den Strom der damaligen algemeinen Vorurtheile mit hingerissen. Die Beispiele ausgeübter und anerkanter Oberherschaft des Kaisers über andere christliche Regen- ten sind in der Geschichte nicht selten o]. Am einleuch- tendsten ward dieselbe bey solchen Vorfällen, woran die ganze Christenheit Theil zu nehmen und gleichsam einen Körper auszumachen pflegte, als: bey Kreutzzügen, algemeinen Koncilien etc.
Die hauptsächlichsten Folgen hiervon waren, daß die Kaiser von den übrigen Fürsten Gehorsam in denieni- gen Stücken verlangten, welche das gemeine Wohl der Christenheit betrafen: daß diese auf Erfordern zum Krie- ge wider die Ungläubigen etc. erscheinen, Hülfsvölker, Kosten etc. hergeben und bey diesen Gelegenheiten über- haupt alles thun musten, was der Kaiser ihnen gebot p]. Sie maßten sich ferner eine gewisse Art von Gerichts- barkeit über die christlichen Fürsten an, wurden auch von ihnen selbst zuweilen zu Entscheidung ihrer Streitigkeiten aufgefodert q]. Sie versuchten es einigemal sogar, die Reichsacht ausserhalb dem teutschen Reiche zu erstrecken r]. Nicht weniger sahe man die Kaiser als die Quelle aller Würden, selbst der königlichen an s], und die Standes- erhebungen fast in allen Reichen geschahen durch sie, so wie die Ertheilung der akademischen Grade, die Creirung der Notarien etc.
Aber diese auf irrige Grundsätze beruhende Oberher- schaft der Welt fing mit der päpstlichen, mit der sie so genau verbunden war, besonders seit der Reformation an, in Abnahme zu kommen, und verfiel immer mehr, nachdem man durch die Wiederherstellung der Wissen- schaften reinere Begriffe vom Völkerrechte bekam und richtigere Grundsätze darin aufstelte. Kaiser Karls V. Bemühungen, die vormalige Hoheit wiederherzustellen, waren fruchtlos t]: und seit dem westphälischen Frieden ist es wohl keinem Kaiser im Ernste mehr eingefallen,
sich
Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
den Strom der damaligen algemeinen Vorurtheile mit hingeriſſen. Die Beiſpiele ausgeuͤbter und anerkanter Oberherſchaft des Kaiſers uͤber andere chriſtliche Regen- ten ſind in der Geſchichte nicht ſelten o]. Am einleuch- tendſten ward dieſelbe bey ſolchen Vorfaͤllen, woran die ganze Chriſtenheit Theil zu nehmen und gleichſam einen Koͤrper auszumachen pflegte, als: bey Kreutzzuͤgen, algemeinen Koncilien ꝛc.
Die hauptſaͤchlichſten Folgen hiervon waren, daß die Kaiſer von den uͤbrigen Fuͤrſten Gehorſam in denieni- gen Stuͤcken verlangten, welche das gemeine Wohl der Chriſtenheit betrafen: daß dieſe auf Erfordern zum Krie- ge wider die Unglaͤubigen ꝛc. erſcheinen, Huͤlfsvoͤlker, Koſten ꝛc. hergeben und bey dieſen Gelegenheiten uͤber- haupt alles thun muſten, was der Kaiſer ihnen gebot p]. Sie maßten ſich ferner eine gewiſſe Art von Gerichts- barkeit uͤber die chriſtlichen Fuͤrſten an, wurden auch von ihnen ſelbſt zuweilen zu Entſcheidung ihrer Streitigkeiten aufgefodert q]. Sie verſuchten es einigemal ſogar, die Reichsacht auſſerhalb dem teutſchen Reiche zu erſtrecken r]. Nicht weniger ſahe man die Kaiſer als die Quelle aller Wuͤrden, ſelbſt der koͤniglichen an s], und die Standes- erhebungen faſt in allen Reichen geſchahen durch ſie, ſo wie die Ertheilung der akademiſchen Grade, die Creirung der Notarien ꝛc.
Aber dieſe auf irrige Grundſaͤtze beruhende Oberher- ſchaft der Welt fing mit der paͤpſtlichen, mit der ſie ſo genau verbunden war, beſonders ſeit der Reformation an, in Abnahme zu kommen, und verfiel immer mehr, nachdem man durch die Wiederherſtellung der Wiſſen- ſchaften reinere Begriffe vom Voͤlkerrechte bekam und richtigere Grundſaͤtze darin aufſtelte. Kaiſer Karls V. Bemuͤhungen, die vormalige Hoheit wiederherzuſtellen, waren fruchtlos t]: und ſeit dem weſtphaͤliſchen Frieden iſt es wohl keinem Kaiſer im Ernſte mehr eingefallen,
ſich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0204"n="178"/><fwplace="top"type="header">Von den geſelſchaftlichen Verbindungen</fw><lb/>
den Strom der damaligen algemeinen Vorurtheile mit<lb/>
hingeriſſen. Die Beiſpiele ausgeuͤbter und anerkanter<lb/>
Oberherſchaft des Kaiſers uͤber andere chriſtliche Regen-<lb/>
ten ſind in der Geſchichte nicht ſelten <hirendition="#aq"><hirendition="#sup">o</hi></hi>]. Am einleuch-<lb/>
tendſten ward dieſelbe bey ſolchen Vorfaͤllen, woran<lb/>
die ganze Chriſtenheit Theil zu nehmen und gleichſam<lb/>
einen Koͤrper auszumachen pflegte, als: bey Kreutzzuͤgen,<lb/>
algemeinen Koncilien ꝛc.</p><lb/><p>Die hauptſaͤchlichſten Folgen hiervon waren, daß<lb/>
die Kaiſer von den uͤbrigen Fuͤrſten Gehorſam in denieni-<lb/>
gen Stuͤcken verlangten, welche das gemeine Wohl der<lb/>
Chriſtenheit betrafen: daß dieſe auf Erfordern zum Krie-<lb/>
ge wider die Unglaͤubigen ꝛc. erſcheinen, Huͤlfsvoͤlker,<lb/>
Koſten ꝛc. hergeben und bey dieſen Gelegenheiten uͤber-<lb/>
haupt alles thun muſten, was der Kaiſer ihnen gebot <hirendition="#aq"><hirendition="#sup">p</hi></hi>].<lb/>
Sie maßten ſich ferner eine gewiſſe Art von Gerichts-<lb/>
barkeit uͤber die chriſtlichen Fuͤrſten an, wurden auch von<lb/>
ihnen ſelbſt zuweilen zu Entſcheidung ihrer Streitigkeiten<lb/>
aufgefodert <hirendition="#aq"><hirendition="#sup">q</hi></hi>]. Sie verſuchten es einigemal ſogar, die<lb/>
Reichsacht auſſerhalb dem teutſchen Reiche zu erſtrecken <hirendition="#aq"><hirendition="#sup">r</hi></hi>].<lb/>
Nicht weniger ſahe man die Kaiſer als die Quelle aller<lb/>
Wuͤrden, ſelbſt der koͤniglichen an <hirendition="#aq"><hirendition="#sup">s</hi></hi>], und die Standes-<lb/>
erhebungen faſt in allen Reichen geſchahen durch ſie, ſo<lb/>
wie die Ertheilung der akademiſchen Grade, die Creirung<lb/>
der Notarien ꝛc.</p><lb/><p>Aber dieſe auf irrige Grundſaͤtze beruhende Oberher-<lb/>ſchaft der Welt fing mit der paͤpſtlichen, mit der ſie ſo<lb/>
genau verbunden war, beſonders ſeit der Reformation<lb/>
an, in Abnahme zu kommen, und verfiel immer mehr,<lb/>
nachdem man durch die Wiederherſtellung der Wiſſen-<lb/>ſchaften reinere Begriffe vom Voͤlkerrechte bekam und<lb/>
richtigere Grundſaͤtze darin aufſtelte. Kaiſer Karls <hirendition="#aq">V.</hi><lb/>
Bemuͤhungen, die vormalige Hoheit wiederherzuſtellen,<lb/>
waren fruchtlos <hirendition="#aq"><hirendition="#sup">t</hi></hi>]: und ſeit dem weſtphaͤliſchen Frieden<lb/>
iſt es wohl keinem Kaiſer im Ernſte mehr eingefallen,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſich</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[178/0204]
Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
den Strom der damaligen algemeinen Vorurtheile mit
hingeriſſen. Die Beiſpiele ausgeuͤbter und anerkanter
Oberherſchaft des Kaiſers uͤber andere chriſtliche Regen-
ten ſind in der Geſchichte nicht ſelten o]. Am einleuch-
tendſten ward dieſelbe bey ſolchen Vorfaͤllen, woran
die ganze Chriſtenheit Theil zu nehmen und gleichſam
einen Koͤrper auszumachen pflegte, als: bey Kreutzzuͤgen,
algemeinen Koncilien ꝛc.
Die hauptſaͤchlichſten Folgen hiervon waren, daß
die Kaiſer von den uͤbrigen Fuͤrſten Gehorſam in denieni-
gen Stuͤcken verlangten, welche das gemeine Wohl der
Chriſtenheit betrafen: daß dieſe auf Erfordern zum Krie-
ge wider die Unglaͤubigen ꝛc. erſcheinen, Huͤlfsvoͤlker,
Koſten ꝛc. hergeben und bey dieſen Gelegenheiten uͤber-
haupt alles thun muſten, was der Kaiſer ihnen gebot p].
Sie maßten ſich ferner eine gewiſſe Art von Gerichts-
barkeit uͤber die chriſtlichen Fuͤrſten an, wurden auch von
ihnen ſelbſt zuweilen zu Entſcheidung ihrer Streitigkeiten
aufgefodert q]. Sie verſuchten es einigemal ſogar, die
Reichsacht auſſerhalb dem teutſchen Reiche zu erſtrecken r].
Nicht weniger ſahe man die Kaiſer als die Quelle aller
Wuͤrden, ſelbſt der koͤniglichen an s], und die Standes-
erhebungen faſt in allen Reichen geſchahen durch ſie, ſo
wie die Ertheilung der akademiſchen Grade, die Creirung
der Notarien ꝛc.
Aber dieſe auf irrige Grundſaͤtze beruhende Oberher-
ſchaft der Welt fing mit der paͤpſtlichen, mit der ſie ſo
genau verbunden war, beſonders ſeit der Reformation
an, in Abnahme zu kommen, und verfiel immer mehr,
nachdem man durch die Wiederherſtellung der Wiſſen-
ſchaften reinere Begriffe vom Voͤlkerrechte bekam und
richtigere Grundſaͤtze darin aufſtelte. Kaiſer Karls V.
Bemuͤhungen, die vormalige Hoheit wiederherzuſtellen,
waren fruchtlos t]: und ſeit dem weſtphaͤliſchen Frieden
iſt es wohl keinem Kaiſer im Ernſte mehr eingefallen,
ſich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/204>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.