Bey Reichssolennitäten hingegen behaupten die Kur- fürsten, vermöge der goldenen Bulle a] und des alten Herkommens, auch vor den Königen den Rang. So wolte der Kurfürst von Brandenburg auf dem Reichs- tage zu Regensburg 1556 dem damaligen Könige von Hungarn, nachherigen Kaiser Rudolf II. nicht weichen b]. In Ansehung der Gesandten auswärtiger Mächte auf Reichs- und Wahltägen haben die Kurfürsten verschie- dene Kollegialschlüsse auch noch neuerlich bey der römi- schen Königswahl Joseph II. 1764 abgefaßt, die bey einer andern Gelegenheit angeführt werden sollen.
Bloßen Titularkönigen, die keine Lande zu regieren haben, dergleichen ehemals z. B. Savoyen wegen der Ansprüche auf das Königreich Cypern, ingleichen König Stanislaus von Polen waren, wollen die Kurfürsten iedoch keinesweges den Vorrang einräumen c].
Eben so wenig wollen sie den Republicken nachgehn, sondern haben den Rang iederzeit über sie zu behaupten gesucht. Die Eidgenossenschaft und Genua machen des- halb keine Schwierigkeit d], Venedig und die vereinig- ren Niederlande aber haben sich heftig dagegen gesetzt. Venedig erhielt auch vom Kaiser Ferdinand II. ein den kurfürstlichen Vorrechten nachtheiliges Dekret am kaiser- lichen Hofe und auf Reichstägen. Allein die Kurfür- sten brachten es durch Vorstellungen und Protestationen endlich dahin, daß König Ferdinand IV. 1653 und Kai- ser Leopold 1658 in der Wahlkapitulation ihnen den Rang vor allen Republicken ausdrücklich zugestehn und sich verbindlich machen musten: "was hiebevor per De- creta und absonderlich anno 1636, oder sonst vorgenom- men oder verordnet, soll förderlichst abgestellet und kraft- los seyn." Seitdem wird in allen kaiserlichen Wahlca- pitulationen festgesetzt: [Art. III. §. 20. und 21. Josephs II.] "Nachdemmahlen sich auch eine Zeitlang zugetra- gen, daß ausländischer Potentaten, Fürsten und Repu-
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Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
Bey Reichsſolennitaͤten hingegen behaupten die Kur- fuͤrſten, vermoͤge der goldenen Bulle a] und des alten Herkommens, auch vor den Koͤnigen den Rang. So wolte der Kurfuͤrſt von Brandenburg auf dem Reichs- tage zu Regensburg 1556 dem damaligen Koͤnige von Hungarn, nachherigen Kaiſer Rudolf II. nicht weichen b]. In Anſehung der Geſandten auswaͤrtiger Maͤchte auf Reichs- und Wahltaͤgen haben die Kurfuͤrſten verſchie- dene Kollegialſchluͤſſe auch noch neuerlich bey der roͤmi- ſchen Koͤnigswahl Joſeph II. 1764 abgefaßt, die bey einer andern Gelegenheit angefuͤhrt werden ſollen.
Bloßen Titularkoͤnigen, die keine Lande zu regieren haben, dergleichen ehemals z. B. Savoyen wegen der Anſpruͤche auf das Koͤnigreich Cypern, ingleichen Koͤnig Stanislaus von Polen waren, wollen die Kurfuͤrſten iedoch keinesweges den Vorrang einraͤumen c].
Eben ſo wenig wollen ſie den Republicken nachgehn, ſondern haben den Rang iederzeit uͤber ſie zu behaupten geſucht. Die Eidgenoſſenſchaft und Genua machen des- halb keine Schwierigkeit d], Venedig und die vereinig- ren Niederlande aber haben ſich heftig dagegen geſetzt. Venedig erhielt auch vom Kaiſer Ferdinand II. ein den kurfuͤrſtlichen Vorrechten nachtheiliges Dekret am kaiſer- lichen Hofe und auf Reichstaͤgen. Allein die Kurfuͤr- ſten brachten es durch Vorſtellungen und Proteſtationen endlich dahin, daß Koͤnig Ferdinand IV. 1653 und Kai- ſer Leopold 1658 in der Wahlkapitulation ihnen den Rang vor allen Republicken ausdruͤcklich zugeſtehn und ſich verbindlich machen muſten: “was hiebevor per De- creta und abſonderlich anno 1636, oder ſonſt vorgenom- men oder verordnet, ſoll foͤrderlichſt abgeſtellet und kraft- los ſeyn.” Seitdem wird in allen kaiſerlichen Wahlca- pitulationen feſtgeſetzt: [Art. III. §. 20. und 21. Joſephs II.] “Nachdemmahlen ſich auch eine Zeitlang zugetra- gen, daß auslaͤndiſcher Potentaten, Fuͤrſten und Repu-
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Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
Bey Reichsſolennitaͤten hingegen behaupten die Kur-
fuͤrſten, vermoͤge der goldenen Bulle a] und des alten
Herkommens, auch vor den Koͤnigen den Rang. So
wolte der Kurfuͤrſt von Brandenburg auf dem Reichs-
tage zu Regensburg 1556 dem damaligen Koͤnige von
Hungarn, nachherigen Kaiſer Rudolf II. nicht weichen b].
In Anſehung der Geſandten auswaͤrtiger Maͤchte auf
Reichs- und Wahltaͤgen haben die Kurfuͤrſten verſchie-
dene Kollegialſchluͤſſe auch noch neuerlich bey der roͤmi-
ſchen Koͤnigswahl Joſeph II. 1764 abgefaßt, die bey
einer andern Gelegenheit angefuͤhrt werden ſollen.
Bloßen Titularkoͤnigen, die keine Lande zu regieren
haben, dergleichen ehemals z. B. Savoyen wegen der
Anſpruͤche auf das Koͤnigreich Cypern, ingleichen Koͤnig
Stanislaus von Polen waren, wollen die Kurfuͤrſten
iedoch keinesweges den Vorrang einraͤumen c].
Eben ſo wenig wollen ſie den Republicken nachgehn,
ſondern haben den Rang iederzeit uͤber ſie zu behaupten
geſucht. Die Eidgenoſſenſchaft und Genua machen des-
halb keine Schwierigkeit d], Venedig und die vereinig-
ren Niederlande aber haben ſich heftig dagegen geſetzt.
Venedig erhielt auch vom Kaiſer Ferdinand II. ein den
kurfuͤrſtlichen Vorrechten nachtheiliges Dekret am kaiſer-
lichen Hofe und auf Reichstaͤgen. Allein die Kurfuͤr-
ſten brachten es durch Vorſtellungen und Proteſtationen
endlich dahin, daß Koͤnig Ferdinand IV. 1653 und Kai-
ſer Leopold 1658 in der Wahlkapitulation ihnen den
Rang vor allen Republicken ausdruͤcklich zugeſtehn und
ſich verbindlich machen muſten: “was hiebevor per De-
creta und abſonderlich anno 1636, oder ſonſt vorgenom-
men oder verordnet, ſoll foͤrderlichſt abgeſtellet und kraft-
los ſeyn.” Seitdem wird in allen kaiſerlichen Wahlca-
pitulationen feſtgeſetzt: [Art. III. §. 20. und 21. Joſephs
II.] “Nachdemmahlen ſich auch eine Zeitlang zugetra-
gen, daß auslaͤndiſcher Potentaten, Fuͤrſten und Repu-
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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/282>, abgerufen am 21.11.2024.
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