke, im Nothfall, durch Verbindun-
gen und gemeinschaftliche Kräfte noch gleiche Gewalt
entgegensetzen können, ist noch keine Uebermacht vor-
handen e].

Uebrigens wird niemand zweifeln, daß auch die
Erlangung gewisser Gerechtsame, Bündnisse mit andern
mächtigen Staaten, zumal mit denen, die ein beständi-
ges oder langwieriges, gemeinschaftliches Interesse

haben,
Von der Macht der Nazionen

Die wahre Macht eines Staats beſteht zwar, wie
der Herr von Juſti b] behauptet, eigentlich nicht blos in
einem weitlaͤuftigen Umfange von Laͤndern, ſtarker Be-
voͤlkerung, anſehnlichen Reichthuͤmern, zahlreichen
Kriegsheeren, vielen und ſtarken Feſtungen, und was
man ſonſt gewoͤnlich dahin rechnet, ſondern hauptſaͤch-
lich in dem zweckmaͤſigen Gebrauche und der innern
guten Einrichtung aller dieſer Stuͤcke; beſonders auch in
einer weiſen und volkomnen Regierungsverfaſſung;
iedoch wird bey dem politiſchen Gleichgewichte nicht
ſowohl auf dieſe innere Vergroͤſſerung, wodurch den
uͤbrigen Staaten geradezu nichts abgenommen wird, als
auf die aͤuſſere in Erweiterung der Grenzen, Ruͤckſicht
genommen c]. Anſehnliche, wohlgelegene Lande bleiben
immer ein Hauptzweig der Macht, weil ſie, wenn ſie
ſich auch nicht in dem bluͤhendſten Zuſtande befinden,
doch durch die guten Anſtalten des Erwerbers vielleicht
einer beſſern Einrichtung faͤhig ſind, und weitlaͤuftige
Staaten gemeiniglich auch mehrere Mittel zur innern
Vergroͤſſerung gewaͤhren.

Nicht ieder geringe Zuwachs eines Maͤchtigen aber
iſt dem Gleichgewicht allemal nachtheilig. Es komt
meiſtens auf die iedesmaligen dabey obwaltenden Um-
ſtaͤnde an. Zuweilen kan die Erwerbung eines geringen
Landes oder Vortheils das Gleichgewicht aufheben; zu-
weilen ſchadet eine betraͤchtliche Vergroͤſſerung der Macht
demſelben nicht d]. So lange die uͤbrigen Nazionen
dem maͤchtigen Volke, im Nothfall, durch Verbindun-
gen und gemeinſchaftliche Kraͤfte noch gleiche Gewalt
entgegenſetzen koͤnnen, iſt noch keine Uebermacht vor-
handen e].

Uebrigens wird niemand zweifeln, daß auch die
Erlangung gewiſſer Gerechtſame, Buͤndniſſe mit andern
maͤchtigen Staaten, zumal mit denen, die ein beſtaͤndi-
ges oder langwieriges, gemeinſchaftliches Intereſſe

haben,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0356" n="330"/>
            <fw place="top" type="header">Von der Macht der Nazionen</fw><lb/>
            <p>Die wahre Macht eines Staats be&#x017F;teht zwar, wie<lb/>
der Herr von Ju&#x017F;ti <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">b</hi></hi>] behauptet, eigentlich nicht blos in<lb/>
einem weitla&#x0364;uftigen Umfange von La&#x0364;ndern, &#x017F;tarker Be-<lb/>
vo&#x0364;lkerung, an&#x017F;ehnlichen Reichthu&#x0364;mern, zahlreichen<lb/>
Kriegsheeren, vielen und &#x017F;tarken Fe&#x017F;tungen, und was<lb/>
man &#x017F;on&#x017F;t gewo&#x0364;nlich dahin rechnet, &#x017F;ondern haupt&#x017F;a&#x0364;ch-<lb/>
lich in dem zweckma&#x0364;&#x017F;igen Gebrauche und der innern<lb/>
guten Einrichtung aller die&#x017F;er Stu&#x0364;cke; be&#x017F;onders auch in<lb/>
einer wei&#x017F;en und volkomnen Regierungsverfa&#x017F;&#x017F;ung;<lb/>
iedoch wird bey dem politi&#x017F;chen Gleichgewichte nicht<lb/>
&#x017F;owohl auf die&#x017F;e innere Vergro&#x0364;&#x017F;&#x017F;erung, wodurch den<lb/>
u&#x0364;brigen Staaten geradezu nichts abgenommen wird, als<lb/>
auf die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere in Erweiterung der Grenzen, Ru&#x0364;ck&#x017F;icht<lb/>
genommen <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">c</hi></hi>]. An&#x017F;ehnliche, wohlgelegene Lande bleiben<lb/>
immer ein Hauptzweig der Macht, weil &#x017F;ie, wenn &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich auch nicht in dem blu&#x0364;hend&#x017F;ten Zu&#x017F;tande befinden,<lb/>
doch durch die guten An&#x017F;talten des Erwerbers vielleicht<lb/>
einer be&#x017F;&#x017F;ern Einrichtung fa&#x0364;hig &#x017F;ind, und weitla&#x0364;uftige<lb/>
Staaten gemeiniglich auch mehrere Mittel zur innern<lb/>
Vergro&#x0364;&#x017F;&#x017F;erung gewa&#x0364;hren.</p><lb/>
            <p>Nicht ieder geringe Zuwachs eines Ma&#x0364;chtigen aber<lb/>
i&#x017F;t dem Gleichgewicht allemal nachtheilig. Es komt<lb/>
mei&#x017F;tens auf die iedesmaligen dabey obwaltenden Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde an. Zuweilen kan die Erwerbung eines geringen<lb/>
Landes oder Vortheils das Gleichgewicht aufheben; zu-<lb/>
weilen &#x017F;chadet eine betra&#x0364;chtliche Vergro&#x0364;&#x017F;&#x017F;erung der Macht<lb/>
dem&#x017F;elben nicht <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">d</hi></hi>]. So lange die u&#x0364;brigen Nazionen<lb/>
dem ma&#x0364;chtigen Volke, im Nothfall, durch Verbindun-<lb/>
gen und gemein&#x017F;chaftliche Kra&#x0364;fte noch gleiche Gewalt<lb/>
entgegen&#x017F;etzen ko&#x0364;nnen, i&#x017F;t noch keine Uebermacht vor-<lb/>
handen <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">e</hi></hi>].</p><lb/>
            <p>Uebrigens wird niemand zweifeln, daß auch die<lb/>
Erlangung gewi&#x017F;&#x017F;er Gerecht&#x017F;ame, Bu&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;e mit andern<lb/>
ma&#x0364;chtigen Staaten, zumal mit denen, die ein be&#x017F;ta&#x0364;ndi-<lb/>
ges oder langwieriges, gemein&#x017F;chaftliches Intere&#x017F;&#x017F;e<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">haben,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[330/0356] Von der Macht der Nazionen Die wahre Macht eines Staats beſteht zwar, wie der Herr von Juſti b] behauptet, eigentlich nicht blos in einem weitlaͤuftigen Umfange von Laͤndern, ſtarker Be- voͤlkerung, anſehnlichen Reichthuͤmern, zahlreichen Kriegsheeren, vielen und ſtarken Feſtungen, und was man ſonſt gewoͤnlich dahin rechnet, ſondern hauptſaͤch- lich in dem zweckmaͤſigen Gebrauche und der innern guten Einrichtung aller dieſer Stuͤcke; beſonders auch in einer weiſen und volkomnen Regierungsverfaſſung; iedoch wird bey dem politiſchen Gleichgewichte nicht ſowohl auf dieſe innere Vergroͤſſerung, wodurch den uͤbrigen Staaten geradezu nichts abgenommen wird, als auf die aͤuſſere in Erweiterung der Grenzen, Ruͤckſicht genommen c]. Anſehnliche, wohlgelegene Lande bleiben immer ein Hauptzweig der Macht, weil ſie, wenn ſie ſich auch nicht in dem bluͤhendſten Zuſtande befinden, doch durch die guten Anſtalten des Erwerbers vielleicht einer beſſern Einrichtung faͤhig ſind, und weitlaͤuftige Staaten gemeiniglich auch mehrere Mittel zur innern Vergroͤſſerung gewaͤhren. Nicht ieder geringe Zuwachs eines Maͤchtigen aber iſt dem Gleichgewicht allemal nachtheilig. Es komt meiſtens auf die iedesmaligen dabey obwaltenden Um- ſtaͤnde an. Zuweilen kan die Erwerbung eines geringen Landes oder Vortheils das Gleichgewicht aufheben; zu- weilen ſchadet eine betraͤchtliche Vergroͤſſerung der Macht demſelben nicht d]. So lange die uͤbrigen Nazionen dem maͤchtigen Volke, im Nothfall, durch Verbindun- gen und gemeinſchaftliche Kraͤfte noch gleiche Gewalt entgegenſetzen koͤnnen, iſt noch keine Uebermacht vor- handen e]. Uebrigens wird niemand zweifeln, daß auch die Erlangung gewiſſer Gerechtſame, Buͤndniſſe mit andern maͤchtigen Staaten, zumal mit denen, die ein beſtaͤndi- ges oder langwieriges, gemeinſchaftliches Intereſſe haben,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/356
Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/356>, abgerufen am 21.11.2024.